Das Nesthäkchen war erst 13 Monate
Wie im kath. Kindergarten Wehbach Kinder unter drei Jahren integriert werden
ruth Wehbach. Als in Rheinland-Pfalz vor einigen Jahren das Mindestalter für Kindergartenkinder auf drei Jahre herabgesetzt wurde, fragten sich viele, ob das überhaupt Sinn ergibt. Jedem dreijährigen Kind musste ein Kindergartenplatz garantiert werden, was heutzutage viele Kindergärten in Schwierigkeiten bringt, denn die Geburtenrate sinkt. Es gibt aber auch ein anderes gesellschaftliches Phänomen, das den Kindergärten neue »Kunden« beschert: Immer öfter sind allein erziehende junge Mütter darauf angewiesen, dass sie ihr Kind in einer Tagesstätte abgeben können, um währenddessen den Lebensunterhalt zu verdienen.
Die SZ besuchte einen solchen Kindergarten, in dem schon ein 13 Monate alter Junge aufgenommen wurde. Die Erfahrung im kath. Kindergarten der St.-Petrus-Gemeinde Wehbach zeigt, dass es durchaus machbar ist, Kinder unter drei Jahren in die »normale« Gruppe zu integrieren.
Nur kleine Gruppen
Die Kindergartenleiterin Nina Matuschik berichtet, dass sie derzeit über acht Plätze für Kinder unter drei Jahren verfügt. Das ist deshalb möglich, weil in den zwei Gruppen derzeit nur 35 Kinder beherbergt werden. 50 wären möglich, gibt es aber zurzeit eben nicht. Denn laut Gesetz dürfen pro Gruppe nur zwei Kinder unter drei Jahren alt sein. Da die Gruppenstärke im Wehbacher Kindergarten deutlich geringer ist, sind dort vier Kinder je Gruppe zulässig. Von den acht möglichen Plätzen sind derzeit jedoch nur fünf besetzt, im Februar sollen zwei weitere Kinder unter drei Jahren dazukommen.
Für die Betreuung solch kleiner Kinder sind ganz bestimmte Voraussetzungen notwendig. Zum einen benötigen sie spezielles Spielzeug, eine Ruheecke, in die sie sich zurückziehen und schon mal ein Schläfchen halten können. Manche Kinder müssen noch gewickelt werden, andere können noch nicht selbstständig essen. »Ganz wichtig ist«, so Nina Matuschik, »dass die Kinder schon recht bald eine Bezugsperson haben, der sie vertrauen und an die sie sich bei Bedarf klammern können«. Am Anfang, so erinnert sich die Kindergartenleiterin, war es für alle Seiten schwer. Doch die Kinder lernen schnell, dass sie irgendwann wieder von ihrer Mutter abgeholt werden und nicht abgeschoben worden sind. Das Vertrauen zum Kindergarten wächst täglich.
Am Beispiel des heute zwei Jahre alten Jonathan bestätigen sich diese Erfahrungen. »Das Kind zeigt enorme Fortschritte«, freut sich Matuschik, und auch die »großen« Kinder haben den kleinen Jonathan in ihr Herz geschlossen. Sie spüren, dass da jemand ist, der noch kleiner ist, als sie selbst, und der Hilfe benötigt. Der Beschützerinstinkt wird geweckt. So ist es ganz selbstverständlich, dass die »Großen« dem »Kleinen« zeigen, wie man Schuhe bindet oder es einfach selbst in die Hand nehmen, wenn Jonathan das noch nicht selbst kann.
Der Wehbacher Kindergarten ist noch nach dem alten Personalschlüssel besetzt. Das bedeutet, dass derzeit drei Vollzeitkräfte, eine Teilzeitkraft und mit Ina Hauptmann eine Anerkennungspraktikantin beschäftigt sind. Eine der Vollzeitkräfte ist auch Nina Matuschik, die neben ihrer pädagogischen Aufgabe allerdings noch verwaltungstechnische Arbeiten zu erledigen hat und somit als Erzieherin nicht immer zur Verfügung stehen kann. Ina Hauptmann wird den Kindergarten im Sommer verlassen, wenn ihr Anerkennungsjahr vorüber ist. »Das sähe vielleicht anders aus, wenn der schon lange geplante Umbau bereits erfolgt wäre und wir weitere Räumlichkeiten und eine weitere Stelle genehmigt bekommen hätten«, so die Leiterin. Noch in diesem Jahr soll die Erweiterung des Kindergartens erfolgen.
Dritte Vollzeitkraft benötigt
Nach dem Umbau soll in Wehbach eine alterserweiterte Gruppe mit 15 Kindern eingerichtet werden. Dazu zählen Kindergartenkinder im Alter von drei bis sechs Jahren, Schulkinder (Grundschulkinder der 1. bis 4. Klasse) und Kinder unter drei Jahren. Um eine solche zusätzliche Gruppe realisieren zu können, sind allerdings drei Vollzeitkräfte notwendig.
Dank der geringen Gruppenstärke können die Erzieherinnen viel mit den Kindern machen und gezielt auf ihre Bedürfnisse eingehen. So gehen sie mit ihnen jeden Montag zum Turnen in die Grundschule, weil im Kindergarten kein geeigneter Raum vorhanden ist. Dienstags und donnerstags finden gruppenübergreifende Angebote statt, »Situatives Arbeiten ist dann angesagt«, berichtet Ina Hauptmann und erläutert, was damit gemeint ist: »Was dann gemacht wird, richtet sich nach der aktuellen Situation, die die Kinder am Vormittag erlebt haben. Daraus können sich regelrechte Aktionen ergeben, die sich über Tage hinziehen. Hier müssen wir sehr spontan reagieren können«. Am Mittwoch widmen sich die Kinder ihrem Waldprojekt und lernen, die Natur zu verstehen. Donnerstags findet die musikalische Früherziehung statt, auch das nehmen die Erzieherinnen selbst in die Hand. Freitags trifft sich die Arbeitsgemeinschaft für die zukünftigen Schulkinder.
Familienstrukturen haben sich gewandelt
Die Plätze für Kinder unter drei Jahren sind begehrt und wichtig: Die Kinder kommen aus Katzwinkel, Wingendorf und Kirchen. Eine Mutter fährt sogar jeden Tag von Dickendorf bis nach Wehbach, um ihr Kind gut versorgt zu wissen. Irgendwann wird das Modell kreisweit Schule machen. Denn die familiären Strukturen haben sich bereits vielerorts geändert.
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.