Versorgungslage auf Station

Kinderpneumologe zum RS-Virus: „Der Mangel an Pflegekräften schlägt jetzt brutal durch“

ARCHIV - Intensivpflegerinnen versorgen auf der Kinder-Intensivstation des Olgahospitals des Klinkums Stuttgart ein Kleinkind mit Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus oder RSV).

Intensivpflegerinnen versorgen auf einer Kinderintensivstation ein Kleinkind mit Respiratorischem Synzytial-Virus (RS-Virus).

Herr Dr. Wetzke, das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) zirkuliert, die Kinderkliniken sind voll. Ist die RSV-Welle in diesem Jahr schlimmer als im vergangenen?

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Letztes Jahr haben wir eine außergewöhnlich frühe Saison gesehen, die viel Beachtung auch in den Medien gefunden hat. Am Ende aber waren über die gesamte Saison gesehen nicht mehr Kinder erkrankt. Die Saison war durchschnittlich. Jetzt aber berichten die Kliniken unisono von deutlich mehr stationären Kindern mit RSV-Infektionen als sonst.

Die Belastung, die sich in den Kliniken und Arztpraxen zeigt, ist außergewöhnlich hoch. Aber ob insgesamt tatsächlich mehr Kinder betroffen sind oder es nur die Dynamik der Saison ist, also dass wir jetzt sehr viele kranke Kinder in kurzer Zeit sehen, wird sich erst am Ende der Saison sagen lassen können.

Was sind die Ursachen für diese starke RSV-Welle?

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Das hat sicher mit Sars-Cov2 und den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu tun. Wir hatten unter den strengen Pandemiebedingungen einen kompletten Ausfall der RSV-Saison. Es kommt jetzt offensichtlich zu Nachholinfektionen.

Waren es nicht im vergangenen Jahr schon Nachholinfektionen?

Ja, aber das Virus hat da offensichtlich nicht alle Kinder erreicht, denn wir hatten ja nicht mehr kranke Kinder als sonst. Es könnte damit zusammenhängen, dass die Infektionswelle in den Spätsommer und Frühherbst fiel. Diese Jahreszeiten boten keine idealen Bedingungen für das Virus. Oder dass es auch im letzten Jahr noch mehr Restriktionen gab wie die Maskenpflicht, die das RS-Virus eingedämmt haben.

Unglaublich viele kranke Kinder

Erkranken nur mehr Kinder oder werden sie auch schwerer krank?

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Da gibt es noch keine gesicherten Daten. Dass die RSV-Erkrankung in der aktuellen Saison schwerer verläuft und Kinder zum Beispiel häufiger eine intensivmedizinische Betreuung brauchen, kann ich aus unserer Klinik speziell nicht berichten. Aber das ist auch nur meine Perspektive. Wir haben in Deutschland leider keine etablierten Surveillance-Systeme, die derart infektiologische Daten bei Kindern systematisch erheben.

Dr. Martin Wetzke ist Oberarzt in der Abteilung für pädiatrische Pneumologie und Allergologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei infektiologischen Aspekten von Lungenerkrankungen im Kindesalter, hierbei insbesondere Infektionen mit RS-Viren.

Dr. Martin Wetzke ist Oberarzt in der Abteilung für pädiatrische Pneumologie und Allergologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei infektiologischen Aspekten von Lungenerkrankungen im Kindesalter, hierbei insbesondere Infektionen mit RS-Viren.

Tragen auch Eltern, die mit ihren Kindern unnötigerweise zu Ihnen kommen, zur Belastung in den Kliniken bei?

Wenn RSV so ein großes Thema in der Presse ist, verstehe ich, dass Eltern sich mehr Sorgen machen. Aus unserer Ambulanz bekomme ich auch zurückgespiegelt, dass die Eltern nicht das Problem sind. Es sind einfach unglaublich viele Kinder krank.

Wir hatten unter den strengen Pandemiebedingungen einen kompletten Ausfall der RSV-Saison. Es kommt jetzt offensichtlich zu Nachholinfektionen.

Aktuell gibt es nicht nur eine RSV-Welle, auch an Grippe erkranken viele Kinder.

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Das stimmt. Wobei die ganz kleinen Kinder meist weniger empfindlich für schwere Influenza-Infektionen sind. Im ersten Lebensjahr ist die Influenza nicht so ein Problem wie das RS-Virus.

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Wie viel Sorgen sollten sich Eltern jetzt machen?

Weltweit ist RSV ein großes Problem, wahrscheinlich sterben jedes Jahr 80.000 Kinder an dem Virus. Allerdings ist das ausschließlich in Ländern mit einer deutlich schlechteren Gesundheitsversorgung als bei uns der Fall. Mir ist kein einziges Kind bekannt, das in der aktuellen Saison am RSV verstorben ist, insbesondere nicht aus Kapazitätsgründen. Das heißt, dass es in Ländern mit einer grundsätzlich guten Gesundheitsversorgung wie in Deutschland eine behandelbare Erkrankung ist. Trotzdem ist es eine Riesenbelastung für die Patienten und Patientinnen und die Familien, wenn stationäre Aufenthalte notwendig werden.

Mangel an Pflegekräften schlägt „brutal durch“

Werden Sie alle Kinder ausreichend versorgen können?

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Aus den Daten der Gesundheitsberichterstattung des Bundes sehen wir ja, dass in den letzten 25 Jahren rund 30 Prozent der Betten in den Kinderkliniken eingespart wurden. Ein anderer und sehr wesentlicher Aspekt ist, dass wir ein Riesenproblem mit Mangel an Pflegekräften haben. Das schlägt jetzt brutal durch. Wir haben freie Betten und Zimmer und können trotzdem die Kinder nicht aufnehmen und behandeln, weil wir nicht ausreichend Pflegende haben.

