„Spätestens jetzt sollte die Impfquote in die Höhe schießen – tut sie aber leider nicht“
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Eine Krankenschwester impft eine Frau.
© Quelle: César Ortiz/EUROPA PRESS/dpa
Obwohl die Zahl der Corona-Infektionen in Deutschland immer weiter ansteigt, stagnieren die Viertimpfungen mit dem angepassten Omikron-Impfstoff auf niedrigem Niveau. Nur gut 10 Prozent der Deutschen haben sich laut Robert Koch-Institut bisher ein viertes Mal geimpft (Stand: 12. Oktober). Unter den über 60-Jährigen sind es etwa 28 Prozent, obwohl die kalte Jahreszeit begonnen hat und der angepasste Impfstoff laut deutschem Hausärzteverband in ausreichender Menge vorhanden sei. „Spätestens jetzt sollte die Impfquote in die Höhe schießen – tut sie aber leider nicht“, sagt der Bundesvorsitzende Markus Beier dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Von einem Impffortschritt, bei dem wir uns ganz entspannt zurücklehnen können, sind wir noch ein ganzes Stück entfernt.“
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Viertimpfung für Menschen ab 60 Jahren, Personen mit Immunschwäche und Angestellte in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen. Doch der Ansturm auf die Arztpraxen blieb bisher aus. Die Situation gleiche in keiner Weise der vor eineinhalb Jahren, so Hausärzte-Chef Beier. „Da das Impfstoffangebot die Nachfrage weit übertrifft, müssen wir für die in der Stiko-Empfehlung angesprochenen Patientinnen und Patienten nichts zurückhalten.“
„Corona-Müdigkeit geht mit einer Impfmüdigkeit einher“
In der Öffentlichkeit haben die Sorge vor einer Corona-Infektion und die Sensibilität nachgelassen, beobachtet der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie. „Die Impfbereitschaft ist gering, weil sich zum Beispiel viele Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben und jetzt glauben, sich nicht mehr impfen zu müssen“, so Zeeb im Gespräch mit dem RND. „Wir erleben, dass die Corona-Müdigkeit mit einer Impfmüdigkeit einhergeht.“ Viele Menschen machen sich laut Zeeb keine Gedanken mehr, ob sie eine weitere Impfung brauchen. „Vor einigen Monaten musste man in Geschäften noch einen Impf- oder Genesenennachweis vorzeigen, doch diesen Druck gibt es nicht mehr.“ Aber angesichts der neuen Corona-Welle ist das gefährlich. „Wir werden voraussichtlich mit der aktuellen Welle wieder ein exponentielles Wachstum sehen“, fürchtet der Experte.
Lauterbach: Sind besser vorbereitet auf kommende Corona-Welle
Laut Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach ist Deutschland besser auf die kommende Corona-Welle vorbereitet als noch in den vergangenen zwei Jahren.
© Quelle: Reuters
Es sei zwar gut, dass Corona in der Öffentlichkeit nicht mehr die Dramatik wie noch vor ein oder zwei Jahren einnehme, denn heute seien viele Menschen geimpft. „Aber es ist falsch, dass Corona jetzt fast gänzlich aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden ist – das muss sich schnell ändern“, erklärt Epidemiologe Zeeb. „Wir brauchen wieder eine höhere Impfbereitschaft und eine größere Vorsicht.“ Im Winter müsse das persönliche Verhalten wieder stärker auf Corona ausgerichtet werden, meint der Experte. „Die Empfehlung oder die Pflicht zum Tragen von Masken werden wir in wenigen Wochen wieder brauchen.“ Auch Abstandsregeln bei großen Veranstaltungen, in Theatern und Kinos seien laut Zeeb bald wieder nötig.
Forderungen nach neuer Impfkampagne
Der Epidemiologe hält eine größere Impfkampagne für die vierte Impfung für notwendig, damit viele Menschen ihren Immunschutz auffrischen. In den Arztpraxen werde bereits jede Möglichkeit genutzt, um vulnerable Patienten über die Impfung aufzuklären, versichert Hausärzte-Chef Beier. Das könne und dürfe aber nicht die einzige Säule dieser Impfkampagne sein. „Es braucht dringend eine angepasste Impfkampagne inklusive optimierter Impfstrategie, die auch die Grippesaison miteinschließt“, fordert Beier und warnt davor, die Impfung zu verschlafen. „Besonders die Menschen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs sollten für den Winter bestmöglich geschützt sein.“
Dass die tatsächlichen Infektionen bereits viel höher als die vom RKI ausgewiesene Inzidenz sind, zeigt unter anderem das Abwassermonitoring der Stadt Köln. „Die Dunkelziffer ist enorm hoch“, sagt das Corona-Expertenratsmitglied Christian Karagiannidis im Gespräch mit dem RND. „Wenn es keine neuen Corona-Regeln geben soll, dann müssen wir wieder freiwillig Maske tragen, Abstand halten und vorsichtiger sein.“ Es sei verständlich, so Karagiannidis, dass die Menschen nach zweieinhalb Jahren Coronavirus eine Pause brauchen. „Wir hatten einen entspannten Sommer und wenn es jetzt kalt und nass wird, müssen wir die Menschen wieder sensibilisieren und die Eigenverantwortung stärken.“ Die Politik appelliere an die Eigenverantwortung der Menschen, aber derzeit trage fast niemand mehr eine Maske im Alltag, kritisiert der Experte.
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