Umstrittene Corona-Maßnahme

Folge der Schulschließungen: Die Intelligenz der Kinder sinkt

Schüler mit Mund-Nasen-Schutz im Klassenzimmer: Trotz steigender Infektionszahlen sollen Schulschließungen ausgeschlossen sein.

Schüler mit Mund-Nasen-Schutz im Klassenzimmer.

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Haben geschlossene Schulen und Heimunterricht die Intelligenz von Schülern und Schülerinnen beeinträchtigt? Darauf deutet eine neue Studie hin, die im Fachmagazin „Plos One“ veröffentlicht wurde. Jugendliche hatten demnach im ersten halben Jahr der Pandemie in Intelligenztests schlechter abgeschnitten also noch einige Jahre zuvor.

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Forschende aus Trier und Chemnitz hatten ein halbes Jahr und 16 Monate nach Pandemiebeginn mit 424 Schülerinnen und Schülern aus Rheinland-Pfalz Intelligenztests durchgeführt. Diese besuchten die Jahrgangsstufen sieben bis neun, einige von ihnen wurden in Hochbegabtenklassen unterrichtet. Genutzt wurde der sogenannte Berliner Intelligenzstrukturtest für Jugendliche. Das standardisierte Testverfahren misst die Bearbeitungsgeschwindigkeit von Aufgaben, Merkfähigkeit, Verarbeitungskapazität, Einfallsreichtum und sprachgebundenes, zahlengebundenes und anschauungsgebundenes Denken. Daraus wird ein Wert für die allgemeine Intelligenz in Form eines Intelligenzquotienten berechnet.

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Die Ergebnisse der Intelligenztests verglichen die Forschenden dann mit denen von ähnlichen Schüler- und Schülerinnengruppen, die 2002 und 2012 getestet worden waren. Ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemiemaßnahmen im Frühjahr 2020, als erstmals Schulen ganz oder teilweise geschlossen waren und auf Heimunterricht umgestellt worden war, lag der durchschnittliche Intelligenzquotient bei etwa 105 Punkten. Damit war er deutlich niedriger als in den früher durchgeführten Tests. 2002 hatte der durchschnittliche IQ in der gleichen Altersgruppe noch bei rund 112 Punkten gelegen, und bis 2012 war kein Abwärtstrend zu beobachten gewesen.

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Rückstand konnte nicht aufgeholt werden

Als die Schülerinnen und Schüler im Jahr 2021 (16 Monate nach Pandemiebeginn) erneut getestet wurden, hatte sich ihr Intelligenzquotient um knapp acht Punkte verbessert, was den Forschenden zufolge einen normalen und erwartbaren Zuwachs während eines Schuljahres bedeutet. Ausgebremst worden war die Intelligenzentwicklung also offenbar nur zu Beginn der Schulschließungen. Danach verlief sie normal weiter – der Rückstand konnte dadurch aber nicht ausgeglichen werden.

Klaus Zierer ist Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Gegenüber dem Science Media Center verwies der Professor auf weitere Untersuchungen, die in der Corona-Zeit Lerndefizite bei Jugendlichen belegt hatten. „Es liegen mittlerweile einige Studien vor, die die negativen Effekte der Corona-Pandemie auf die schulische Lernleistung berichten“, sagte Zierer. „Zu Recht spricht man daher von der ‚Generation Covid‘.“ Dass sich diese Zeit sogar auf die Intelligenz ausgewirkt haben könnte, sei „theoretisch schlüssig“, glaubt der Experte. „Die Corona-Pandemie war für Kinder und Jugendliche geprägt von Schulschließungen und – für die Persönlichkeitsentwicklung noch gravierender – sozialer Isolation. Gerade Jugendliche brauchen das Gegenüber, um sich psychosozial entwickeln zu können und auch um lernen zu können.“

Störfaktoren müssen berücksichtigt werden

Zierer sieht aber neben den Schulschließungen noch weitere mögliche Einflussfaktoren, die die Intelligenzentwicklung der Jugendlichen beeinträchtigt haben könnten. So würden Schüler und Schülerinnen immer mehr Zeit mit digitalen Medien verbringen, eine Entwicklung, die sich in der Corona-Pandemie noch einmal verstärkt habe. „Hierzu liegen Studien vor, die zeigen, dass beispielsweise die Nutzungsdauer und -art von Smartphones einen negativen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung hat“, so Zierer.

