Wegen Beihilfe zur Abtreibung

Polnische Aktivistin steht verzweifelten Schwangeren zur Seite – und wird verurteilt

Abortion Dream Team heißt die Organisation von Justyna Wydrzyńska, die verzweifelten Schwangeren in Polen zur Seite steht. Eine Verurteilung Wydrzyńskas sorgt für Protest, Menschenrechtler sprechen von einem politisch motivierten Prozess.

Abortion Dream Team heißt die Organisation von Justyna Wydrzyńska, die verzweifelten Schwangeren in Polen zur Seite steht. Eine Verurteilung Wydrzyńskas sorgt für Protest, Menschenrechtler sprechen von einem politisch motivierten Prozess.

Brüssel. Eine Beziehung voller Gewalt, eine weitere Schwangerschaft. Justyna Wydrzyńska wusste: Sollte sie in diese Lage kommen, würde sie nie aus der Ehe entfliehen können. Die Polin entschloss sich, sich mit Abtreibungspillen zu wappnen. Dann sah sie bei Ania, wie sich ihre Geschichte wiederholte. Wir schreiben das Jahr 2020, die Corona-Pandemie hält mit Lockdowns Einzug in Europa. Justyna Wydrzyńska weiß genau, wie es Ania geht, erkennt die gleiche verfahrene Situation wie bei sich selbst. Sie versorgt Ania mit Pillen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Ich habe die Pillen einfach verschickt, sie geteilt, weil ich dachte, dass es gut für sie wäre, sie greifbar zu haben“, sagt Wydrzyńska heute. Damit hätte sich Ania leichter aus ihrer von Gewalt geprägten Beziehung befreien können. „Ich sehe wirklich die gleiche Geschichte in unserem Leben.“

Urteil wegen Beihilfe zur Abtreibung

Doch die polnische Justiz sieht den Fall anders. In der vergangenen Woche wurde Wydrzyńska von einem Warschauer Gericht wegen Beihilfe zur Abtreibung verurteilt. Der Partner von Ania – so nennen polnische Medien das Opfer häuslicher Gewalt – hatte die beiden angezeigt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

In Polen ist Schwangerschaftsabbruch in nahezu allen Fällen illegal. Ausnahmen gibt es nur bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter oder nach Vergewaltigung oder bei Inzest. Einige polnische Frauen reisen ins Ausland, um abzutreiben. Andere bestellen Pillen, um ihre Schwangerschaft zu beenden.

Besitz und Einnahme von Abtreibungspillen sind nicht per se verboten, doch das Medikament bereitzustellen oder bei seiner Beschaffung zu helfen, ist strafbar. Bis zu drei Jahre Haft können dafür verhängt werden. Für Justyna Wydrzyńska lautete das Urteil Sozialstunden über zehn Monate hinweg.

„Justyna ist die erste Aktivistin, die wegen der Unterstützung von Schwangerschaftsabbruch verurteilt wurde. Das Vorgehen der polnischen Behörden gegen sie ist beschämend“, protestiert Eve Geddie von Amnesty International in Brüssel. Dorthin ist Wydrzyńska dieser Tage gereist, um finanzielle Unterstützung der EU für ihre Organisation Abortion Dream Team zu beantragen. Die gibt es seit 2016, die dreifache Mutter Wydrzyńska ist Mitbegründerin.

Wydrzyńska geht in die Berufung

Abortion Dream Team bietet Informationen und Unterstützung, unter anderem bei der Besorgung von Abtreibungspillen. Im Urteil gegen Wydrzyńska fürchten Menschenrechtler wie Geddie nun einen Präzedenzfall. Sie sehen die Gefahr, dass das Vorgehen der Justiz das Hilfenetz für verzweifelte Schwangere dünner werden lässt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nach offiziellen Statistiken wurden in Polen, einem Land mit fast 40 Millionen Einwohne­rinnen und Einwohnern, im Jahr 2021 insgesamt 107 Schwangerschaftsabbrüche vorge­nommen. Für das Abortion Dream Team sagen diese Zahlen gar nichts aus: Die Organisation hilft nach eigenen Angaben täglich rund 100 Frauen, Zugang zu Abtreibungspillen zu bekommen, und einer guten Handvoll weiterer Frauen, zum Schwangerschaftsabbruch ins Ausland zu reisen.

Seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine seien auch rund 2000 Frauen unterstützt worden, die sich als Ukrainerinnen vorgestellt hätten. „Wir stellen keine Fragen“, sagt Natalia Broniarczyk, eine weitere Dream-Team-Aktivistin, die mit nach Brüssel gereist ist.

Wydrzyńska will sich nicht unterkriegen lassen und geht in die Berufung gegen ihre Verurtei­lung. Sie habe von vielen Frauen Solidaritätsbekundungen erhalten, sagt sie. Darunter seien auch Angebote gewesen, die Sozialstunden an ihrer Stelle zu verrichten.

Dass die Berufung bald angehört wird, zeichnet sich allerdings nicht ab. Und Wydrzyńska braucht wohl noch viel Energie: „Ich fühle mich sehr müde, weil es mir viel Kraft abverlangt, mich diesem Rechtssystem zu stellen“, sagt sie. „Aber gleichzeitig bin ich so wütend.“

Der Prozess sei zermürbend und unvorhersehbar gewesen. „Es ist, wie wenn man mit jemandem Karten spielt und seine Karten irgendwie gezinkt sind. Ich habe das Gefühl, betrogen worden zu sein.“ Geddie von Amnesty International ergänzt: „Wir haben keinen Zweifel daran, dass die Strafverfolgung von Justyna politisch motiviert war.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch Ania musste vor Gericht aussagen. Sie sei stolz auf sie, sagt Wydrzyńska. „Sie war wirklich sehr mutig und so ehrlich“, erklärt sie. „Sie hat gezeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist.“ Als Ania in den Zeugenstand trat, sei ihr mehr denn je klar geworden, dass sie selbst bei einer Haftstrafe in ihrem Engagement nicht nachlassen dürfe, sagt die Aktivistin. „Dass wir unsere Arbeit machen müssen, egal was passiert.“

Und dann plant sie ein Treffen mit Ania in naher Zukunft: „Ich hoffe, dass es bald einen Moment geben wird, in dem wir die Gelegenheit haben, an einem ruhigen Ort zu sitzen und uns unsere Geschichten zu erzählen.“

RND/AP

Mehr aus Panorama

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken