Arztpraxis zu verschenken – warum das in Zukunft öfter passieren wird
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Ein Plakat mit dem Text steht am Ortseingang von Friederichskoog. Hausärzte werden in vielen ländlichen Regionen gesucht.
© Quelle: picture alliance/dpa
„Große Kinderarztpraxis zu verschenken. Warum: ca. 2500 Kinder ohne pädiatrische Grundversorgung. Wann: ab 1. Juli 2023″ – diese Anzeige sorgt derzeit in Rehburg-Loccum, etwa 40 Kilometer westlich von Hannover, für einige Aufregung. Aber auch in den sozialen Netzwerken hat die Anzeige hohe Aufmerksamkeit hervorgerufen. Zwar ist es längst nicht das erste Mal, dass sich in Deutschland Ärztinnen und Ärzte zu diesem Schritt entschließen, um überhaupt einen Nachfolger für die Praxis zu finden. Aber es ist abzusehen, dass diese Fälle zunehmen werden – allerdings nur in bestimmten Regionen.
Die gute Nachricht: Noch ist die Versorgung mit niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen im bundesweiten Durchschnitt relativ gut. Gemessen an den Planungsgrößen der Kassenärztlichen Vereinigungen, die für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung zuständig sind, gibt es derzeit beispielsweise bei den Kinder- und Jugendärzten 136 offene Arztsitze bei insgesamt über 8000 Medizinern in diesem Bereich. Bei den Augenärzten (6500 Medizinerinnen und Mediziner) sind 125 Sitze unbesetzt. Die größte Lücke gibt es mit rund 4100 offenen Sitzen bei den Hausärztinnen und Hausärzten – das ist mit über 55.000 Medizinerinnen und Medizinern aber auch der größte Sektor im niedergelassenen Bereich.
Kein bundesweiter Ärztemangel
Angesichts dieser Zahlen spricht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) daher auch nicht von einem bundesweiten Ärztemangel. „Rein statistisch betrachtet erreichen über 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger innerhalb von zehn Minuten den nächsten Hausarzt – ein international einzigartiger Wert“, sagt KBV‑Chef Andreas Gassen. Die Lage dürfte sich aber schon in den nächsten Jahren deutlich verschlechtern: Die Ärzteschaft altert. Insbesondere die Hausärzte haben im Vergleich mit anderen Fachgruppen einen hohen Altersdurchschnitt: Gut jeder dritte Hausarzt ist älter als 60 Jahre alt. Für die niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen gibt es zwar keine Altersgrenze mehr, doch spätestens mit 70 Jahren wollen dann doch viele Mediziner und Medizinerinnen in den Ruhestand gehen.
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Außerdem wird für Ärztinnen und Ärzte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer wichtiger, weshalb zunehmend auf die eigene Praxis verzichtet wird. Bereits jeder vierte Arzt ist angestellt, vor zehn Jahren war es erst gut jeder zehnte. Zudem ist der Anteil der Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Teilzeit von 10 Prozent 2012 auf rund 31 Prozent (2021) gestiegen. Dadurch nimmt die sogenannte Arztzeit im Schnitt ab.
Trotz dieser Faktoren ist es zumindest in Ballungszentren mit guter sozialer Durchmischung kein Problem, Praxisnachfolger zu finden. Im Gegenteil: Weil inzwischen zahlungskräftige Finanzinvestoren auf dem Markt mitmischen, werden hier für attraktive Praxissitze mitunter Millionensummen gezahlt.
Probleme in ländlichen Regionen
Anders sieht die Lage jedoch bundesweit in strukturschwachen Regionen aus. „Problematisch ist es für einige ländlich geprägte Regionen, die ohnehin strukturell benachteiligt sind und wo sich Infrastrukturen wie Post oder auch der berühmte Tante-Emma-Laden bereits längst zurückgezogen haben“, sagte KBV‑Chef Gassen. Aber selbst in Berlin, und hier vor allem in den östlichen Teilen, gibt es Probleme, Arztsitze zu besetzen: Erst Anfang der Woche hatte die Kassenärztliche Vereinigung der Hauptstadt mitgeteilt, selbst eine weitere Hausarztpraxis zu eröffnen. Dort werden dann Ärzte angestellt, um die Versorgungslücken zu schließen.
„Es muss das Interesse der Politik sein, attraktive Rahmenbedingungen für die Niederlassung zu ermöglichen, mehr Zwang oder Regulation hätte eher negative Auswirkungen“, fordert KBV‑Chef Gassen. Aber auch die Gemeinden müssten sich engagieren. „Ohne Kindergärten und Schulen sowie gute Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten ist es schwer, junge Mediziner für das Land zu begeistern“, mahnt er. Man dürfe nicht vergessen: Mit fast einer Milliarde Arzt-Patienten-Kontakten jährlich stemmten die Niedergelassenen einen Großteil der medizinischen Versorgung in Deutschland, so der Kassenärzte-Chef.