Beim Thema Essen hört der Spaß auf
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Mmh! Die Evolution hat es so eingerichtet, dass wir ständig nach Nahrung Ausschau halten und uns über eine leckere Mahlzeit freuen – früher wie heute.
© Quelle: Jens Kalaene/zb/dpa
Siegen. Wie man aus einer einladend aufgeklappten Packung Merci-Schokolade nur einen Riegel herausnehmen und ihn langsam, am besten noch lutschend, verzehren und es damit gut sein lassen kann, ist mir ein Rätsel. Aber es gibt solche Menschen, ich habe ihr Essverhalten oft genug erleben dürfen. Solche Asketen bleiben mir fremd. Über sie kann ich staunen wie über den indischen Sadhu Prahlad Jani, der behauptete, er habe 70 Jahre lang weder Wasser noch Nahrung zu sich genommen. Er wurde um die 90 Jahre alt, genau weiß man es nicht, und mehrfach ist er längere Zeit von internationalen Ärzteteams überwacht worden. Nie sah man ihn essen oder trinken. Er lebe nur von Meditation, sagte er einmal.
Neulich im Wartezimmer
Ich meditiere auch, allerdings scheint das bei mir alles unter umgekehrtem Vorzeichen zu laufen. Neulich saß ich im Wartezimmer einer Praxis und blätterte in einer Zeitschrift. Das Ergebnis eines Tests in dem Blatt, ich meine, es wäre die „Psychologie heute“ gewesen, war für mich ernüchternd, irgendwie auch erwartbar. „Sie sind der typische Gier-Typ“, stand bei der Auswertung zu lesen. „Ihre Achillesferse ist die Heißhunger-Attacke“, verriet der abgebildete Autor des Artikels charmant – dem Foto nach zu urteilen ein unterernährter Vertreter meines Standes.
Den Teller aufessen
Ich habe von klein auf gelernt, dass man „den Teller aufisst“. Meiner Meinung nach hat das was mit Evolution zu tun. Ein hungriger Wolf kann bis zu 10 Kilo Fleisch auf einmal fressen, ein Königstiger, wenn er Beute geschlagen hat, bis zu 40 Kilo. Die Natur hat es in Hunderten Generationen auch für uns Menschen so eingerichtet, dass wir dann essen, wenn Nahrung vorhanden ist. Klar, früher war das nur ab und zu der Fall, heute ist praktisch immer was da. Deshalb sind wir auch alle „so gut dabei“, wie man im Siegerland sagt.
Kürzlich beim Italiener, ein junges Paar am Nachbartisch: „Eine große Pizza ist mir aber zu viel. Dann bestelle ich mir lieber eine kleine und esse bei dir noch was mit, falls ich noch Hunger habe.“ Innerliches Erstarren. Maskenhafter Gesichtsausdruck bei ihm. Sprachlosigkeit. Bei solchen Sätzen würde auch ich zum Elch werden. Beim Thema Essen kenne ich nämlich keine Verwandten. Mir gegenüber würde so etwas niemand mehr vorschlagen.
SZ