Homosexualität und Fußball: „Niemand sollte die hasserfüllten Nachrichten bekommen, die ich bekommen habe“
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Homosexualität im Profifußball sollte längst normal sein - der Umgang mit der "One Love"-Binde bei der WM in Katar zeigte aber, dass es noch ein weiter Weg ist.
© Quelle: Christian Charisius/dpa
„Ich werde nicht so tun, als hätte ich die homophoben Beleidigungen beim Spiel letzte Nacht nicht gehört. Unserer Gesellschaft wurde gezeigt, dass wir diese Probleme auch 2022 noch haben. Das ist nicht akzeptabel und wir müssen mehr machen, um diese Leute zur Rechenschaft zu ziehen. Hass wird nie gewinnen. Ich werde mich nie dafür entschuldigen, wer ich außerhalb des Fußballs bin. Fußball ist ein Spiel für jeden, egal wer du bist, welche Farbe deine Haut hat und wo du herkommst.“
Es ist Februar 2023. Am Wochenende, in denen die Sportwelt auf den Super Bowl in Phoenix schaut, schlägt im europäischen Fußball Liverpool Everton im Derby, der BVB setzt seine Erfolgsserie fort und Bayern München bereitet sich auf das Champions-League-Achtelfinale bei Paris St. Germain vor. Dazwischen eine Nachricht, die im Februar 2023, einen Tag vor dem Valentinstag, eigentlich keine mehr sein sollte, es aber irgendwie doch ist, weil sie eine Botschaft hat, einen Seltenheitswert: Ein junger Mann erzählt, dass er homosexuell ist.
Homosexualität ist im Profifußball immer noch eine Nachricht wert
Hunderttausende, Millionen junge Menschen sind schwul, lesbisch oder bisexuell, bei einer repräsentativen Umfrage in Europa gaben 6 Prozent der Befragten an, homo- oder bisexuell zu sein. Nicht überall auf der Welt darf das offen gezeigt werden, in Europa weitestgehend schon. Aber es gibt Bereiche, in denen das auch 2023 noch nicht üblich ist: zum Beispiel den Profifußball. Unter anderem, weil es Reaktionen von Fans gibt. Wie jene, von denen der schwule Kicker Josh Cavallo eingangs berichtete.
Homosexualität ist heute in der westlichen Gesellschaft weitestgehend akzeptiert. Aus Film und Fernsehen, Theater und Kino ist Homosexualität nicht mehr wegzudenken – auch wenn es immer wieder Diskriminierung und Beleidigungen gibt. Doch im Männerprofifußball ist man noch weit davon entfernt, Homosexualität als Normalität wahrzunehmen. Fußball, das ist doch der Sport für harte Männer.
„Hi, ich bin Jakub Jankto“, sagt Jakub Jankto am 13. Februar 2023 auf Englisch in die Kamera. Der Hintergrund ist schwarz, seine Stimme klar, der Blick fokussiert in die Kamera. „Wie jeder andere auch habe ich meine Stärken, habe ich meine Schwächen“. Der Blick weicht zur Seite, er spricht weiter, etwas nervöser. „Ich habe eine Familie, ich habe meine Freunde, ich habe einen Job, den ich so gut mache wie ich kann, seit Jahren, mit Ernsthaftigkeit, Professionalität, Leidenschaft. Wie jeder andere auch, möchte ich mein Leben in Freiheit leben, ohne Angst, ohne Vorurteile, ohne Gewalt, aber mit Liebe. Ich bin homosexuell und ich möchte mich nicht weiter verstecken.“
Mit dieser Nachricht wird Jakub Jankto, Mittelfeldspieler des spanischen Erstligacluba Getafe CF, aktuell ausgeliehen an Sparta Prag, binnen Minuten, Stunden weltberühmt. Der tschechische Nationalspieler ist der erste europäische Erstliga-Fußballprofi, der sich während seiner aktiven Laufbahn outet.
