„Arschbohrer kriegt jeder!“: Warum sich gerade so viele Kinder und Jugendliche gegenseitig an den Po fassen
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Bei Tiktok-Challenges und ‑Pranks geht es darum, Grenzen und gesellschaftliche Konventionen zu überschreiten. Wie bei einer Mutprobe – nur dass diese vor allem digital stattfindet und von viel mehr Menschen gesehen wird.
© Quelle: RND/Gina Patan
Auf den ersten Blick sieht es völlig absurd aus: Ein Jugendlicher starrt auf das Hinterteil seines Kumpels. Dann formt er seine Händen zu einer Pistole und rammt sie ihm zwischen die Pobacken. Der Kumpel zuckt erschrocken zusammen und dreht sich dann grinsend um, eine Hand am Hintern. Beide lachen, als hätte jemand einen guten Witz gemacht. Dann ist das Tiktok-Video zu Ende. „Der Ultimate Arschbohrer prank am besten Freund von Eliasnp97!!!“ heißt es. 10.300 Menschen gefällt das. „Das war sehr saftig“, kommentiert ein User, ein anderer: „Arschbohrer kriegt jeder.“
Der „Arschbohrer“ ist kein ganz neues Phänomen, aber eines, das sich derzeit besonders stark verbreitet – auch an Grundschulen. Dabei handelt es sich um einen Prank, also einen Streich, der gefilmt und dann auf sozialen Plattformen wie Tiktok hochgeladen wird. Anders als bei analogen Streichen geht es den „Prankstern“ nicht um den Streich selbst, sondern vor allem um dessen mediale Rezeption. Wie kommt der Prank online an, ist die Frage, die zählt. Pranks sind ein effektives Mittel, um viele Klicks zu bekommen.
Wenn die Idee gut ankommt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Prank kopiert wird. So wimmelt es auf Tiktok nur so von der immer gleichen Geste von verschiedenen Menschen in verschiedenen Zusammenhängen. Das liegt auch daran, dass theoretisch jedes Video auf der Plattform viral gehen kann – unabhängig davon, wie viele Follower der Ersteller oder die Erstellerin hat. Um selbst sichtbarer zu werden, kopieren Nutzerinnen und Nutzer daher einfach erfolgreiche Videoideen.
Schadenfreude ist „universeller Humor“
Nicht immer lässt sich im Nachhinein zweifelsfrei feststellen, wer die Idee zuerst hatte. Der „Arschbohrer“ könnte durch eine Szene in der Anime-Serie „Naruto“ inspiriert worden sein. Dort wird er als witzig gemeinte Spezialattacke verwendet. Maßgeblich verantwortlich für die Verbreitung ist aber wohl ein anderer: Twitchfluencer Montana Black, Spitzname „Monte“ (4,8 Millionen Follower). Er etablierte den Ausdruck „Arschbohrer kriegt jeder“, der mittlerweile als Meme gilt und als Hashtag bei Tiktok 774.000 Aufrufe hat.
Pranks sind äußerst beliebt. Manche Videos werden milliardenfach angeklickt, es gibt Kanäle, die ausschließlich Prankcontent produzieren. Die Bandbreite reicht von harmlos über geschmacklos bis hin zu richtig gefährlich. Je drastischer, desto höher die Klickzahlen. Die ersten echten Internetpranks gingen Ende der 2000er-Jahre viral. Seitdem sind Pranks aus dem Internet nicht mehr wegzudenken. Spätestens seit Joko und Klaas 2017 ein Ryan-Gosling-Double zur „Goldenen Kamera“ eingeschleust haben, kennt auch die breite Öffentlichkeit den Begriff.
Dabei ist das Konzept nicht neu. Streiche vor laufender Kamera und Erklärungsversuche der hereingelegten Pechvögel amüsieren das Fernsehpublikum bei „Verstehen Sie Spaß?“ schon seit 1980. Warum sind Streiche so beliebt?
