Beziehung in der Krise

Deutschland und Polen: Nachbarn am Tiefpunkt

Am Grenzübergang in Frankfurt (Oder) hängen die Fahnen von Deutschland, der Europäischen Union (EU) und Polen. Der deutsche Arbeitsmarkt ist seit 2007 offen für Osteuropäer. Aber die meisten machen einen Bogen um Sachsen, arbeiten lieber in westlichen Bundesländern..

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind in einer Krise. Auch die EU spielt dabei eine Rolle.

Belrin. Obwohl beide Partner in der EU und in der Nato sind und Deutschland mit Polen die größten Geschäfte im Osthandel macht, befindet sich das deutsch-polnische Verhältnis in der schwersten Krise seit Ende des Kalten Krieges. Davon ist Rolf Nikel überzeugt, und er hat dafür einige Argumente parat. Der Politik­wissenschaftler und Völker­rechtler, der von 2014 bis 2020 deutscher Botschafter in Warschau war, sieht Ursachen dafür auf beiden Seiten, macht aber vor allem die „schweren Fehler der Bundes­regierung“ in ihrer Russland-Politik der vergangenen Jahre verantwortlich.

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Diese Politik folgte der Idee, Russland „außenpolitisch domestizieren“ und „innenpolitisch demokratisieren“ zu können, und sie mündete mit Russlands Überfall auf die Ukraine in einem „systemischen Scheitern“, wie es Nikel formuliert. In seinem vor Kurzem im Langen-Müller-Verlag erschienenen Buch „Feinde, Fremde, Freunde“, das den Untertitel „Polen und die Deutschen“ trägt, listet er Konzepte und Leitsätze deutscher Außen- und Sicherheits­politik auf, die sich als falsch erwiesen haben.

So habe sich Deutschland, obwohl Polen und die baltischen Länder davor gewarnt haben, in eine starke Abhängigkeit von russischen Energie­lieferungen begeben und generell eine „naive Russland-Politik“ betrieben, die den „autokratisch-imperialen Charakter“ des Kreml völlig unterschätzt hat.

Rolf Nikel mit seinem Buch „Feinde, Fremde, Freunde“. Es hat 280 Seiten und ist soeben im Langen-Müller-Verlag München erschienenen.

Rolf Nikel mit seinem Buch „Feinde, Fremde, Freunde“. Es hat 280 Seiten und ist soeben im Langen-Müller-Verlag München erschienenen.

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Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, dessen Partei bis Herbst 2021 diese Politik federführend mitgestaltet hat, nennt in einer Diskussions­runde zu Nikels Buch bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik drei Punkte, die aus seiner Sicht entscheidend waren: Das Bemühen der SPD, die Entspannungs­politik der 1970er-Jahre in die Gegenwart hinein zu verlängern. Die deutsche Industrie mit ihrer These „billige russische Energie ist Teil unseres Wohlstands“ und die „Versuchung der Bequemlichkeit“, die letztlich einherging mit einer „Gering­schätzung der Warnungen unserer östlichen Nachbarn“.

Der FDP-Außen­politiker Alexander Graf Lambsdorff, der im Sommer neuer Botschafter in Moskau wird, fasst es so zusammen: „Wir haben unsere Partner wissen lassen, dass sie eigentlich hysterisch sind.“ Von Nikels Vorschlag, eine Enquete­kommission im Bundestag einzusetzen, die das Scheitern aufarbeiten soll, hält er nichts. „Das ist ehrenwert, aber sinnlos“, weil alle, die damals dabei gewesen seien, sich gegenseitig schützen würden – quer durch alle Parteien.

Der ganze Westen habe Putin nicht verstanden

Die polnische Soziologin Karolina Wigura nimmt Berlin etwas in Schutz, wenn sie sagt, nicht nur Deutschland, sondern der ganze Westen habe Putin nicht verstanden. Wigura hat zwei Formen von Angst identifiziert, von der politisches Handeln gegenüber Russland bestimmt ist: Im Westen gibt es die Angst vor der Eskalation durch einen Atomkrieg, und man denkt, man könne das kanalisieren. In Osteuropa denkt man, dass die Situation sowieso eskalieren wird, „egal, ob wir Waffen liefern oder nicht“.

