Interview über Zoonosen

Evolutionsbiologe: „Eigentlich sind wir die Pandemie dieser Erde“

Die Hufeisennasen-Fledermäuse gelten als das natürliche Reservoire von Sars-CoV-2.

Die Hufeisennasen-Fledermäuse gelten als das natürliche Reservoire von Sars-CoV-2.

Herr Glaubrecht, wenn es um den Ursprung des Coronavirus geht, sind Sie da eher im Team „Fledermaus“ oder im Team „Laborunfall“?

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Da bin ich sicher entschieden im Team „Fledermaus“. Wir wissen inzwischen, dass Coronaviren natürlicherweise in Südostasien sehr weit verbreitet sind, besonders in Hufeisennasen-Fledermäusen. Die Fledermäuse sind gute Reservoire für die Viren – aus welchen Gründen auch immer, da gibt es viele Spekulationen. Den genetischen Sequenzierungen nach zu urteilen waren es Hufeisennasen-Fledermäuse aus dem Norden Laos, die als natürliches Reservoir für Sars-CoV-2 dienten. Zumindest konnten bei ihnen die bisher am nächsten mit Sars-CoV-2 verwandten Coronaviren nachgewiesen werden.

Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe und Professor für Biodiversität an der Universität Hamburg sowie am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels.

Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe und Professor für Biodiversität an der Universität Hamburg sowie am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels.

Die ersten Fälle traten doch aber in Wuhan auf, also etwa 2000 Kilometer entfernt von Laos. Und Fledermäuse sind in der Regel keine Langstreckenflieger. Wie hat es das Virus geschafft, eine solche Strecke zurückzulegen?

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Meine Vermutung ist, dass dabei die Afrikanische Schweinepest, die 2019 in China kursierte, eine Rolle gespielt haben könnte. Ein Großteil der Tiere musste damals gekeult werden, sodass ein Versorgungsengpass mit Schweinefleisch entstand. Der wurde durch einen regionalen, aber auch internationalen Handel mit Wildfleisch kompensiert. Das Fleisch aus Südasien wurde lebend oder konserviert in Metropolen wie Wuhan importiert und landete dort auf den Wildtiermärkten. Und irgendwann ist dann entweder in dieser Wildtierpopulation – die genauen Tiere kennen wir nicht – das von den Fledermäusen auf die Tiere übertragene Coronavirus mutiert und auf den Menschen übergesprungen. Oder das Virus ist erst beim Menschen mutiert und hat sich dann auf dem Huanan-Markt in Wuhan verbreitet. Das können wir anhand von Sequenzierungen von Fledermäusen wie auch der ersten Infizierten festmachen. Daher können wir auch sagen, dass ein Laborunfall äußert unwahrscheinlich ist und keinerlei Evidenz hat; der ist reine Spekulation.

Aber es ist schon ein blöder Zufall, dass ausgerechnet in Wuhan ein virologisches Institut seinen Sitz hat, das seit Jahren in Experimenten Coronaviren genetisch manipuliert. Und von dem auch noch bekannt ist, dass es Sicherheitsmängel aufweist.

Natürlich ist das einer dieser unwahrscheinlichen, aber eben möglichen Zufälle. Die chinesischen Forschenden im Wuhan-Institut für Virologie haben selbstverständlich etwas verschnupft reagiert. Aber das würde Christian Drosten auch, wenn mithilfe seiner Expertise und der Nachweismöglichkeiten in der Berliner Charité nachgewiesen werden würde, dass sich ein Mensch mit einem bestimmten Virus infiziert hat und man dann sagt: „Aber da sitzt doch auch der Drosten.“ Dann würde die Charité auch erklären: „Nur, weil wir es nachgewiesen haben, heißt das noch nicht, dass wir es auch gezüchtet haben.“ Und selbst wenn es so wäre, wäre es ein bisschen so, als hätten wir einen Serientäter, der Serienmorde begeht. In unserem Fall wären das die Zoonosen. Und dann gibt es einen Trittbrettfahrer, der nur einmal einen Mord begeht. Das wäre der Laborunfall. Wenn Sie den Trittbrettfahrer fassen, bedeutet das nicht, dass damit auch die Gefahr des Serientäters, also der Zoonosen, verschwindet.

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir demnächst wieder eine Pandemie haben werden, ist sehr groß.

Warum ist es überhaupt wichtig, den Ursprung des Coronavirus zu rekonstruieren? Das Virus ist jetzt da, wir müssen es kontrollieren. Was hilft da der Blick in die Vergangenheit?

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Er hilft, um Zoonosen allgemein zu verstehen. Wir wollen wissen, wie sie entstehen und wie wir ihnen vorbeugen können. Es geht uns darum, die genauen Mechanismen hinter den Zoonosen zu durchschauen. Dazu gehört zum Beispiel, zu verstehen, warum die Viren mutieren. Ein Beispiel: Bei der Russischen Grippe, die zwischen 1889 und 1892 kursierte, hat man lange Zeit geglaubt, dass Influenzaviren die Verursacher waren. Durch weitere Forschung wissen wir nun, dass stattdessen ein Coronavirus für die Infektionen gesorgt hat. Sowohl bei der Russischen Grippe als auch bei der jetzigen Corona-Pandemie haben Millionen Menschen ihr Leben verloren, und da sind wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Pflicht herauszufinden, wie es so weit kommen konnte.

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Die Überlegung Bayerns und Schleswig-Holsteins, in wenigen Wochen die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr abzuschaffen, kritisierte der SPD-Politiker.

Kam für Sie der Ausbruch der Corona-Pandemie eigentlich überraschend?

Der Ausbruch kam absolut überraschend. Es haben sich doch fast alle der Illusion hingegeben, dass Corona schon nicht so schlimm werden wird. Und das hat sich dann auch beim Pandemiemanagement gezeigt. Obwohl diese Pandemie ehrlicherweise mit Ansage kam. Es gab genügend Warnungen, doch die haben wir nicht ernst genommen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass wir demnächst wieder eine Pandemie haben werden, ist sehr groß.

Noch eine Pandemie!?

Ja, es wird wieder passieren. Wir sehen, dass die Häufigkeit und Gefährlichkeit der Pandemien zunehmen. Vielleicht wird nicht noch einmal ein Coronavirus der Verursacher sein, aber ein anderer Erreger. Und schuld daran ist der Mensch.

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Inwiefern?

Wir Menschen schaffen uns unsere eigenen Seuchen. Das ist ein historisches Muster, das sich abzeichnet. Nehmen wir Cholera als Beispiel. Auslöser ist ein Bakterium, das schwere Durchfallerkrankungen und Erbrechen verursacht. Cholera ist die größte Seuche der Globalisierung im 19. Jahrhundert gewesen – auch wenn es sich in diesem Fall nicht um eine Zoonose handelt. Die Menschen wurden damals immer mobiler, siedelten sich in größeren Städten an, wo sie eng beieinander lebten und meist unter schlechten hygienischen Bedingungen. Idealer Nährboden für die Cholera-Bakterien. Umweltveränderungen wie anhaltende Niederschläge und Überschwemmungen haben ihr Übriges getan. Durch unser Handeln, insbesondere unsere Mobilität, haben wir den Erregern den Weg bereitet. Und es gibt noch andere Krankheitserreger, auf die das zutrifft. Wir verändern uns, wir verändern unsere Umwelt und damit verändern wir die Lebensmöglichkeiten und den Spielraum für Viren.

Es leben jetzt acht Milliarden Menschen auf der Erde. Acht Milliarden, die endliche ökologische Ressourcen verbrauchen. Steigt damit das Risiko für Zoonosen?

Jede Einflussnahme, jede Umweltveränderung steigert das Risiko. Jemand hat einmal gesagt, das 20. Jahrhundert sei das Jahrhundert der Pandemien gewesen. Ich würde sagen, nein, es ist das 21. Jahrhundert. Wir sind ideale Wirte für Viren. Wir sind kosmopolitisch, überall verbreitet, in noch nie so großer Zahl weltweit vertreten. Eigentlich sind wir die Pandemie dieser Erde. Und wir haben hohe Nutztierbestände, verwandeln unberührte Naturlandschaften in Agrarflächen und dringen damit immer mehr in die Lebensräume von Wildtieren ein. Damit werden auch Zoonosen wahrscheinlicher.

„Die Rache des Pangolin – Wild gewordene Pandemien und der Schutz der Artenvielfalt", Matthias Glaubrecht; 640 Seiten; ISBN: 978-3-550-20141-7; Ullstein Buchverlage GmbH; Preis: 29,99 € (D), 30,90 € (A).

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Welcher Erreger könnte die nächste Pandemie auslösen?

Das lässt sich nicht voraussagen. Aber viele Fachleute sind überzeugt, dass beispielsweise das Vogelgrippevirus pandemisches Potenzial hat. Es grassiert gerade wieder verstärkt in Europa und infiziert massenweise Geflügel, das gekeult werden muss, und Wildvogelbestände. Auch Menschen können sich mit dem Vogelgrippevirus anstecken, allerdings sind bislang nur vereinzelte Fälle bekannt. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung gibt es nicht. Der nächste pandemische Erreger könnte aber auch ein Ebolavirus sein. Wer weiß, was da noch alles schlummert. Oder vielleicht doch ein anderes Coronavirus.

Unterschätzen wir das Risiko für Zoonosen?

Ich denke, ja. Der Mensch braucht ziemlich lange, bevor er aus seinen Fehlern lernt. Als Homo sapiens sind wir so wenig sapiens (lateinisch für weise, klug oder gescheit, Anm. d. Red.), wie man sich das nur vorstellen kann. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass wir wahrscheinlich noch ein paar Katastrophen brauchen, bis wir das umsetzen, was von den Expertinnen und Experten schon lange gefordert wird.

Was können wir denn tun, um Zoonosen oder Pandemien im Allgemeinen vorzubeugen?

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Also, es ist vollkommen illusorisch, jetzt in Indiana-Jones-Manier in den Urwald zu gehen und dort Proben von allen möglichen Tieren zu sammeln und zu überprüfen, ob sie Viren tragen, die dem Menschen gefährlich werden könnten. Das wird nicht funktionieren. Sondern wir müssen die Menschen, die an der Schnittstelle zwischen Wildnis und Städten mit Wildtieren in Kontakt kommen, zum Beispiel weil sie in Pelztierfarmen arbeiten, wiederkehrend untersuchen. Auch müssen wir Wildtiermärkte verbieten sowie den legalen und illegalen Wildtierhandel unterbinden. Gleichzeitig müssen die Gesundheitssysteme in ärmeren Ländern wie in den afrikanischen Staaten gestärkt werden, um auch dort rechtzeitig Erreger mit pandemischem Potenzial zu detektieren. Wenn wir das alles nicht machen, wird die nächste Pandemie genauso unverhofft kommen.

Wir scheinen nur mit der Holzhammermethode lernen zu können. Und ein paar Hammerschläge werden wir wohl noch brauchen.

Eine Pandemie kann aber auch Chancen bieten. Vorhin hatten wir das Beispiel der Cholera. Durch diesen Erreger hat sich die Abwasserentsorgung verbessert, es entstanden Kanalisationen. Welche Chancen bietet die Corona-Pandemie?

Ich war zu Beginn der Pandemie geradezu euphorisch. Corona kam, plötzlich haben alle aufgehört zu fliegen, wir haben Dinge gemacht, von denen man vorher nicht im Entferntesten gedacht hätte, dass Menschen dazu konzertiert in der Lage sind. Wir haben auf die Bedrohung durch das Virus mit einer gemeinsamen internationalen Aktion reagiert. Es gab einen Lerneffekt über die Nationen hinweg. Doch nach ein paar Monaten hat sich diese Euphorie bei mir wieder gelegt. Inzwischen denken viele, die Gefahr ist gebannt, die Pandemie ist vorbei. Ein Irrglaube, wie ich meine. Wir scheinen nur mit der Holzhammermethode lernen zu können. Und ein paar Hammerschläge werden wir wohl noch brauchen. Das Schlimme ist, sie kosten immer mehrere Millionen Menschen das Leben.

Das sind aber wenig optimistische Worte zum Abschluss.

Die Worte „Alles wird gut“ werden Sie von mir nicht hören. Das ist Unsinn, und genau die Illusion, der wir uns hingeben. Aber eine gute Nachricht gibt es: Wir wussten noch nie so viel über Zoonosen wie jetzt. Das ist unser Vorteil. Dagegen waren die Menschen noch im Mittelalter vollkommen aufgeschmissen, als sich etwa die Pest ausbreitete. Sie wussten fast gar nichts über die Erreger, kannten nicht die Zusammenhänge. Wir verstehen sie jetzt besser. Deswegen ist es auch ziemlich klar, was wir tun müssen, um sehr viele Menschenleben zu retten. Wir haben es in der Hand. Die Corona-Pandemie war ein weiterer Weckruf, ein Appell, um zu sagen: Wir wissen, was schiefläuft – lasst uns etwas dagegen tun!

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