Schadenfreude ist der eine universelle Humor.
Tabea Scheel,
Arbeits- und Organisationspsychologin an der Europa-Universität in Flensburg.
„Schadenfreude ist leicht zu verstehen. Das funktioniert über alle Altersgruppen und Kulturen hinweg. Ich würde sogar sagen: Das ist der eine universelle Humor“, erklärt Tabea Scheel im Gespräch mit dem RND. Die Arbeits- und Organisationspsychologin erforscht Humor an der Europa-Universität in Flensburg. „Auf der einen Seite ist es aufregend, weil etwas Unerwartetes passiert, das für die betroffene Person nicht gut ist. Aber man ist nicht schuld, man ist nicht beteiligt, man bleibt in gewisser Weise verschont, während andere scheitern“, sagt Scheel. „Man freut sich auch ein bisschen über die eigene Überlegenheit – zumindest, solange nichts wirklich Schlimmes passiert.“
Kontext und persönliche Grenzen
Ob etwas „wirklich Schlimmes“ passiert, ist jedoch nicht immer offensichtlich. Was der eine lustig findet, kann für den anderen erniedrigend und verletzend sein. Entscheidend sind das persönliche Empfinden und der Kontext. „Wenn zum Beispiel zwei gute Freundinnen herumalbern, ist das etwas ganz anderes, als wenn ein Mitschüler oder eine Mitschülerin vorbeikommt, sie anfasst und das filmt“, erklärt Mediencoach Iren Schulz im Gespräch mit dem RND. „Wenn man jemandem ungefragt an den Po fasst, grenzt das an sexuelle Belästigung. Damit werden ganz klar persönliche Grenzen verletzt. Das ist weder lustig noch akzeptabel.“
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Grund zur Aufregung? Wie Eltern mit Onlinechallenges umgehen sollten
Immer wieder sorgen sogenannte Challenges in sozialen Medien für Aufregung. Allerdings kriegen vermeintlich gefährliche Internetaufgaben für Jugendliche manchmal unbeabsichtigt zu viel Beachtung. Das soziale Netzwerk Tiktok hat einen Report in Auftrag gegeben, der Eltern und Lehrkräften eine Hilfestellung bietet.
Was fasziniert Jugendliche daran, anderen die Finger zwischen die Pobacken zu stecken? „Pranks sind eine Form von aggressivem Humor. Man treibt andere an ihre Grenzen“, erklärt Scheel. „Das ist aber gerade in der Pubertät ganz normal. Es gibt viele Raufereien, in denen Macht und Hierarchien ausgehandelt werden. Und Grenzüberschreitungen sind in diesem Alter natürlich besonders reizvoll“. In der Regel geschehe das spielerisch, aber manchmal gehe es auch zu weit. „Der ‚Arschbohrer‘ zum Beispiel hat auch etwas Demütigendes – vor allem, weil er in den sexuellen, körperlichen Bereich geht“, sagt Scheel. „Und alles, was körperlich ist oder mit Sexualität zu tun hat, übt auf Jugendliche einen unheimlichen Reiz aus.“
Aus Erwachsenensicht könnte man vieles, was zwischen Jugendlichen und Kindern verhandelt wird, als sadistisch bezeichnen.
Tabea Scheel,
Arbeits- und Organisationspsychologin an der Europa-Universität in Flensburg.
Das ändere sich erst mit etwa 20 Jahren, dann seien andere Entwicklungsprozesse im Gange. „Aus Erwachsenensicht könnte man vieles, was zwischen Jugendlichen und Kindern verhandelt wird, als sadistisch bezeichnen. Die probieren vieles aus, was wir nicht mehr für angemessen halten, und können sich natürlich auch gegenseitig Schaden zufügen. Das ist natürlich nicht immer gut und richtig, aber ein ganz normales Verhalten in dem Alter.“ Dann entwickelt sich auch schnell eine Gruppendynamik und die Jugendlichen machen Dinge, die sie alleine nicht machen würden.
