Ist die Bauwende noch zu schaffen?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/IHRRWNWVUJFEVHWBAU6VQFXT4Q.jpeg)
Ein Turmdrehkran ragt in den Himmel auf einer Baustelle zwischen neu errichteten Wohnhäusern.
© Quelle: Monika Skolimowska/dpa
Berlin/Stuttgart. Jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen und ein klimaneutraler Gebäudebestand bis 2045: Die derzeitige Bundesregierung hat sich nicht weniger als eine Bauwende auf die Fahnen geschrieben. Die politischen Ziele sind ehrgeizig, seit einigen Monaten geraten sie aber immer stärker unter Druck. Materialien sind knapp, Lieferketten gestört, Preise steigen, Inflation und anziehende Zinsen senken die Investitionsbereitschaft. Hinzu kommt in einigen Branchen ein Mangel an Fachkräften.
Vergangenes Jahr seien deshalb nur 293.000 Wohneinheiten entstanden, 2022 werden es noch weniger, sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie: „Geplante Projekte passen nicht mehr ins Budget, die Aufträge gehen massiv zurück, Investitionen bewegen sich auf dem Niveau von 2009.“ Für 2023 erwartet er einen weiteren Dämpfer und für das Jahr darauf sogar eine Delle: „Was heute nicht in den Auftragsbüchern steht, wird 2024 nicht gebaut.“
Ausbau der Solartechnik stockt
Auch die Sanierungsquote sei viel zu gering, sagt Felix Jansen, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Er fordert daher verpflichtende Klimaschutzpläne für den Bestand und Planungssicherheit bei den Förderungen. Diese sollten gezielt erfolgen, also zunächst dort, wo Sanierungen besonders effizient sind. Oft fehle es Bauherren aber an finanziellen Möglichkeiten, sagt er: „Nicht jeder, der sanieren will, kann das auch tun.“
Ein Mangel herrscht zudem an qualifizierten Beratungen sowie Fachkräften, insbesondere beim Ausbau erneuerbarer Energien. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) bildet derzeit viele Handwerksbetriebe fort. Aber: „Noch sind wir relativ weit davon entfernt, im Bereich der Solartechnik die nötige Ausbaugeschwindigkeit zu erreichen“, sagt Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/SUXJXPIWORDNBLHNMVWTSMEM5M.png)
Unbezahlbar
Unser Newsletter begleitet Sie mit wertvollen Tipps und Hintergründen durch Energiekrise und Inflation – immer mittwochs.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Die Nachfrage nach Solarstromanlagen und Heimspeichern habe sich in den vergangenen Jahren vervierfacht, führt er weiter aus. Auch Solarthermie sei begehrt. Die Folge: „Dauerte es früher wenige Tage oder Wochen, um den Solarwunsch zu erfüllen, können aktuell schon mal einige Monate vergehen“, berichtet Körnig. Einen grundsätzlichen Mangel an weltweit verfügbaren Rohstoffen und Produktionskapazitäten sieht er jedoch nicht.
Bundesbauministerium fördert Bau von Sozialwohnungen
Lieferengpässe und Fachkräftemangel mache auch der Wärmepumpenbranche zu schaffen, erklärt Katja Weinhold vom Bundesverband Wärmepumpe (BWP). Dabei wurden als politisches Ziel jährlich 500.000 neue Anlagen formuliert. „Aus Sicht der Branche sind diese Zahlen zu erreichen“, bleibt Weinhold optimistisch.
Viele Faktoren tragen dazu bei, dass Bauen teurer wird. Aktuell müssten bei Neubauten Mieten in Höhe von rund 15 Euro pro Quadratmeter genommen werden, damit sich Investitionen rechneten, sagt Müller. Um Anreize zu schaffen, stellt das Bundesbauministerium bis 2026 insgesamt 14,5 Milliarden Euro für den Bau von jährlich 100.000 Sozialwohnungen zur Verfügung.
Anforderungen an Gebäude zum Klimaschutz verschärfen sich
Da sich immer weniger Menschen Eigentum leisten können, plant die Bundesregierung für das zweite Quartal 2023 ein Programm, das mit jährlich gut einer Milliarde Euro hinterlegt ist. Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen sollen zum Erwerb von Wohnraum zinsverbilligte Darlehen erhalten, die über lange Zeit laufen und als eine Art Eigenkapital eingebracht werden können. Die Förderung soll 60.000 Euro für eine dreiköpfige Familie plus 10.000 Euro für jedes weitere Kind betragen. Davon könnten knapp 75 Prozent aller Haushalte in Deutschland profitieren.
Forderungen an die Politik
Durch serielles und industrielles Bauen könnte die Produktivität um 30 Prozent gesteigert werden. Das heißt, viele Teile werden vorgefertigt und auf der Baustelle zusammengesetzt. Erfolg hat die Bauweise allerdings nur, wenn die Landesbauordnungen angeglichen werden. Die Bauindustrie fordert von der Politik außerdem Sonderabschreibungen und neue gesetzliche Regelungen für die Kreislaufwirtschaft, damit gebrauchte Materialien nicht automatisch als Abfall behandelt werden müssen. Branchenvertreter mahnen darüber hinaus einen Abbau bürokratischer Hürden an. So sollten Mieterstromprojekte vereinfacht werden. Strom aus erneuerbaren Energien sollte verbilligt sowie ein Wärmestromtarif unterstützt werden. Wichtig sei es, Deutschland als Produktionsstandort für Materialien und Technologien zu erhalten sowie in Zeiten sinkender Nachfrage mehr öffentliche Aufträge zu vergeben.
Aber keine Förderung ohne Forderung: Das Geld fließt nur, wenn das Neubauvorhaben energetisch besser ist als der geforderte gesetzliche Standard. Die Anforderungen an Gebäude werden in punkto Klimaschutz allgemein verschärft: So müssen ab 2024 alle neu installierten Heizungen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) verlangt bei Neubauten einen Effizienzhausstandard 40 sowie ein entsprechendes Qualitätssiegel.
Bauverband: Überregulierungen abschaffen
Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsches Baugewerbe, weist darauf hin, dass die energetischen Anforderungen die Baukosten für ein normales Einfamilienhaus um rund 30.000 Euro verteuerten. Eine Sprecherin des Bundesbauministeriums verteidigt die höheren Standards: „Das Klima wartet nicht auf bessere Konjunkturzahlen in der Wirtschaft.“
Müller sieht trotz aller Probleme und Krisen genügend Kapital und Kapazitäten in der Baubranche, die politischen Ziele mittel- bis langfristig zu erreichen. Dafür sei es aber wichtig, Flaschenhälse wie zu wenig Personal in den Bauverwaltungen zu beseitigen. Außerdem sollten Überregulierungen abgeschafft werden, ergänzt Jansen. Bei aller Kritik ist er grundsätzlich vom Kurs der Bundesregierung überzeugt: „Sich ambitionierte Ziele zu setzen ist richtig. Wir müssen alles dafür tun, sie zu erreichen.“