„Das FSB-Gebäude brennt wunderschön“
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Rostow am Don, 16. März 2023: Büros des Geheimdienstes FSB stehen in Flammen, Teile des Gebäudes stürzen ein.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Alles ist ruhig, alles ist unter Kontrolle: Diesen Idealzustand seines Überwachungsstaats lässt sich Wladimir Putin gern routinemäßig in den Kreml melden. Es ist ein Zustand, der sich nicht von selbst ergibt. Mehr als eine Million Russinnen und Russen, die offiziell oder inoffiziell für Putins Polizei oder einen seiner geheimen Dienste arbeiten, sind rund um die Uhr bemüht, Ruhe und Kontrolle im Riesenreich Russland herzustellen.
Keiner von ihnen allerdings konnte verhindern, dass am 16. März 2023 plötzlich alles ganz anders aussah: nach Unruhe, nach Kontrollverlust, sogar nach einer frechen Herausforderung für den russischen Staatschef und sein Regime.
In Rostow am Don, einer russischen Großstadt mit mehr als einer Million Einwohnern, standen plötzlich die Regionalbüros des nationalen Geheimdienstes FSB in Flammen.
Das Regime klingt orwellianisch
Das Feuer bekam rasch etwas Rasendes. Eine massive schwarze Rauchsäule erhob sich über der Stadt, Augenzeugen berichteten von Explosionen, Teile des Gebäudes kollabierten.
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Das lokale FSB-Büro in Rostow am Don geht in Flammen auf.
© Quelle: action press
Auf inoffiziellen Kanälen kursieren jetzt passende Deutungen: Brandstifter, heißt es, hätten offenbar eine klug kalkulierte Kettenreaktion in Gang gesetzt, bei der die Flammen erst die Büros erfassten, dann die in einem nahen Gebäude gelagerte Munition für Schusswaffen und schließlich die ebenfalls zum FSB-Komplex gehörenden Treibstofftanks. Nur so habe das Feuer sein spektakuläres Format gewinnen können.
Die Erklärungen des Regimes indessen hörten sich nach orwellianischen Verdrehungen der Wahrheit an. Danach muss das Feuer von selbst entstanden sein. Putins Regionalgouverneur Vasily Golubev teilte den Medien mit, die Ursache sei „ein elektrischer Kurzschluss“, der dazu geführt habe, dass „Behälter mit Kraftstoff und Schmiermitteln explodierten“.
Den Gedanken, dass Brandstifter unterwegs sind in Russland, will das Regime nicht zulassen. Das nämlich würde nach Kontrollverlust aussehen und nach Leuten, die sich gegen das Regime erheben, Putin einen Denkzettel verpassen und dann noch davonkommen. Das darf nicht sein. Lieber deuten die Verantwortlichen deshalb bei immer neuen rätselhaften Bränden auf immer neue seltsame Selbstentzündungen.
Zufälliges Feuer im Raketenlabor?
Ein Kurzschluss wie in Rostow am Don ereignete sich nach russischen Behördenangaben auch in der Stadt Twer, gelegen an der Bahnstrecke von Moskau nach St. Petersburg. Hier traf es – angeblich zufälligerweise – ein Forschungsinstitut, das sich mit Technologie für Raketenantriebe beschäftigt. 22 Menschen fanden dort am 21. April 2022 unter rauchenden Trümmern den Tod.
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„Verstoß gegen die Brandschutzordnung“: Das aus ungeklärter Ursache am 21. April 2022 ausgebrochene Feuer im russischen Forschungsinstitut für Luftverteidigung in Twer tötete 22 Menschen.
© Quelle: IMAGO/SNA
Statt Aufklärung zu verlangen, blies Russlands Obrigkeit schon damals nur bürokratischen Nebel über alles. Es sei, meldete die staatliche Nachrichtenagentur TASS am 30. April 2022, eine Untersuchung angeordnet worden „nach Teil 3 des Artikels 219 des russischen Strafgesetzbuchs (Verstoß gegen die Brandschutzordnung mit fahrlässiger Tötung von zwei und mehr Personen)“.
Seither gab es in Russland immer neue mutmaßliche Brandanschläge, in immer engerem Takt. Chemiewerke rutschten qualmend in sich zusammen, Warenlager gingen in Flammen auf. Mal loderten Pro-Putin-Bücher in einem Druckhaus in Moskau, mal rückten Zündler gegen ein Rekrutierungsbüro im 6400 Kilometer entfernten Wladiwostok vor.
Dass es sich tatsächlich um Anschläge handelte statt um puren Zufall, konnte bald nicht mehr geleugnet werden: Auf Videos in Social Networks sah man nach Putins Mobilisierungsbeschlüssen Leute, die es sogar wagten, vor laufender Kamera Brandsätze auf Einberufungs- und Musterungsbüros der Armee zu schleudern.
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Bis Ende vorigen Jahres zählte das russische Oppositionsportal Mediazona allein 77 Attacken dieser Art – denen allerdings nicht immer ein nennenswerter Brand folgte.
Die Liste „Russia Mystery Fires“ auf Wikipedia dagegen konzentriert sich auf veritable Brände mit hohen Schäden, die als solche unumstritten sind – bei denen aber weiterhin über die Ursache gerätselt wird. Die Zahl dieser Fälle stieg seit dem Einmarsch in die Ukraine inzwischen auf mehr als 100.
Regelmäßig gerät in der Debatte um die Urheberschaft der Brände die Ukraine in Verdacht – die jedoch alle Beschuldigungen von sich weist. Offenbar zündeln in Russland tatsächlich Gruppierungen, von denen man sowohl im Land selbst wie auch im Westen dachte, es gebe sie nicht mehr: regimefeindliche Russen, unerschrocken, zunehmend vernetzt – und bereit zu neuen Taten.
Mehr Attacken aufs Bahnnetz
Im Internet kursieren diverse Gruppenbezeichnungen für russische Partisanen, darunter Black Bridge, National Republican Army, Stop the Wagons und Legion of Freedom of Russia. Letztere wurde am 17. März 2023 vom Obersten Gericht Russlands zu einer Terrororganisation erklärt.
Geheimdienste im Westen zögern mit abschließenden Beurteilungen der Zündlerszene und ihrer tatsächlichen Schlagkraft, sehen aber einen Trend zu insgesamt wachsenden Aktivitäten. So gebe es immer mehr Attacken auf das russische Bahnnetz.
Einige russische Dissidenten im Ausland klingen unterdessen so, als würden sie am liebsten selbst mitzündeln. Über den jüngsten Zwischenfall in Rostow am Don schrieb der radikale Putin-Gegner llya Ponomarev: „Das FSB-Gebäude brennt wunderschön ... Ehre den Partisanen!“