Während Polen politisch und humanitär der größte Unterstützer der Ukraine ist und bei der militärischen Aufrüstung des Nachbar­landes vor nichts zurück­schreckt, ist in Deutschland nicht nur die Regierung in dieser Frage gespalten: Als Bundes­kanzler Olaf Scholz (SPD) lange mit der Entscheidung zur Lieferung von Kampf­panzern zögerte, stimmte ihm indirekt die Hälfte der Bundesbürger zu. Bei Umfragen votierten zahlreiche Deutsche gegen die Lieferung.

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Unterschiedliche Ansätze in der Ukraine-Politik

Aus diesem unterschiedlichen Ansatz zwischen „so viel wie möglich“ und „nur so viel, wie sich nicht verhindern lässt“ resultieren die deutsch-polnischen Verspannungen. Zusätzlich werden sie durch die europäische Kritik an Demokratie, Rechts­staatlichkeit und Presse­freiheit in Polen befeuert, wofür Warschau Berlin maßgeblich verantwortlich macht.

Man kann die im Herbst 2022 von Warschau gegenüber Berlin gestellten Reparations­forderungen von 1,3 Billionen Euro für im Zweiten Weltkrieg erlittene Schäden als eine Art „Gegenangriff“ interpretieren. Oder als eigenwilligen Versuch, mit Deutschland ins Gespräch zu kommen. Der polnische Botschafter in Berlin, Dariusz Pawlos, begreift die bisherige deutsche Ablehnung in der Sache „nicht als Ende, sondern als Anfang einer Diskussion, an deren Ende möglicherweise ein Kompromiss steht“.

Polen als neues Bollwerk des Westens

Dieser „Nebenkriegs­schauplatz“ und die aus Brüssel ergehenden Gängelungen Warschaus, etwa durch die Zurückhaltung von EU-Milliarden, sind insofern nicht banal, als Polen jetzt das neue Bollwerk des Westens an der Grenze zu Russland ist. Polen wird „als neuer Frontstaat größere militärische und politische Bedeutung erlangen“, schreibt Nikel.

Nach seiner Auffassung wird sich „das Gravitations­zentrum der Nato“ nach Osten und wegen des Beitritts von Schweden und Finnland auch nach Norden verlagern. Polen wird dabei „ein kräftiges Wort“ mitreden wollen und können, „nicht zuletzt wegen der Anwesenheit von US-Truppen und eines eigenen US-Haupt­quartiers auf polnischem Boden“. Seit Jahrhunderten eingekeilt zwischen den Großmächten Deutschland und Russland, sieht Polen ohnehin in den USA seinen stärksten Freiheits­garanten.

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Mehr Dialog zwischen Deutschland und Polen notwendig

Es ist ein neues polnisches Selbst­bewusstsein entstanden, das sich auch aus Deutschlands Schwäche wegen dessen gescheiterter Ostpolitik speist. „Deutschlands Führungsrolle in der EU ist angeschlagen“, schreibt Nikel und mutmaßt, dass die polnische Regierung unter Führung der konservativen PiS-Partei auf einen „eigenen Machtgewinn“ hofft.

Der früherer Botschafter Nikel hofft, dass „eine kluge deutsche Politik die Initiative wieder zurück­gewinnen kann“. Er schreibt, was dazu nötig ist: Eine „schnelle und gute Ausrüstung der Bundeswehr“ und bei der „militärischen Hilfe für die Ukraine den Eindruck von Zögerlichkeit“ ablegen. Ob das die Mehrheit der Deutschen auch so sieht, bleibt ebenso offen wie die Haltung des Kanzlers.

CDU-Politiker Röttgen ist sich mit Nikel einig, dass zwischen Polen und Deutschen mehr gesprochen werden muss, wenn sich etwas ändern soll. Nikel ist überzeugt: „Wir müssen die Menschen zusammen­bringen, dann kommen auch die staatlichen Beziehungen wieder voran. Das ist auch im Interesse Europas.“

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