Trotz der immensen Belastung würde ich sagen: Jedes Kind bekommt eine angemessene Betreuung. Wichtig zu wissen ist auch: In den allermeisten Fällen hat RSV auch einen milden Verlauf. In den ersten zwei Lebensjahren durchlaufen praktisch alle Kinder eine Infektion. 30 Prozent davon müssen zum Kinderarzt, etwa 2 bis 3 Prozent landen in der Klinik.

Infektionswelle überlastet bundesweit Kinderkliniken

Volle Notaufnahmen, zu wenig Betten – die Kinderkliniken in Berlin und deutschlandweit sind seit Wochen am Limit.

Für wen ist das Virus am gefährlichsten?

Hochrisikopatienten sind alle im ersten Lebensjahr mit einer extremen Frühgeburtlichkeit, Kinder mit einer chronischen Lungenerkrankung und Kinder mit einem Herzfehler. Für diese Kinder gibt es auch eine Immunisierung. Das wird nur leider mitunter etwas zögerlicher verschrieben, weil sie aufwendig und auch kostenintensiv ist. Der Schutz ist aber effektiv. Darum sollten Eltern, deren Kinder zu der Hochrisikogruppe gehören, unbedingt mit ihrem Kinderarzt sprechen. Aber auch andere sonst gesunde Kinder haben ein Risiko, schwer zu erkranken, und da gilt: Je kleiner die Kinder sind, desto größer ist die Gefahr, damit in der Klinik zu landen.

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Wann sollten Eltern die Infektion ärztlich abklären lassen?

Ein Säugling, der Anzeichen für eine untere Atemwegsinfektion hat, also Husten, erschwerte Atmung und gleichzeitig fiebert, sollte auf jeden Fall einem Arzt vorgestellt werden. Bestehen unabhängig hiervon Zeichen einer erschwerten Atmung wie Nasenflügeln oder Einziehungen, ist eine unmittelbare ärztliche Vorstellung sinnvoll. Das heißt, man wartet nicht, bis der Kinderarzt öffnet, sondern fährt direkt in die Notaufnahme. Gleiches gilt, wenn die kleinen Kinder so krank sind, dass sie nicht mehr trinken.

Bessere Bezahlung der Pflegekräfte

Vor einem Jahr haben wir über die RSV-Welle und die Belastungen in den Kinderkliniken gesprochen. Jetzt reden wir erneut über diese Themen. Wie sehr ärgern Sie sich darüber?

Manchmal bin ich fast schon resigniert. Das Problem der mangelnden Kapazitäten aufgrund des fehlenden Pflegepersonals ist jetzt vielleicht besonders offensichtlich. Wenn man ehrlich ist, bestehen diese Probleme in der Versorgung von Kindern seit Langem – und zwar das ganze Jahr über. So müssen regelmäßig Operationen und Interventionen abgesagt und verschoben werden, weil es keine Intensivbetten für die Überwachung danach gibt. Oder wir müssen häufig Aufenthalte in der Klinik zur Diagnostik absagen, weil wir nicht alle Betten auf der Station belegen können. Wir haben hier Räume, Betten, Monitore. Aber wenn es niemanden gibt, der die Patienten versorgen kann, behindert uns das sehr.

Trotz der immensen Belastung würde ich sagen: Jedes Kind bekommt eine angemessene Betreuung.

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Und natürlich ärgere ich mich, wenn ich mich nicht um meinen Patienten kümmern kann, weil ich irgendwo anders ein Bett beschaffen muss. Sie glauben gar nicht, wie viel Zeit und Kraft diese Suche bindet. Und für die Eltern und vor allem für die Kinder ist es wahnsinnig anstrengend, wenn sie im Zweifel sechs bis acht Stunden in eine andere Klinik gebracht werden müssen.

Hätten wir diese belastende Situation verhindern können?

Die Probleme und Ursachen werden schon lange diskutiert. Meine Einschätzung: Wir müssen die Pflegekräfte einfach besser bezahlen. Die Pflegenden haben hier in den letzten Jahren immer mehr Verantwortung übernommen. Es ist ein hochqualifizierter Beruf. Das muss finanziell einfach attraktiver werden. In der akuten Situation hilft das allerdings nicht.

Impfung könnte sich als Lichtblick erweisen

Jetzt sind wir zwar mitten in einer RSV-Welle. Wagen Sie trotzdem einen Blick auf den nächsten Winter?

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Ein möglicher Lichtblick ist in jedem Fall, dass wahrscheinlich im nächsten Jahr ein Impfstoff auf den Markt kommen wird, der in Studien bereits seine Wirksamkeit in der Vermeidung von klinisch relevanten RSV-Infektionen insbesondere bei Risikokindern gezeigt hat. Auch werden die Nachholeffekte nach Corona in den nächsten Jahren wieder abflachen. RSV wird aber dennoch ein Problem bleiben, wenn wir unseren kleinsten Kindern keine Form der Prävention, wie es eine Impfung eben ist, anbieten.

Und wie blicken Sie perspektivisch auf die Belastungen in den Kinderkliniken?

Noch sehe ich wenig Konkretes. Aber im Rahmen von Corona gab es eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung, um den Schutz von Risikopatienten in den Griff zu bekommen. Und dabei haben auch die Kinder zum Beispiel mit Verzicht auf Kindergarten und Schule investiert. Jetzt wäre es an der Zeit für einen gesellschaftlichen Kraftakt, um die Situation im Gesundheitssystem für die Kinder zu adressieren. Es muss jetzt ein Anlass sein, diese Bedingungen hier so zu gestalten, dass wir mit solchen Infektionsbewegungen zurechtkommen können.

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