Da will ich hin, zur richtigen Stunde
Ralph Giordano nahm Laaspher mit auf Lesereise in die Heimat seines sizilianischen Opas
JG Bad Laasphe. Er werde nicht von Deutschland sprechen, nicht von der zweiten Schuld, nicht von Möllemann und auch nicht vom Irak, sagte am Donnerstagabend Ralph Giordano in der evangelischen Kirche Bad Laasphes. Nein, um all das ging es nicht. Der deutsche Publizist hatte nämlich auf Einladung des örtlichen Kulturrings sein neuestes Buch im Gepäck. Dass sich das um ein anderes Thema drehte, ließ schon der Titel erkennen: »Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr«.
60 Zuhörer kamen in die Stadtkirche
Knapp ein halbes Jahr nach seinem jüngsten Besuch in Wittgenstein lockte Giordanos Name erneut rund 60 Besucher an – und genau dieser Name ist die offensichtlichste Verbindung des Schriftstellers nach Italien. Doch besuchte er erst ausgiebig Südamerika und Asien, fuhr nach Afrika und quer durch Europa bevor er endlich nach Sizilien kam. Nach »Sicilia, Sicilia«. So die Zauberformel im Doppeklang, die Großvater Rocco Giordano seinem kleinen Enkel Ralph in den 20er Jahren immer wieder zugeraunt hatte. Nachdem Ralph Giordano dann allerdings endlich auf der kleinen Insel zwischen europäischem und afrikanischem Kontinent gelandet war, da legte er auf dem Eiland gleich 15000 Kilometer zurück, erkundete die Heimat seines Großvaters und umfuhr dessen Geburtsort Riesi zunächst weiträumig, um den passenden Augenblick für den Besuch dort abzupassen, streng nach seinem geduldigen Credo: »Da will ich hin. Nicht heute, nicht morgen, sondern wenn die richtige Stunde gekommen ist.«
Voller Achtung für den Gescheiterten
Auf den Weg dahin, nahm Ralph Giordano seine Laaspher Besucher mit. Er kramte in seinen Kindheits-Erinnerungen und skizzierte virtuos durch einige wenige, kleine Geschichten aus dieser Zeit seinen Opa und sein Verhältnis zu dem Mann, der lange vor Ralphs Geburt ein europäischer Star gewesen war. Rocco feierte mit seinem Philharmonischen Blasorchester Giordano, das in Phantasie-Uniformen mit 250 Märschen, zwei Dutzend Polkas und ähnlich vielen Mazurkas Riesenerfolge von London bis St. Petersburg – bis der Erste Weltkrieg die Karriere des Grande Maestros und Wahl-Hamburgers schlagartig beendete und ihn als Schneider an Nadel und Faden zwang. Voller Liebe und Achtung erinnerte sich Ralph Giordano an den Opa, der seinem unglaublichen sozialen und kulturellen Abstieg die Würde seiner Haltung und die Makellosigkeit seiner Kleidung entgegensetzte.
Ehrenbürgerschaft von Riesi verliehen
Zweiter Abschnitt der in Laasphe vorgetragenen Erinnerungen von Ralph Giordano war ein beruflicher Besuch auf Sizilien im Jahr 1973, der eher ergebnislos blieb. Dritter Abschnitt dann Ralph Giordanos ausufernder Aufenthalt in Riesi vor einem Jahr. Er inhalierte die blau-weiß gestrichene Chiesa Madre und hörte den eigentümlichen Glockenschlag der Kirche – beides genauso wie in den vor Jahrzehnten überlieferten Erzählungen des Opas – und am Ende schloss der Deutsche bislang unbekannte Verwandte in die Arme und ins Herz, wurde gar 137 Jahre nach Rocco Giordanos Geburt in Riesi selbst zum Ehrenbürger des Dorfes.
Drei Ständchen nach 75 Minuten Lesen
Mit unglaublicher Energie las der in Hamburg geborene Kölner aus »Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr«. 75 Minuten lang. Und das eine Woche nach seinem 80.Geburtstag. Zu diesem Fest gab es in der Laaspher Stadtkirche noch nachträglich drei kurze Ständchen von Matthias Kiefer und Johannes Schild. Der Trompeter des Gürzenich-Orchesters und der Orgel-Dozent der Kölner Musikhochschule hatten ein Zwischenspiel aus Pietro Mascagnis Oper »Cavalleria Rusticana« genauso vorbereitet wie das sizilianische Volkslied »Santa Lucia«. Gerührt bedankte sich Ralph Giordano dafür, ebenso gerührt berichtete er, dass ihm neben dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler, dem Bundesaußenminister und dem Bundestagspräsidenten auch viele ganz normale Bundesbürger zum runden Geburtstag gratuliert hatten, völlig unerwartet für den streitbaren Geist und einst in Deutschland Verfolgten.
»Masel tov« nachträglich zum Geburtstag
Und in diesem Augenblick sprach dann doch wieder – ohne dass er es hätte artikulieren müssen – der Deutsche mit einer jüdischen Mutter, der sich mit seiner Familie vor den Nazis verstecken musste und nur mit ganz viel Masel die braune Schreckensherrschaft quasi unbeschadet überstanden hatte. Da passte es, dass Otto Düsberg als Vorsitzender des Laaspher Kulturrings dem lieben Gast nachträglich zum Geburtstag vor allem eines wünschte: »Masel tov«. Viel Glück.
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
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