Wieso ein bisschen weniger am Ende mehr ist
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Sie diskutierten gestern in der freiwilligen Arbeitsgemeinschaft über ein spannendes volkwirtschaftliches Thema. Dabei geht es um die Frage, ob Ressourcen unendlich geschöpft werden können und man nicht doch etwas „rückbauen“ sollte. Foto: Holger Weber
howe Bad Laasphe. So könnte die Welt von morgen doch aussehen, oder? Mit dem Nachbarn teilt man sich das Auto, wäscht die Wäsche mit mehreren Parteien gemeinsam, kauft nicht ständig neue Elektrogeräte, sondern nutzt das nächstgelegene Repair-Café. Mit dem übermäßigen Einkauf bei Großanbietern im Netz wäre Schluss. Der heimische Einzelhandel würde wieder gefördert. Warum nicht die Schuhe im Geschäft nebenan kaufen? Und in den Supermarkt geht man direkt mit Tasche oder Einkaufskorb. Dann wird auch der Plastikmüll reduziert. Auch die Arbeitszeiten könnten generell zurückgefahren werden. Man muss nicht 40 Stunden ackern, da reichen auch 20. Es bliebe Zeit für Sinnvolles, für soziales Engagement.
Was die sechs bis acht Schülerinnen der Schul-Arbeitsgemeinschaft am Städtischen Gymnasium Bad Laasphe in der Diskussion mit dem SZ-Redakteur alles zutage förderten, hatte was. Denn die Oberstufenschüler, die sich vor fast zwei Jahren freiwillig für den Kurs bei Politiklehrer Frank Oldeleer angemeldet hatten, klangen sehr überzeugt von dem, was sie bislang zu der Thematik rund um den Begriff der „Postwachstumsökonomie“ erfahren hatten.
Einer der Höhepunkt der AG-Arbeit war dieser Tage der Besuch bei Niko Paech, Professor der Pluralen Ökonomik an der Universität Siegen. Der prägte nämlich einst den Begriff der Postwachstumsökonomie, die Schüler fassten die Gedanken in ihre eigenen Worte. „Unsere Wirtschaft ist nicht imstande, unendlich Wachstum zu bringen“, startete eine Schülerin. Und darum müsse man „etwas zurückschrauben“. Das wiederum ermögliche den Menschen, einen guten Lebensstandard zu halten. Professor Paech spricht von einer „Suffizienzstrategie und dem partiellen Rückbau industrieller, insbesondere global arbeitsteiliger Wertschöpfungsprozesse zugunsten einer Stärkung lokaler und regionaler Selbstversorgungsmuster.“ Man spart also ein, weil man auch nicht alles im Übermaß braucht. „Das ist sinnvoll, weil es die Gesellschaft entlastet“, meint eine Schülerin aus der Runde.
Und eine andere gibt sich überzeugt: „Ich finde, man sollte versuchen, diesen Aspekt umzusetzen. Man müsste es mal ausprobieren.“ Es gebe bereits Verbände oder Institutionen wie das Repair-Café, die sich mit solchen Fragestellungen auseinandersetzten. „Und es ist ja auch nichts, was völlig unbekannt ist“, wirft eine Teilnehmerin der AG ein. „Vor 100 Jahren haben das unsere Großeltern und Urgroßeltern schon praktiziert.“ Da sei man schonend mit den vorhandenen Ressourcen umgegangen. Die Wissenschaft ist sich jedenfalls sicher: Hat man ein gewisses Niveau erreicht, kann noch so viel Geld, Einkommen und Konsum keine weitere Steigerung des Wohlbefindens bewirken. Irgendwann ist Schluss. Das sei wie mit der Peak-Oil-Theorie, weiß Frank Oldeleer.
Der Zenit sei irgendwann erreicht und dann gehe es mit der Ölproduktion bergab. Professor Peach geht sogar von einem „Peak-Everything“ aus. Das Öl-Phänomen einer zu erwartenden Ressourcenverknappung weite sich absehbar dergestalt aus, dass von einem herannahenden „Peak Everything“ auszugehen sei. „Insbesondere die explosionsartige Nachfragesteigerung von Aufsteigernationen wie China und Indien führt zu einer entsprechenden Verteuerung jener Ressourcen, auf deren bislang vermeintlich unbegrenzter Verfügbarkeit der materielle Wohlstand basierte“, so Niko Paech. In seinen Studien spricht der Wissenschaftler von „Entrümpelung“ und „Entschleunigung“.
Der ökonomischen Logik folgend sei es klug, sich des Ballasts zu entledigen, der Zeit und Geld beanspruche und faktisch nur einen minimalen Nutzen bringe. Wichtig sei, ein Gleichgewicht zwischen Selbst- und Fremdversorgung zu finden. Gerate die „Geld speiende Wachstumsmaschine“ nämlich mal ins Stocken, verliere man seine Daseinsgrundlage. „Sozial stabil sind nur Versorgungsstrukturen mit geringerer Distanz zwischen Verbrauch und Produktion.“
Die Schüler der AG von Frank Oldeleer haben sich für das Thema begeistert. Sie erkennen, dass die „Postwachstumsökonomie“ auch mit anderen Fragestellungen einhergeht, etwa mit dem Klimawandel. Konsum bedeutet auch CO<sub>2</sub>-Verbrauch. „Und mit welchem Recht lebt man auf Kosten von anderen?“, fragt eine Schülerin. „Es braucht eine Diskussion. Die haben wir eigentlich noch nicht“, stellt Frank Oldeleer fest. Die Schüler bleiben am Ball.