Stylish statt gemütlich

Wenn das Zuhause aussieht wie ein Möbelhaus: Ist weniger wirklich mehr?

Kronleuchter und Krimskrams: Ist weniger wirklich mehr?

Kronleuchter und Krimskrams: Ist weniger wirklich mehr?

Neigt sich der Sommer dem Ende zu, steigt der Höhlen- und Nestbautrieb. Traditionell sind die Herbst- und Wintermonate in der Möbelbranche umsatzstärker als zur warmen Jahreszeit. Man möchte es kuschelig und wohnlich haben. Gemütlichkeit wird großgeschrieben. Wer sich jedoch Anregungen auf Einrichtungsportalen im Netz sucht, Kataloge oder Wohnmagazine durchblättert oder in Möbelhäusern stöbert, stellt schnell fest, dass selbst opulente Sitzlandschaften oder üppig dekorierte Tische selten Heimeligkeit und noch weniger individuellen Charme ausstrahlen. Es fehlt das gewisse Etwas, das nicht selten in zumindest ideell wertvollen Erbstücken, Flohmarktfunden, Reisesouvenirs und unnützen, aber liebevollen Aufmerksamkeiten von Freunden und Verwandten besteht. Doch in Zeiten von Minimalismus, Decluttering (neudeutsch für Entrümpelung) und konsumkritischer Tiny-House-Bewegung kommt Krimskrams offenbar zusehends aus der Mode. Der Hochglanzschliff hat die eigenen vier Wände erreicht.

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Zwar dekorieren wir jede Saison aufs Neue wohldosiert mit Stoffen, Teelichtern, Tischwäsche, Glas- und Keramikwaren. Aber Deko­objekte sind in der Regel seelenlos, haben keine Geschichte, bedeuten uns nichts. Was aber ist mit Nippes, Krempel, Trödel? Fast alle besitzen mehr oder weniger davon. Darunter fallen Gegenstände, die in der Regel älter, oft zwar kaum noch zu gebrauchen, aber auf irgendeine Art originell sind – und mit unserer Vergangenheit, aber auch Gegenwart zu tun haben. Im Unterschied zur Antiquität sei Trödel zwar ein geringschätziger Ausdruck für alte Sachen, sagt Hans-Martin Schmitz, Vorsitzender des Kunsthändlerverbands Deutschland. „Das heißt aber nicht, dass Trödel automatisch kitschig oder hässlich ist. Das liegt ganz im Auge des Betrachters“, betont er. „Eine Antiquität ist ein Objekt, das mehr als hundert Jahre alt ist“, sagt der Kölner Experte für alte Kunst aus Asien. Der Wert bemesse sich nach Alter, Beschaffenheit und Seltenheitsgrad. Natürlich spielten auch Qualität, Verarbeitung und ästhetische Gesichtspunkte eine Rolle. Doch manchmal sei es gerade für Laien schwer erkennbar, was wirklich antik oder einfach nur in die Jahre gekommen sei. Wer etwa bei einer Haushaltsauflösung unsicher sei, ob es sich bei alten Sachen um sammelwürdige Antiquitäten handele, solle am besten einen Experten um Rat fragen, empfiehlt Schmitz. Für Antiquitäten bestehe gerade auf Auktionen nach wie vor ein Markt. Trödelhändler gäbe es allerdings immer weniger.

Neutralität ist zum ästhetischen Maßstab geworden

Wer heute als trendbewusst gelten will, präsentiert zu Hause weder Antiquitäten (es sei denn, es handelt sich um ein wirklich teures Kunstwerk oder einen Designklassiker) noch Trödel und schon gar keine Regalfächer oder offenen Kisten mit Krimskrams. Da steht allenfalls eine schnörkellose Vase mit Pampasgras auf der Kommode und drei zahnstocherdünne Messingkerzenhalter (ohne Kerzen) zieren den Beistelltisch. So kommt man sich als Gast selbst ernannter Interieurexperten zuweilen vor wie in einem Musterhaus oder bei einer Wohnungsbesichtigung, die ein findiger Makler einem veritablen Home-Staging-Konzept unterzogen hat. Die Idee des Home Staging wurde bereits vor fünfzig Jahren in den USA entwickelt und basiert auf der Erkenntnis, dass sich bewohnt aussehende Immobilien besser verkaufen lassen als kahle Räume. Zu individuell darf es aber auch nicht sein. Damit der Betrachter sich besser einfühlen kann und nicht abgelenkt wird, raten Verkaufsstrategen dazu, die Räume für Fotos und Besichtigungen zu „entpersonalisieren“. Nichts Privates, nichts, was es so oder so ähnlich nicht zu kaufen gibt, sollte zu sehen sein. Das geht so weit, dass selbst Buchrücken und -cover umgedreht werden. Vor ein paar Jahren wurde es zum Instagram-Hit, Bücher farbneutral mit dem Rücken zur Regalwand zu präsentieren.

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Überhaupt ist Neutralität zum ästhetischen Maßstab geworden. Erdige, gedeckte Farben, viel Grau und Schwarz, natürliche Materialien, gefällige Formsprache bestimmen Bilder von Möbelherstellern, Einrichtungsmessen und Wohn-Influencern, die als Vorbild für private Zimmergestaltung dienen. Farbrausch, gar Kitsch, gilt als exzen­trisch, ungehemmte Experimentierfreude mit Dekor, Ornamentik, Drapage, dem Mix unterschiedlicher Stile, Formen und Materialien als Tabu. Das Weniger-ist-mehr-Prinzip hat Elsa Hosk nicht nur zu einer Karriere als Unterwäschemodel, sondern jüngst auch zum Ruf einer Einrichtungsqueen verholfen. Vor zwei Jahren erstand sie in Los Angeles das vom Wiener Architekten Richard Neutra entworfene Groovy Wilkins House und versetzt seitdem die Instagram-Gemeinde in Verzückung mit Innenaufnahmen. Sanfte Naturtöne, weiche Stoffe und Holz dominieren – es herrscht gepflegte Langeweile.

Maximalismus statt Minimalismus?

Für Robert Venturi, der wie Neu­tra zu den einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts zählt, waren Stilelemente vergangener Epochen wichtige Bestandteile seiner Bauwerke. Purismus ödete ihn an. Sein berühmtester Ausspruch lautete: „Less is bore“ (weniger ist langweilig). Tatsächlich gibt es seit einiger Zeit auch den Wohntrend Maximalismus. Hier stehen große, schwere Möbel, satte Farben und ausufernde Formen im Fokus. Das ist nicht gerade puristisch, lässt aber ebenfalls keinen Raum für Dinge, die weder besonders stylisch noch nützlich sind, mit denen wir uns aber aus Gründen, die wir meist nur selbst kennen, gern umgeben.

Die japanische Aufräumexpertin Marie Kondo, die stets predigt, Dinge zu entsorgen, die einem keine wirkliche Freude bereiten, betreibt seit 2019 übrigens einen Webshop, in dem sie vor allem eins verkauft: sehr viel unnützen Krempel, darunter jede Menge kleiner Holzfigürchen. Einfach mal in die Trödelkiste zu Hause schauen – da finden sich bestimmt adäquate Gratis­objekte.

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