Sondereinheit „Heat“: Wie NRW gegen Geldautomatensprenger vorgehen will
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Ein gesprengter Geldautomat ist hinter einem Flatterband mit der Aufschrift „Polizeiabsperrung" zu sehen. (Archivfoto)
© Quelle: Matthias Balk/dpa/Symbolbild
Düsseldorf. Der Innenausschuss des Landtags saß Anfang März schon mehrere Stunden zusammen, hatte über die Kriminalitätsstatistik, Hackerangriffe und Drogen debattiert, da griff Innenminister Herbert Reul (CDU) zu seinem letzten Sprechzettel. Und der hatte es in sich. Wer da noch konzentriert zuhörte, vernahm das Wort „Trendwende“. „Langsam machen wir Gelände gut“, betonte Reul. Und: „Meine Überzeugung ist, dass wir das Phänomen zunehmend besser in den Griff kriegen.“ Das Phänomen, von dem Reul sprach: gesprengte Geldautomaten.
Die Polizei hat gerade ihre inzwischen fast berühmte Ermittlungskommission (EK) mit dem Namen „Heat“ neu aufgestellt: Bislang war die Einheit nur im Landeskriminalamt angesiedelt. Jetzt werden sechs weitere EK in den großen Polizeibehörden Bielefeld, Münster, Dortmund, Essen, Düsseldorf und Köln geschaffen. Das heißt: Statt einem Anti-Sprenger-Team gibt es dann sieben.
„Das Ziel ist dabei, den Expertenstatus der Ermittlungskommission ‚Heat‘ des LKA NRW zu vervielfältigen. Sieben Kommissionen werden künftig fachlich, technisch, innovativ und schnell zusammenarbeiten, um das Phänomen mit all seinen Facetten zu bekämpfen“, so ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage.
Tatsächlich ist der Kampf trotz Reuls überraschenden Worten im Innenausschuss noch im vollen Gange. Seit Reuls Rede gab es 13 Attacken auf Geldautomaten, insgesamt waren es in diesem Jahr schon 44 – zuletzt hat es in der Nacht zu Montag in Wuppertal-Ronsdorf gekracht. Was Reuls Theorie stützt: Die Zahl ist immer noch niedriger als zur gleichen Zeit im vergangenen Jahr. Und: Die Zahl der Taten in anderen Bundesländern nimmt zu.
15 mutmaßliche Automatensprenger seit Jahresbeginn festgenommen
Die Wucht der Angriffe auf Automaten wird unterdessen krasser: Inzwischen benutzen die Täter keine Gasflaschen mehr, sondern echten Sprengstoff. Damit jagen sie nicht nur Automaten in die Luft, sondern machen teilweise ganze Häuser unbewohnbar. Vor wenigen Tagen die neue Eskalationsstufe: In Ratingen wurden zwei gegenüberliegende Geldautomaten gesprengt – zur gleichen Zeit.
Ironie des Schicksal: Eines der beiden Geräte in Ratingen befand sich in einem Haus, dessen Miteigentümer den Geldautomaten wegklagen wollte – weil er eben Angst vor einer Sprengung und Schäden an dem Haus hatte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte seinen Antrag abgelehnt. Es gebe nur eine „abstrakt rechnerische Gefahr“, dass es ausgerechnet diesen Automaten treffen könnte, so das Gericht vor genau einem Jahr. Aus der abstrakten Gefahr wurde eine konkrete Sprengung. Jetzt hofft der damalige Kläger laut Medienberichten, dass er die Bank und die Miteigentümer des Hauses überzeugen kann, dass es wenigstens keinen neuen Automaten geben wird.
15 mutmaßliche Automatensprenger hat die Polizei dieses Jahr immerhin schon festgenommen. Vor zwei Wochen gab es einen Zufallstreffer. Bei einer Razzia wegen des Verdachts der Zwangsprostitution fanden die Ermittler in Aachen einem Karton mit dem Sprengstoff TATP. Die Polizei traute sich nicht, das hochgefährliche Zeug wegzufahren und ließ es einer Grube nahe dem Mietshaus explodieren. Mehrere Scheiben gingen zu Bruch. Der eingesetzte Roboter blieb heil. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Mieter – ein Mann und eine Frau – Helfer von Automatenknackern waren. Beide wurden verhaftet.
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Mitarbeiter der Kriminaltechnik untersuchen nach der Sprengung eines Geldautomaten in Kierspe (Märkischer Kreis) eine schwer beschädigte Volksbank-Filiale.
© Quelle: picture alliance/dpa
Anfang März nahm die Polizei drei mutmaßliche Automatensprenger nach einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd fest. Dabei hatten die Täter die Polizisten sogar mit einem Laserpointer geblendet. Das Trio aus den Niederlanden hatte zuvor eine SB-Filiale in Kierspe gesprengt. Der Sachschaden: Im sechsstelligen Bereich. Die Beute fand die Polizei im Auto, den Rest sammelte man von der Straße auf. Die Bankchefs kündigten an, alles wieder aufzubauen – und noch mehr zu sichern.
Auch Präventionsmaßnahmen sollen helfen
Das wird Innenminister Reul gerne hören: Er nimmt immer wieder die Kreditinstitute in die Pflicht. Im Innenministerium hat er eine Sonderkommission (Soko) mit der Abkürzung BEGAS („Bekämpfung und Ermittlung von Geldausgabeautomaten-Sprengungen“) eingerichtet. Die Soko hat unter anderem eine Karte mit jedem EC-Automaten in NRW erstellt. Für jeden Standort wurde analysiert, wie gefährdet er ist (weil zum Beispiel eine Autobahn in der Nähe oder die nächste Polizeiwache weit weg ist). Die streng geheimen Daten wurden den Banken übermittelt – die daraus ihre Schlüsse ziehen sollen.
Immerhin: Nach der Analyse der 182 Angriffe auf Geldautomaten in NRW im vergangenen Jahr weiß das Innenministerium zu berichten, „dass bereits eine Vielzahl an Präventionsmaßnahmen durch die Betreiber umgesetzt werden.“ So sei von den Automaten „deutlich mehr als die Hälfte“ videoüberwacht gewesen. Jeder dritte Automat habe eine Vorrichtung zu Neutralisierung von Gas gehabt (was bei Sprengstoff allerdings auch nichts nützt). Jedes fünfte Gerät sei durch eine Vernebelungsanlage geschützt gewesen, in acht Fällen ergossen sich Farbpatronen über die Scheine.
Was wirklich wirkt, sieht man in den Niederlanden. Weil dort jeder alles mit Karte bezahlt, gibt es bei den Nachbarn kaum noch Geldautomaten. Und dadurch eben auch nur noch einen Bruchteil an Sprengattacken. Im bargeldverliebten Deutschland scheint das bislang keine Option.