Der Zorn der Rächerin – Anna Maria Mühe ist bei Netflix die „Totenfrau“
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Verzweifelt: Brünhilde Blum (Anna Maria Mühe) hat ihren Mann verloren. Weil die Polizei der Fahrerflucht nicht nachgeht, nimmt die Bestatterin die Sache selbst in die Hand. Szene aus der Netflix-Serie „Totenfrau“.
© Quelle: Netflix
Am Anfang sehen wir endlos viel Wasser. Meer und Meer und noch mehr Meer. Und darin schaukelt ein Segelboot. Zwei Menschen schreien um ihr Leben, sie wollen zurück an Bord, aber die junge Frau, die im gelben Bikini an Deck liegt, hat Kopfhörer auf. Hört sie nichts oder will sie nichts hören? Haben die Schwimmer die Leiter vergessen oder hat die blonde Frau sie eingezogen?
Was ist an Bord des Segelboots passiert?
Als Brünhilde Blum (Anna Maria Mühe), die in der Netflix-Serie nur ein einziges Mal ihren ungeliebten Vornamen erwähnt und von allen schlicht Blum genannt wird, mit einem Sonnenbrand erwacht, schreit niemand mehr. Irgendwann erfahren wir, was genau passiert ist, aber nicht in der ersten von sechs Episoden der österreichischen Thrillerserie „Totenfrau“ (streambar ab 5. Januar). Bei Thrillern gilt es, Geheimnisse langsam aufzudecken.
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Der Tag, an dem ihre Stiefeltern ertranken, war der (un-)glückliche Tag, an dem Blum Mark (Maximilian Kraus) kennenlernte, den Polizisten aus den Bergen, der die Liebe ihres Lebens wurde. Kurz vor dem zehnten Hochzeitstag wird Mark vor dem Haus auf seinem Motorrad frontal von einem Jeep gerammt, dessen Fahrer unerkannt flüchtet.
Des einen Trauer ist des anderen Schietegal
Mark stirbt, der Pfarrer des Alpenstädtchens (Simon Schwarz) stellt die Routinefrage „Wie kann Gott das zulassen?“, der Polizeikollege und Freund Massimo (Felix Klare) hält eine sehr persönliche Ansprache, versichert Blum, immer für sie da zu sein, und beim Leichenschmaus erscheinen dann schon Leute, die ungeniert kichern und lachen. Des einen Trauer ist des anderen Schietegal. So ist das auf der Welt.
Blum stellt allerdings – hier beginnt die Spoilerzone dieses Textes – eine seltsame Schläfrigkeit der Behörden fest, was die Suche nach dem Täter betrifft. Dann ist da noch ein zweites Handy von Mark mit seltsamen Whatsapp-Nachrichten und einer Frau am anderen Ende, die sofort wieder auflegt. Hat Mark Blum mit einer anderen betrogen?
Blum kommt Menschenhandel und Mord auf die Spur
Söhnchen Tim (Lilian Rosskopf), Tochter Nela (Emilia Pieske) und Marks Vater (Hans Uwe Bauer) trauern, Blum aber nimmt die Sache in die Hand und trifft in einer Hütte jottwede eine verwahrloste junge Frau mit östlichem Akzent: Dunja (Romina Küper), der Mark mit seinem ewigen Helferkomplex beigestanden hat und die bezüglich seines Todes – „nix Unfall!“ – wissen will, dass ihr Retter ermordet wurde.
Die Geschichte Dunjas ist eine von Lockangeboten, Menschenhandel, K.-o.-Tropfen und einem Abgrund der wohl viehischst vorstellbaren Variante von Frauenhass, wo maskierte Männer ihre Opfer missbrauchen und abschlachten. Ein Raum ist zu sehen, der in Plastikfolie ausgekleidet ist wie die Mordzimmer von Dexter, dem Serienmörder der Serienmörder. Blum geht auf die Jagd, die Rache an den Mördern Marks ist deckungsgleich mit der Rache für die Opfer. Die Totenfrau Blum, die Bestatterin des Dorfs, wird ihrem Namen auf völlig neue Weise gerecht.
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Wer steckt hinter den Masken? In dem kleinen Alpenstädtchen kommt Bestatterin Blum einer Gruppe grausamer Frauenhasser auf die Spur.
© Quelle: Netflix
Anna Maria Mühe hat in der Rolle der blonden Tragik umflorten Blum eine Schlabbershirt-Sexiness, die beim Serpentinenritt im Sattel einer Ducati ebenso cool rüberkommt (Mühe ist in Wahrheit nicht selbst gefahren) wie in der Sakristei der Kirche beim schicksalhaften Treff mit dem Pfaffen, der so eitel ist, dass er ein Foto von sich selbst auf den Schreibtisch gestellt hat. Ähnlich unerbittlich und mitleidlos ist diese Vigilantin wie es Noomi Rapace als Lisbeth Salander in den Stieg-Larsson-Verfilmungen war, ähnlich wortkarg ist sie wie Saga Norén in den drei „Brücke“-Staffeln.
Im Mittelpunkt des Thrillers steht eine schreckliche Familie
Wen Blum dann als Mitglied der Bang-and-Kill-Gang entlarvt, der braucht sich nicht mehr warm anziehen. Und schnell wird klar, dass das Kaff in den Bergen ein ähnlicher Hort des Horrors ist wie David Lynchs „Twin Peaks“ im US-Bundesstaat Washington. Im Mittelpunkt steht – ähnlich wie in der zweiten Staffel der deutsch-österreichischen Thrillerserie „Der Pass“ – eine einflussreiche, schreckliche Familie.
Die Toten sprechen mit Blum, das ist das Schrullige dieser Show. Da verzeiht ihr etwa der hünenhafte Herr Pichner, für den ein viel zu kleiner Sarg bestellt wurde, schon mal mit milder Stimme, dass sie ihn mit der Knochensäge zurechtstutzt („Wozu brauche ich die 15 Zentimeter denn noch?“). Bis sie ihnen den Mund zunäht, beraten die Toten Blum und sind doch nur ihre veräußerlichte innere Stimme, der sie folgt. Ein wenig Humor tut gut. Sonst? Eine Frau sieht Tod – leben und sterben lassen.
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Routiniert inszeniert von Krimispezialist Nicolai Rohde und von Kameramann Stephan Burchardt mit Bildern felsiger Seelenlandschaften bestückt, ist „Totenfrau“ ein langsamer, langsam den Zuschauer beschleichender Thriller, aus dem heraus dann Momente extremer Gewalt zuschnappen.
Die Rächerin hat das Glück auf ihrer Seite
Dass aus einem ursprünglich monetären Motiv ein solch extremer und kollektiver Frauenhass wird, muss man als Zuschauer freilich ebenso schlucken, wie das zuweilen unglaubwürdige Glück der Rächerin, dass sie auf ihrem unerbittlichen Feldzug gegen das Böse nicht ins Netz der Behörden geht.
So werden wir Blum wohl wiedersehen. Zwei weitere Geschichten harren ihrer Staffeln.
„Totenfrau“, Serie, erste Staffel, sechs Episoden, Regie: Nicolai Rohde, mit Anna Maria Mühe, Romina Küper, Emilia Pieskem Lilian Rosskopf, Felix Klare, Simon Schwarz (ab 5. Januar bei Netflix)