Erinnerung an Pogromnacht anscheinend immer wichtiger
Christlich-jüdischer Freundeskreis gedachte gestern der Opfer
Bad Laasphe. Auch Bad Laasphe erinnerte sich gestern an die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Seitdem der örtliche Freundeskreis für christlich-jüdische Zusammenarbeit vor neun Jahren gegründet wurde, findet diese Veranstaltung alle Jahre wieder statt – wobei sie anscheinend im wiedervereinigten Deutschland mit der Zeit zum immer wichtigeren Zeichen wird: für die Erinnerung und gegen eine wachsende Intoleranz gegenüber Minderheiten.
Leider nur wenige Privatpersonen
Rainer Becker als Vorsitzendem des Freundeskreises kam es gestern Abend zu, die Gäste zu begrüßen. Zwar waren es nicht so viele wie bei der Bad Berleburger Kundgebung gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus, doch auch im Bad Laaspher Rathaus waren die Stuhlreihen gut gefüllt – allerdings kamen leider wieder nur wenige Privatpersonen, in der Mehrzahl waren es auch in diesem Jahr Träger öffentlicher Ämter und Würden.
„Über 70 Laaspher Mitbürger ermordet”
Zunächst rief Rainer Becker die über 70 Laaspher Juden ins Gedächtnis, die während der Nazi-Diktatur umgebracht wurden. Wittgensteiner, an die heute kein Grabstein erinnert, sondern lediglich ein dickes Buch – auf jeder Seite steht der Name eines ermordeten Mitbürgers aus der Lahnstadt. Auch hier wurde die Synagoge in der Pogromnacht zerstört – allerdings mit Äxten, denn das Gotteshaus der jüdischen Nachbarn stand so dicht an den übrigen Gebäuden, dass ein Feuer auch diese gefährdet hätte.
Heute: Hakenkreuze am Ehrenmal
Diese Dinge sind Geschichte. Doch sie seien auch heute wieder, so unterstrich Rainer Becker, nah: zeitlich – immer häufiger gebe es Brandanschläge auf Synagogen, räumlich – auch das Bad Berleburger Mahnmal sei geschändet und beschädigt worden. Bürgermeister Robert Gravemeier musste in diesem Zusammenhang außerdem anfügen, dass das Bad Laaspher Ehrenmal am Steinchen ebenfalls in jüngster Zeit mit Hakenkreuzen beschmiert worden sei.
Wittgenstein 1932: 66 Prozent NSDAP
Und auch die Pastorin Gisela Weissinger machte mit Fakten in ihrer Gedenkansprache deutlich, dass Wittgenstein schon in den 30er Jahren auf keinen Fall ein Hort der Unschuld war. Bei den letzten freien Wahlen 1932 bekam Hitlers NSDAP im Kreis zwei von drei abgegebenen Stimmen, und auch in Berleburg selbst übersprang sie die absolute Mehrheit knapp, in Laasphe waren es mit 53 Prozent sogar noch paar mehr. Erschreckende Zahlen, die noch betrüblicher sind, wenn man weiß, dass die Vergleichszahl für das Reichsgebiet bei dieser Wahl lediglich bei 33 Prozent lag.
Nazi-Terror konnte jeden treffen
Doch in ihren Ausführungen machte Gisela Weissinger noch etwas deutlich. Die Pogromnacht richtete sich ganz eindeutig gegen die Juden, der Nazi-Terror jedoch gegen viele Minderheiten und alle Andersdenkenden oder Kritiker. So zitierte die Pfarrerin den Fall des Wittgensteiner Kammerdirektors Gotthold Reinhardt, der im Juli 1933 Hitlers Wirtschaftspolitik mit der aus der Weimarer Republik verglich. Für diesen Vergleich gab es nicht nur Gefängnis, sondern auch Misshandlung, an deren Ende der Verdacht auf einen Schädelbruch stand. Als der danach arbeitsunfähige Reinhardt vor Gericht klagte, beschied ihm das Reichsinnenministerium, dass „der Anlass zu den Misshandlungen des Klägers in seinem Verhalten selbst zu finden” sei.
Denunziation als weiteres Übel
Juden, Kommunisten, Zigeuner, Schwule und Behinderte – die Liste der Opfergruppen in Nazi-Deutschland war klar definiert. Doch wenn das Unrecht in einem Staat regiert, dann hat niemand mehr festen Boden unter den Füßen, auch wenn er mit der Masse marschiert. Vor allem, da Fakten nicht mehr zählten. Über Dreiviertel aller Denunziationen betrafen Angehörige, Ehepartner, Eltern, Kinder oder auch Freunde und Nachbarn, so Gisela Weissinger: „Die leitenden Motive für die Täter waren meist keine politischen, sondern ganz persönliche wie Wichtigtuerei oder Rachewünsche.” Das System öffnete dem Mob Tür und Tor.
Einzelner wird schnell zur Minderheit
Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sagte vor kurzem: „Wenn sich pöbelnde Skinheads als Vollstrecker des Willens der schweigenden Mehrheit empfinden, dann ist die schweigende Mehrheit daran nicht schuldlos.” Und es muss jedem Einzelnen der schweigenden Mehrheit klar sein: Von einer Sekunde zur anderen kann er zur malträtierten Minderheit gehören.JG
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
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