Wo CDU und FDP verloren haben – und die AfD zulegen konnte
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Richtungsweisende Wahl für Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) (links) – er wird wohl weiterregieren. Für Bernd Althusmann (CDU) sieht es hingegen düster aus.
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Es ist fast genau fünf Monate her, da jubelte im Norden Deutschlands ein amtierender Ministerpräsident. Daniel Günther hatte sich deutlich bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein durchgesetzt. Ein Baustein seines Erfolges: Seine Beliebtheit über die Parteigrenzen hinaus. Anhänger und Anhängerinnen fast aller Parteien bescheinigten ihm zu mehr als 80 Prozent, seine Sache als Ministerpräsident eher gut zu machen.
Ganz so hoch sind die Zustimmungswerte für Niedersachsens Ministerpräsident bei der Landtagswahl in Niedersachsen zwar nicht. Allerdings: Auch über Weil sagen 71 Prozent aller Wählenden, dass er seinen Job „eher gut“ mache, wie die Analyse der Forschungsgruppe Wahlen zur Landtagswahl zeigt. Dafür wurden in der Woche vor der Wahl 1520 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte telefonisch befragt sowie 18.794 Wähler und Wählerinnen am Wahltag selbst. Zum Vergleich: Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen erhielt bei der dortigen Landtagswahl in diesem Jahr nur Zustimmungswerte von 61 Prozent.
Die SPD zeichnete sich schon kurz nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend als deutlicher Sieger ab. Zwar verloren die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen etwa 4 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Landtagswahl. Allerdings blieben sie mit rund 34 Prozent der Wählerstimmen gut 5 Prozentpunkte vor der CDU (ca. 28 Prozent). Über Zugewinne freuen konnten sich nur die Grünen, die um mehr als 5 Punkte zulegten – ebenso wie die AfD, die etwa 11 Prozent der Wähler- und Wählerinnenstimmen holen konnte. Unsicher war am Abend noch, ob die FDP den Sprung in den Landtag schaffen würde. Die Linke hingegen verlor deutlich und konnte nicht ins Landesparlament einziehen.
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© Quelle: RND
Die SPD konnte vor allem bei älteren Wählenden viele Stimmen holen. Ganze 42 Prozent der Wählerinnen und Wähler über 60 machte ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen – so viel wie bei keiner anderen Partei. Grüne und FDP hingegen holen ihre stärksten Ergebnisse wie bei anderen Wahlen auch bei den jungen Wählenden unter 30. Die Union holt ihr stärkstes Ergebnis bei den älteren Wählenden – liegt mit 32 Prozent aber deutlich hinter der SPD.
Energiekrise und Inflation: Aktuelle Themen prägen Wahlentscheidung
2017 noch war für die Niedersachsen und Niedersächsinnen das Thema Bildung und Schule das wichtigste bei der Landtagswahl. In diesem Jahr machen sich vor allem die aktuellen politischen Entwicklungen bemerkbar. Nicht nur, dass 45 Prozent der Befragten angaben, ihre Wahlentscheidung hänge maßgeblicher von der Politik im Bund ab – 2017 waren es nur 33 Prozent. Bildung und Schule liegen bei der aktuellen Landtagswahl unter den wichtigsten Themen nur auf dem dritten Rang. Davor setzen sich Energie und Versorgungssicherheit sowie Preise und Inflation deutlich ab. Jeweils mehr als ein Drittel der Befragten gab diese Bereiche als wichtig für die Wahlentscheidung an.
Profiteur der Krisenstimmung ist vor allem die AfD. Lag die Partei in den Umfragen Ende August/Anfang September noch bei gut 7 Prozent, holte sie in den letzten Wochen deutlich auf. Zwei Drittel der Befragten glauben, dass gerade der Krieg gegen die Ukraine und die hohen Preise der Partei nutzen. Das spiegelt sich auch in der politischen Haltung wider: 74 Prozent aller befragten Wählerinnen und Wähler befürworten die Unterstützung der Ukraine – selbst wenn das zu hohen Energiepreisen führe. Unter den Anhängern der AfD sind es gerade einmal 17 Prozent.