„Hier spricht Josh. Ich bin ein Fußballspieler. Ich bin schwul.“
Drei aktive schwule Profifußballer gibt es derzeit, so viele haben sich in der Geschichte nie zeitgleich geoutet. Joshua Cavallo, Linksverteidiger bei Adelaide United in der ersten australischen Liga, veröffentlichte am 27. Oktober 2021 ein Video auf Instagram, es trägt den Titel „meine Wahrheit“. Er ringt um Fassung, dann sagt er: „Hallo zusammen. Hier spricht Josh Cavallo. Es gibt etwas Persönliches, das ich mit allen teilen muss. Ich bin ein Fußballspieler. Ich bin schwul.“
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Joshua Cavallo, genannt Josh, war 21 Jahre alt, als er der erste aktive Erstliga-Fußballprofi der Welt wurde, der sich zu seiner Homosexualität bekannt hat. Im Mai 2022 folgte ein zweiter Spieler, zu diesem Zeitpunkt der einzig offen schwule in Europa. 17 Jahre alt war Jake Daniels, Stürmer bei Blackpool FC in der zweiten englischen Liga, beim Outing. Nun Jakub Jankto, der sogleich Zuspruch von Cavallo erhielt. „Nichts im Leben ist zu fürchten“, schreibt er, „ich bin stolz auf dich, mein Freund.“
Alle drei gaben sie an, sich nicht länger verstecken zu wollen, müde zu sein vom Doppelleben, das sie führten. „Ich habe es mein ganzes Leben lang gehasst, zu lügen und das Gefühl zu haben, mich ändern zu müssen, um dazuzugehören“, ließ Daniels in einem Statement verlauten. „Abseits des Spielfelds habe ich mein wahres Ich versteckt und damit auch, wer ich wirklich bin. Ich habe mein ganzes Leben lang gewusst, dass ich schwul bin, und jetzt fühle ich mich bereit, mich zu outen und ich selbst zu sein.“
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Bis zu 120 schwule Fußballspieler in den deutschen Profiligen
Studien gehen davon aus, dass 80 bis 120 Fußballspieler in den deutschen Profiligen schwul sind. Geschätzt sind fünf bis zehn Prozent der deutschen Bevölkerung homosexuell, das würde bedeuten: „Einer von 11 ist schwul“, wie eine Kampagne des Fußballlandesverbandes Mittelrhein hieß. Immer wieder gibt es solche Aktionen, in Deutschland, Europa und der Welt, die Profikickern Mut zusprechen wollen, Unterstützung versprechen, sich klar gegen Homophobie aussprechen. 2021 ließen sich 800 Fußballerinnen und Fußballer für „11 Freunde“ unter dem Motto „Ihr könnt auf uns zählen“ ablichten, warben dafür, dass sich homosexuelle Mitspieler ihnen anvertrauen.
Doch so einfach ist das nicht, wie der Fall von Josh Cavallo zeigt. Denn auch die Anfeindungen, die er am 8. Januar 2022 beim Finale des Australia Cups gegen Melbourne erlebte, sind Teil seiner neuen Wahrheit. Die Hasskommentare auf seinem Instagram-Account. Die privaten Nachrichten. „Kein Kind und kein Erwachsener sollte die hasserfüllten und verletzenden Nachrichten bekommen, die ich bekommen habe“, heißt es im eingangs zitierten Instagram-Post weiter. Erfahrungen, die Jankto noch nicht machen musste – sein erstes Ligaspiel nach dem Outing steht noch bevor.
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Homophobe Schmähgesänge: Es tut sich was in den Fankurven
Josh Cavallo hatte Angst, dass die Leute ihn anders sehen, dass sie schlecht über ihn sprechen, sich über ihn lustig machen. Weitestgehend erlebt er heute das Gegenteil, wie er auf seinem Instagram-Channel regelmäßig mitteilt. Es seien viel mehr positive Nachrichten, viel mehr ermutigende Gesten, die ihn erreichten. Es gebe Menschen, auch bei jenem Finale, die gegen die homophoben Äußerungen aufgestanden sind.
Das ist das Beste, was einer Kurve passieren kann, wenn sie sich selbst reguliert.
Marcus Wiebusch,
Musiker
Es ändert sich, langsam, aber stetig, sagt Musiker Marcus Wiebusch, Frontmann der Band Kettcar, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er berichtet von einer Situation im Stadion seines Lieblingsvereins, dem FC St. Pauli: „Ein Freund erzählte, dass ein Mann im Fanblock einen homophoben Spruch gegen einen gegnerischen Spieler gebracht hat, daraufhin haben sich fünf, sechs, sieben Leute umgedreht und ganz ohne Aggressivität gesagt: ‚Äh, so reden wir hier nicht!‘. Das ist das Beste, was einer Kurve passieren kann, wenn sie sich selbst reguliert.“ Auch aus anderen Stadien habe er das vernommen.