Wo ist die Grenze zwischen Spaß und Belästigung?
Ob die Betroffenen den „Arschbohrer“ als unangenehm oder spaßig wahrnehmen, ist unterschiedlich. „Manche finden den ‚Arschbohrer‘ auch selbst lustig. Die revanchieren sich dann einfach bei Gelegenheit. Aber eben nicht alle“, sagt Schulz. Durch das Filmen und Verbreiten vervielfacht sich die Wirkung des Pranks für die Betroffenen. „Wer hat das Video gesehen? Wissen jetzt alle, wie peinlich ich reagiert habe? Das sind Fragen, die viele umtreiben. Für die Opfer entsteht da eine ganz große Hilflosigkeit durch den Kontrollverlust.“ Denn anders als bei „Verstehen Sie Spaß?“ werden die Betroffenen eben nicht immer gefragt, bevor die Videos veröffentlicht werden.
Kinder und Jugendliche sind sich zudem selbst oft unsicher, wo die Grenze zwischen Spaß und Belästigung verläuft. „Prank klingt erst einmal nach etwas Lustigem. Dann sind es oft Mitschülerinnen und Mitschüler, die einen aufziehen, und im Zweifelsfall lacht die ganze Freundesgruppe mit“, sagt Schulz. Die Initiative Klicksafe warnt auch deswegen vor dem „Arschbohrer“-Prank, weil er übergriffiges Verhalten als Humor oder Satire verharmlost. „In bestimmten Handlungsfeldern bringen wir den Kindern schon früh bei, dass es in Ordnung ist, Nein zu sagen. Die meisten wissen zum Beispiel, dass sie nicht in fremde Autos einsteigen sollen. Aber soziale Plattformen sind für viele eine Grauzone“, sagt Schulz.
Kinder müssen wissen, dass sie keine Spaßbremsen sind, wenn sie Pranks nicht lustig finden. Wenn sie sagen, ich will das nicht, dann ist das Maßstab genug– egal, ob alle anderen das dann albern finden.
Iren Schulz,
Mediencoach bei „Schau hin!“
Auf Vertrauen setzen und Bauchgefühl stärken
Dies gelte nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder. „Kinder und Jugendliche wünschen sich mehr Unterstützung und Austausch. Sie fühlen sich auch oft überfordert und viele sind eigentlich noch zu jung für die Plattformen“, so Schulz. „Deshalb ist es so wichtig, dass Medienerziehung auch in der Schule stattfindet.“
Vor allem aber sollten Eltern und Lehrkräfte ihre Kinder ermutigen, auf ihr Bauchgefühl zu hören. „Sie müssen wissen, dass sie keine Spaßbremsen sind, wenn sie Pranks nicht lustig finden. Das muss kein anderer bestätigen. Wenn sie sagen, ich will das nicht, dann ist das Maßstab genug – egal, ob alle anderen das dann albern finden“, rät Schulz. Dazu brauche es mehr Austausch und Diskussion über digitale Phänomene wie Challenges oder Pranks in der Schule, aber auch zu Hause. Was ist in Ordnung, wo ist die Grenze? „Eltern oder Lehrkräfte müssen nicht jede Challenge und jeden Trend kennen. Wichtig ist, dass sie Kindern und Schülern von Anfang an vermitteln: Du kannst immer zu mir kommen. Ich unterstütze dich, egal, was du gemacht hast oder nicht.“
Gerade weil Erwachsene nicht in allen Bereichen als Kontrollpersonen präsent sind, sei es wichtig, dafür zu sensibilisieren, dass ihren Kindern oder Schülern so etwas passieren kann. „Nicht alle Kinder verkraften das gleich gut. Wenn sie sich also plötzlich zurückziehen, kann das auch an einem solchen Vorfall liegen. Das sollten die Erwachsenen wissen“, sagt Scheel.