„Es geht um Leben und Tod“: Hilfsorganisationen warnen vor humanitärer Katastrophe in Afghanistan
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Frauen werden unter dem Taliban Regime in Afghanistan immer mehr aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt.
© Quelle: IMAGO/Le Pictorium
Berlin. Internationale Hilfsorganisationen haben vor einer massiven humanitären Katastrophe in Afghanistan gewarnt. Die islamistischen Taliban hatten in der vergangenen Woche die Mitarbeit von Frauen in Nichtregierungsorganisationen verboten. Die Organisationen Save the Children, World Vision, Care International und Norwegian Refugee Council (NRC) haben daraufhin ihre Arbeit in dem Land eingestellt.
„Die Einstellung unserer Arbeit in Afghanistan war keine freiwillige Entscheidung. Wir wurden dazu gezwungen, weil wir ohne unsere weiblichen Mitarbeiterinnen nicht sicher arbeiten können“, sagte Inger Ashing, Geschäftsführerin von Save the Children, am Donnerstag in einer Onlinepressekonferenz der vier Organisationen.
„Ohne unsere Mitarbeiterinnen kann unsere Arbeit nicht funktionieren“
„Während die De-facto-Regierung diese Entscheidung getroffen hat, sind die afghanischen Frauen, Männer und Kinder einer der weltweit größten humanitären Krisen ausgesetzt“, warnte Ashing. „Afghanistan ist mit seiner größten Lebensmittelkrise seit Beginn der Aufzeichnungen konfrontiert“, sagte sie. Sechs Millionen Menschen stünden am Rande einer Hungersnot, etwa 19 Millionen Menschen seien von Lebensmittelunsicherheit betroffen. „Wenn wir unsere Arbeit nicht wieder aufnehmen können, werden Kinder sterben. Hunderttausende Menschen werden sterben. So ernst ist die Lage“, sagte die Schwedin. Allein Save the Children habe 73.000 schwer unterernährte Kinder in Afghanistan behandelt, deren Leben nun unmittelbar gefährdet seien.
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung benötige Unterstützung, um zu überleben, sagte Sofia Sprechmann Sineiro, Generalsekretärin der Organisation Care International. „Frauen und Kinder sind mit noch größeren Hürden konfrontiert“, sagte sie. Eine aktuelle Studie von Care habe gezeigt, dass Frauen und Mädchen in Afghanistan bereits jetzt diejenigen seien, die als Letztes und am wenigsten essen, wenn es innerhalb eines Haushalts an Essen mangelt.
„Ohne unsere weiblichen Mitarbeiterinnen kann unsere Arbeit nicht funktionieren. Das ist keine politische Entscheidung, das ist die Realität“, sagte auch Adam Combs vom Norwegian Refugee Council. Die Entscheidung der Taliban setze große Teile der von internationaler Hilfe abhängigen afghanischen Bevölkerung einer großen Gefahr aus.
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Deutscher UN-Spitzendiplomat Potzel: Taliban haben sich nicht verändert – „drakonische Maßnahmen“ gegen Frauen
Die Frauenrechte in Afghanistan werden immer weiter eingeschränkt. Die Lage im Land verschlimmert sich, sagt Markus Potzel, stellvertretender UN-Sondergesandte und früherer deutscher Botschafter in Afghanistan, im RND-Interview. Westliche Staaten wie Deutschland sollten seiner Ansicht nach wieder Botschaften in Kabul eröffnen.
Bundesregierung stellt Projekte vorübergehend ein
Die Hilfsorganisationen hoffen nun, dass der Druck der internationalen Gemeinschaft zu einer Rücknahme der Taliban-Entscheidung führt. Die Außenministerinnen und Außenminister von Deutschland und elf weiteren westlichen Industrienationen sowie der EU-Außenbeauftragte Josep Borell hatten am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung die Rücknahme der Taliban-Entscheidung gefordert.
Die Bundesregierung hatte zuletzt ebenfalls die Arbeit in Projekten zur Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan vorübergehend eingestellt. Die Arbeit ruhe, die Gehälter der Menschen, die in den Projekten mitarbeiten, würden jedoch weitergezahlt, sagte ein Sprecher des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am Mittwoch in der Bundespressekonferenz in Berlin.
Bei der Aussetzung der Zahlungen gehe es darum, „noch einmal deutlich zu machen, dass ohne die Mitarbeit von Frauen in den Organisationen, die vor Ort Hilfe leisten, keine sinnvolle Unterstützung der Bevölkerung in Afghanistan möglich ist.“ Die Verantwortung dafür, dass den Menschen geholfen werden kann, liege bei den Taliban.