Kettcar-Sänger Wiebusch: „In Deutschland fehlt einer mit Mut“
2014 veröffentlichte Wiebusch den Song „Der Tag wird kommen“, zusammen mit einem Kurzfilm, in dem es um Homosexualität im Profifußball geht. Der Tag ist gekommen – auf der Welt, in England, in Tschechien, bald auch in Deutschland? „Was lässt uns glauben, dass dem nicht so ist? Der Tag wird kommen, aber machen wir uns nichts vor, das kann nochmal zehn Jahre dauern.“ Er glaube nicht, dass die Situation in England so anders sei als in Deutschland – „also ganz stumpf würde ich sagen: Es fehlt einer mit Mut.“
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In Deutschland hat sich noch nie ein aktiver männlicher Fußballprofi als homosexuell geoutet, wenngleich Homophobie auch von Fußballern angeprangert wird und Profis Zeichen setzen. Manuel Neuer etwa mit der Regenbogenkapitänsbinde oder Leon Goretzka, der auf homophobe Gesänge bei einem EM-Spiel gegen Ungarn mit seinen Händen ein Herz formte und in Richtung jener Fans schickte.
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Nach homophoben Gesängen im EM-Vorrundenspiel Deutschland gegen Ungarn schickte Leon Goretzka ein Herz geformt aus seinen Händen gen ungarischer Fans.
© Quelle: Lukas Barth/Pool EPA/dpa
Gleichzeitig warnt Ex-Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm in seinem Buch „Das Spiel – die Welt des Fußballs“ vor einem Outing, weil er nur geringe Chancen sehe, das „halbwegs unbeschadet“ zu überstehen. Rudi Assauer ging 2010 noch weiter, sagte, Schwule sollten sich einen anderen Sport suchen als Fußball. Auch Kicker aus anderen A-Ligen in Italien oder England haben sich kritisch zu Coming-outs geäußert.
Outing von Thomas Hitzlsperger brachte nicht die erhoffte Welle an Outings
Tony Quindt, schwuler Amateurspieler aus Schleswig-Holstein, hatte 2014 gehofft, dass sich in Deutschland etwas bewegt – nach dem Outing von Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger. Der gab nach seinem Karriereende seine Homosexualität bekannt, bis vor einigen Monaten agierte er als Funktionär beim VfB Stuttgart. Die meisten Reaktionen waren positiv, aber es gab auch homophobe Reaktionen, etwa von Ex-Torhüter Jens Lehmann, der sagte, er hätte es „komisch“ gefunden, mit Hitzlsperger zu duschen, wenn er damals schon von seiner Homosexualität gewusst hätte.
Bis heute ist Hitzlsperger der einzige deutsche ehemalige Fußballprofi, der offen schwul ist. In den deutschen Profiligen der Männer gibt es nur einen einzigen offen homosexuell lebenden Mann: Lucas Krzikalla, Handballspieler beim Erstligisten SC DHfK Leipzig. „Sport, insbesondere Fußball, wird in hohem Maße immer noch mit vermeintlich männlichen Eigenschaften verbunden. Homosexuelle Männer passen demzufolge nicht in den Fußball. Es geht darum, an diesen festgefahrenen Bildern zu rütteln, in der Familie, in der Schule und in den Fußballvereinen“, sagt Sportpsychologe und Spielerberater Martin Schweer dem RND.
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Thomas Hitzlsperger ist bis heute der einzige deutsche Ex-Profi, der sich als schwul geoutet hat.
© Quelle: Tom Weller/dpa
Ausgrenzung, Hass, Karriereende – Was Profisportler fürchten
Schmähgesänge, Ausgrenzung, Karriereende – es gibt verschiedene Gründe, warum Profifußballer schweigen. Nicht jede Fanszene, nicht jeder Verein, nicht jedes Land, nicht jede Familie ist gleich tolerant, mögliche Wechsel könnten beeinträchtigt werden. Und da wäre die Angst. „Aus meiner langen persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass Angst der zentrale Grund dafür ist. Das ist für uns alle noch eine Menge Arbeit, die Bedingungen für homosexuelle Sportler zu verbessern“, sagte Josh Cavallo vor einigen Monaten dem Magazin „Esquire“.
Die Worte von Philipp Lahm und anderen Spielern, die von einem Outing abraten, haben Kritik hervorgerufen. Doch auch die Beratungsstelle „Gay Players United“ rät „dringend“ davon ab, dass Spieler allein und ungeplant von ihrer Homosexualität berichten. Solche Haltungen können zwar jene entmutigen, die gerade überlegen, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Aber: Da sich bisher kein deutscher Fußballprofi geoutet habe, seien die Konsequenzen für den oder die ersten nicht absehbar. „Wir finden mittlerweile eine Reihe von Erfahrungsberichten in den sozialen Medien, in denen erste Reaktionen insgesamt sehr positiv beschrieben werden. Dieses ist aber kein Automatismus“, warnt Schweer. Deshalb sagt auch er: „In meiner Beratungstätigkeit würde ich niemals pauschal zu einem Coming-out animieren. Aus meiner Sicht ist stets zu berücksichtigen, wie die Situation im eigenen Umfeld und im eigenen Verein einzuschätzen ist.“
Es macht was mit einem, wenn man eine Rolle spielt, wenn man alles verstecken muss.
Tony Quindt, schwuler Amateurspieler aus Schleswig-Holstein
Fälle in der Vergangenheit zeigen, wie schwierig es für die Sportler werden kann: Der Brite Justin Fashanu, weltweit erster aktiver schwuler Fußballer, seinerzeit in der zweiten englischen Liga, wurde nach dem Outing 1990 beleidigt und verschmäht. Nachdem ihm vorgeworfen wurde, einen Jungen vergewaltigt zu haben, nahm er sich das Leben. Der US-Amerikaner David Testo fand 2011 nach dem Outing keinen neuen Verein mehr. Der Norweger Thomas Berling beendete seine Karriere nach dem Outing 2001, weil er die homophoben Beleidigungen nicht mehr ertrug.
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Justin Fashanu war 1990 der erste aktive Fußballprofi, der sich als schwul outete. Acht Jahre später nahm er sich das Leben.
© Quelle: imago images/Colorsport
Homosexualität im Profifußball: Der Traum vom Gruppen-Outing
Wie weit ist Deutschland? Was würde mit einem schwulen Spieler passieren? Geht es nach „Gay Players United“ oder auch Quindt und Wiebusch, könnte ein Gruppen-Outing zielführend sein. „Dann verteilt sich der Druck auf verschiedene Schultern, es würde für alle einfacher“, sagt Quindt. Gegnerische Fans hätten weniger Angriffsfläche, wenn auch im eigenen Team ein Spieler schwul sei. Ein Problem ist dabei aber, dass homosexuelle Profisportler oft nicht wissen, wer am gleichen Punkt steht wie sie – es gibt zwar Anlaufstellen, aber keine richtige Vernetzung, schon um die Anonymität zu gewährleisten. Also bliebe vielen Spielern nur der Weg, den Cavallo und Daniels wählten: den, sich alleine ins Rampenlicht zu stellen.
Am Beispiel von Hitzlsperger und Cavallo zeigt sich, was das mit sich bringen kann – auch außerhalb der Fanszene. Es fehlen Ansprechpartner; wann immer es um Homosexualität im Fußball geht, sind die beiden die ersten, die von Medien angefragt werden. Dem RND sagte Hitzlsperger ab, Cavallo ließ die Anfrage unbeantwortet.
Vom Fußballstar zum LGBTQI+-Aktivisten
Ein Spieler, zumal ein junger Spieler, muss diesen medialen Druck aushalten können, muss aushalten können, vom Fußballspieler zum Aktivisten für LGBTQI*-Rechte zu werden. „Als Profifußballer hast du ohnehin eine Vorbildfunktion“, sagt Quindt dazu. Jeder Fußballer sei auch auf seine Weise Aktivist, als Beispiel nennt er die Corona-Hilfsaktion von Joshua Kimmich und Leon Goretzka. „Ich wünsche mir von Profifußballern generell, dass sie Zeichen setzen.“
Wir finden mittlerweile eine Reihe von Erfahrungsberichten in den sozialen Medien, in denen erste Reaktionen insgesamt sehr positiv beschrieben werden. Dieses ist aber kein Automatismus.