Zuspruch bekommt die AfD mehrheitlich von Männern – dort stimmten 14 Prozent der Befragten für die Partei, bei den Frauen sind es nur 9 Prozent. Die SPD liegt in beiden Lagern deutlich vorn.
Lösungskompetenzen für aktuelle Krisen sehen die Wählenden aber vor allem bei den niedersächsischen Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen. Traditionell stark beim Thema soziale Gerechtigkeit liegt die Partei von Stephan Weil bei den Wählerinnen und Wählern auch in allen anderen Themengebieten vorn. Bitter für die Union: Die SPD läuft ihr mittlerweile auch beim Thema Wirtschaft den Rang ab.
Brisant dabei: Schon vor fünf Jahren trennte Union und Sozialdemokraten nur ein Prozentpunkt beim Thema Arbeitsplätze (35 Prozent CDU, 34 Prozent SPD) – schon 2017 hatte die Union damit ihren teils hohen Kompetenzvorsprung in diesem Bereich eingebüßt. Bitter für die Grünen: Obwohl die Wählenden sie beim Thema Energieversorgung vergleichsweise kompetent einschätzen, hat die Partei bei den Punkten Bekämpfung hoher Preise, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit deutlich weniger Zutrauen. Zurückzuführen dürfte das wohl auch auf die jüngsten politischen Entscheidungen im Bund sein, wo Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck mit dem Vorhaben, eine Gasumlage einzuführen, deutlichen Unmut auf sich und seine Partei zog.
Wie schon bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen konnten die Grünen vor allem unter Akademikern und Akademikerinnen Wählende für sich gewinnen.
27 Prozent der Befragten mit Hochschulabschluss gaben an, die Grünen zu wählen. Damit liegt die Partei in dieser Kategorie nur einen Prozentpunkt hinter dem Wahlgewinner SPD. Die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen holen die meisten Stimmen hier bei Menschen mit Hauptschulabschluss – ebenso wie die Union. Die AfD punktet vor allem bei Wählerinnen und Wählern mit mittlerer Reife.
FDP büßt unter Selbstständigen deutlich ein
In der Arbeiterklasse gewinnt die Partei von Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes im Vergleich zu 2017 8 Prozentpunkte hinzu. Weils SPD hingegen büßt in der Berufsgruppe, die traditionell als die ihre gilt, deutlich ein (minus 6 Punkte im Vergleich zur letzten Landtagswahl).
Einen Einbruch in einem ihrer Hauptwählerfelder muss auch die FDP hinnehmen. Schon bei der Landtagswahl in NRW im Mai büßten die Freien Demokraten 15 Prozentpunkte bei den Selbstständigen ein. So hoch ist der Verlust in Niedersachsen nicht – allerdings ist er mit 6 Prozentpunkten weniger im Vergleich zu 2017 dennoch deutlich – und könnte die Partei am Ende sogar den Einzug in den Landtag kosten. FDP-Chef Christian Lindner führte das enttäuschende Wahlergebnis seiner Partei auch auf die Ampelkoalition im Bund zurück. „Denn viele unserer Unterstützerinnen und Unterstützer fremdeln mit dieser Koalition“, sagte Lindner.
Die SPD hingegen kann nun wohl mit ihrem Wunschpartner den Grünen eine neue Landesregierung bilden. „Wenn es die Grundlage dafür gibt, dann gilt meine Aussage vor der Wahl auch nach der Wahl“, sagte SPD‑Spitzenkandidat und Ministerpräsident Weil am Abend in der ARD.
Das dürfte auch viele Wähler und Wählerinnen freuen. 42 Prozent der Befragten fänden ein solches Bündnis „gut“ – so deutlich ist die Zustimmung zu keiner anderen Koalition.