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Beachtenswert sei, dass sich die Testwerte bei den Intelligenztests von 2020 bis 2021 im normalen Maß verändert hätten, aber ein Aufholen nicht feststellbar war. „Somit ist davon auszugehen, dass die in anderen Studien berichteten Lernrückstände zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht wettgemacht worden sind. Die schulischen Maßnahmen, die eigentlich die Folgen der Corona-Pandemie abfedern sollten, wirken folglich (noch) nicht – viele davon wurden zwar bildungspolitisch angekündigt, aber nie wirklich umgesetzt, siehe Sommerschule“, kritisierte Zierer.

Detlef Rost, Professor für Psychologie an der Southwest University Chongqing in China findet die Studienergebnisse wenig überraschend. Pro Schuljahr, das hätten schon frühere Studien gezeigt, sei normalerweise ein IQ-Zuwachs um etwa 5 Prozent zu beobachten, so Rost. „Kurz gesagt: Die Ergebnisse stimmen mit dem überein, was man bereits weiß: Die Dauer des Schulbesuchs wirkt sich positiv auf die Intelligenz aus. Zu Pandemiezeiten erhielten die Schüler weniger Klassenunterricht. Andere Probleme kamen hinzu, wie zum Beispiel Onlineunterricht, der oft kaum mehr ist als das stupide Ausfüllen von Arbeitsblättern“, sagt Rost. Es müssten aber für eine bessere Vergleichbarkeit auch andere Faktoren berücksichtigt werden. So gebe es heute in den Klassen mehr Migrantenkinder und Kinder mit schlechteren Deutschkenntnissen, was unter anderem die Testergebnisse beeinträchtigt haben könnte.

ARCHIV - 24.08.2020, Nordrhein-Westfalen, Essen: Reisende stehen auf dem Hauptbahnhof mit Masken an einem Zug. (zu dpa "Weitere Entwicklung in der Corona-Pandemie") Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Stress als Einflussfaktor

Samuel Greiff, Professor für Psychologie und pädagogisch-psychologische Diagnostik an der Universität Luxemburg, sagte, die Untersuchung sei „ein wichtiger und relevanter Beitrag“, der allerdings „auch vor dem Hintergrund methodischer Einschränkungen“ gesehen werden müsse.

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„Tatsächlich hat die Corona-Pandemie eine Vielzahl an negativen Konsequenzen nach sich gezogen“, sagte Greiff. „Insbesondere negative Auswirkungen auf Stress und Emotionen wurden vielfach berichtet, aber auch auf spezifische schulische Leistungen, etwa in Mathematik und Lesen. Die vorliegende Studie schaut sich nun Intelligenz an – also grob und vereinfacht gesprochen, die allgemeine schulische Leistungsfähigkeit – und liefert erstmals Daten dazu, wie sich die Pandemie, mutmaßlich, durch Schulschließungen und Home-Teaching, auf die Intelligenz ausgewirkt hat.“ Es sei schwierig zu bestimmen, inwieweit die schulische Leistungsfähigkeit dabei im Einzelfall auch durch Stress beeinflusst worden sei, sagte Greiff. Die Autoren und Autorinnen der Studie hatten zwar keinen Zusammenhang mit empfundenem Stress und den Testergebnissen gefunden. Das Befinden der Jugendlichen sei aber womöglich nicht gründlich genug erfasst worden, glaubt Greiff.

In der Studie fehle zudem der unmittelbare Vergleich zwischen den Leistungen derselben Schüler und Schülerinnen kurz vor sowie nach Beginn der Pandemie. Ein weiterer „klarer Schwachpunkt der Studie“ sei zudem, dass ein sehr großer Anteil der Jugendlichen aus dem sehr guten Leistungsbereich kam und fast die Hälfte spezielle ‚Hochbegabtenklassen‘ besucht habe. „Es bleibt also offen, wie sich die Pandemie auf Schüler und Schülerinnen insbesondere aus dem unteren Leistungsniveau ausgewirkt hat, also eine Gruppe, die ein gutes Bildungssystem besonders im Blick haben muss und gezielt fördern sollte. Möglicherweise sind hier die Effekte noch ausgeprägter und in ihrer Konsequenz schwerwiegender“, sagte Greiff.

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