Martin Schweer, Sportpsychologe
Dabei kommen aber auch Profikicker an Grenzen, wie man zuletzt bei der WM in Katar sah: Die Fifa untersagte das Tragen der „One Love“-Armbinde, die auf die Rechte von LGTBQI*-Menschen aufmerksam machen sollte. Sämtliche Teams knickten ein und verzichteten auf die Binde. Das Zeichen, das die Fifa damit sendete, lautete daher auch, dass sich Spieler nicht auf den Weltverband verlassen können, nicht auf Schutz hoffen können – wenngleich die Fifa auf Twitter schnell dabei war, Jakub Jankto zuzusprechen, dass man an seiner Seite stehe und Fußball für alle sei.
Quindt hatte 2008 sein Coming-out, ging an die Öffentlichkeit, sprach Fußballern Mut zu. Er begann, schwule Kicker, Profis wie Amateure, zu beraten, die sich bei ihm meldeten. Er saß in DFB Sitzungen und teilte seine Erfahrungen. Auch Trainer und Handballprofis meldeten sich bei ihm, sagt er. „Es macht was mit einem, wenn man eine Rolle spielt, wenn man alles verstecken muss“, sagt er. Wer sich ein Lügensystem aufbaue, müsse sich immer daran halten, immer überall das Gleiche erzählen. „Ich hatte Angst, eine falsche Handbewegung zu machen oder irgendwie schwul zu laufen und habe immer darauf geachtet“, erzählt er. Es könne eine Last wegfallen, offen zu seiner Sexualität zu stehen, sagt Quindt, und damit Leistungen enthemmt werden.
Gruppen-Outing würde Druck rausnehmen
In den Recherchen zu seinem Song „Der Tag wird kommen“ hat Wiebusch ähnliches gehört. Fußballprofis, die aus Angst, als zu soft gesehen zu werden, überkompensieren und zu den Tretern der Liga werden. „Das größte Problem für Jake Daniels wird sein, wenn er in den ersten Spielen nicht die Topleistung abruft“, sagte Wiebusch nach dem Outing von Daniels. Wenn das Team unter fehlenden Leistungen oder Schmähgesängen von den Rängen leide, könnten Fans wie Mitspieler hinterfragen, ob das Outing wirklich sein musste.
Dennoch, es ist aktuell Bewegung in der Sache. Es scheint eine neue Generation zu geben, die, wie Quindt sagt, „ganz anders aufgewachsen ist und es gewöhnt ist, offen ihre Meinung zu sagen“. Ende 2020 outete sich Fifa-Schiri Tom Harald Hagen, Ende 2021 Josh Cavallo, 2022 Jake Daniels und nun Jakub Jankto. Schon zuvor waren es Collin Martin (2018), der damals in der höchsten amerikanischen Spielklasse spielte, und Andy Brennan (2019), einem semi-professionellen Kicker aus Australien. Auch Robbie Rogers, der in einer Karrierepause 2013 seine Homosexualität öffentlich machte, kickte danach noch bis 2017 für Los Angeles Galaxy.
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Tom Harald Hagen ist der erste Fifa-Schiedsrichter, der sich offiziell geoutet hat.
© Quelle: imago images/Bildbyran
Es ist eine Generation, die sich weniger vor möglichen Konsequenzen fürchtet, vor den Schmähgesängen, vor dem Karriereende, vor Ausgrenzung und Anfeindungen, als vor einem Netz aus Lügen und dem Versteckspiel. Männer, die nicht einen Teil ihrer Identität und ihrer Persönlichkeit verbergen wollen, um die wenigen Jahre risikofrei zu nutzen, die sie als Profifußballer haben. Männer, die in einem Umfeld aufgewachsen sind, in dem Homosexualität zur Normalität gehört – und die alle Seiten von sich zeigen wollen. Die sich beraten lassen, aber zu dem Entschluss kommen, dass sie das persönliche Risiko eingehen wollen. Die darauf hoffen, dass die Gesellschaft bereit für sie ist.
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