Nur ein Problem der Umsetzung?

„Der Brexit ist gescheitert“: Nigel Farage und die Ernüchterung der britischen Euroskeptiker nach dem EU-Austritt

Selbst Brexit-Befürworter Nigel Farage erklärte den EU-Austritt in der BBC kürzlich für gescheitert (Archivbild).

Selbst Brexit-Befürworter Nigel Farage erklärte den EU-Austritt in der BBC kürzlich für gescheitert (Archivbild).

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London. Auf insgesamt 150 Plakaten blickt Nigel Farage, einst einer der wohl bekanntesten britischen Euroskeptiker überhaupt, betrübt auf die Briten nieder. Darauf ist zu lesen, was dieser kürzlich gegenüber der BBC sagte: „Der Brexit ist gescheitert.“ Lanciert wurde die Aktion nicht von dem umstrittenen Journalisten, Aktivisten und Politiker selbst, sondern von „Led by Donkeys“ („Angeführt von Eseln“), einer Anti-Brexit-Gruppe, die das Zitat für ihre Zwecke aufgriff.

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Dass sogar Farage den Brexit für misslungen erklärt, lässt aufhorchen. Schließlich war der frühere Ukip-Chef vor dem Referendum im Jahr 2016 gemeinsam mit dem Ex-Premier Boris Johnson einer der lautstärksten Verfechter des EU-Austritts. Farage machte im Gespräch mit der BBC Mitte Mai selbstverständlich nicht den Austritt selbst, sondern dessen Umsetzung für das Scheitern verantwortlich. Die konservative Tory-Partei habe die Wähler verraten, den Brexit also nicht richtig organisiert, betonte er.

Verschlechterungen in der Wirtschaft und bei illegaler Einwanderung

Doch wie steht es um das Vereinigte Königreich knapp sieben Jahre nach dem Referendum zum Austritt aus der EU? Und war es, wie von Farage behauptet, tatsächlich nur ein Problem der Umsetzung? Weil viele Krisen gleichzeitig ablaufen, ist es für Ökonomen zwar schwer, die exakten Auswirkungen des Brexit in Zahlen auszudrücken; doch in einer Sache sind sich einig: Der Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt hat sich ganz klar negativ auf den Handel und die Wirtschaft ausgewirkt.

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Während sich andere Länder nach der Pandemie wieder erholt haben, weist Großbritannien das langsamste Wachstum aller G7-Staaten auf. Die Konsequenzen sind für das Land somit fatal und der Schaden selbst für Farage nicht mehr zu leugnen. Verschlimmert wird die Lage dabei tatsächlich durch die konservative Tory-Regierung, die seit dem Austritt aus der EU keinen klaren Kurs findet. Denn wie sie mit der neuen Freiheit umgehen will, darauf konnte sich die zutiefst gespaltene Partei nicht einigen.

Selbst im Bereich Migration, wo die Regierung einen Kurswechsel erwirkt hatte, bleibt die Lage kompliziert. So hat die Einführung eines punkte­basierten Einwanderungs­systems, bei dem Migranten bestimmte Kriterien erfüllen müssen, die Besorgnis in der Öffentlichkeit zwar abgemildert; gleichzeitig ging mit dem Brexit jedoch auch das Versprechen an die Bürger einher, die Zahl der Menschen, die auf die Insel kommen, zu senken. Gelungen ist dies den Tories aus nachvollziehbaren Gründen nicht. Schließlich suchen angesichts der Weltlage immer mehr Geflüchtete Schutz in Großbritannien. Außerdem ist das Land aufgrund des Fachkräfte­mangels auf Arbeiter aus dem Ausland angewiesen, insbesondere im Gesundheits­bereich.

Hinzu kommt, dass der Brexit die Lage in Bezug auf die Kontrolle illegaler Einwanderung sogar noch verschlechtert hat. Denn während die britische Regierung einst andere EU-Mitglieds­staaten dazu auffordern konnte, Geflüchtete zurückzunehmen, wenn sie auf dem Weg nach Großbritannien über sichere Länder gereist waren, ist dies nun vorbei. Um die Situation in den Griff zu bekommen, muss das Land nun bilaterale Abkommen aushandeln und setzt überdies auf Abschreckung. Jüngstes Beispiel dieses Trends, der seit dem Brexit durch den Einfluss rechter Hardliner in der Partei weiter Fahrt aufgenommen hatte, ist die „Illegal Migration Bill“. Dieser Gesetz­entwurf sieht vor, dass Einwanderer, die mit mithilfe von Schleppern in kleinen Booten über den Ärmelkanal auf die Insel kamen, in Lagern interniert und dann auf schnellstem Wege in vermeintlich sichere Länder wie Ruanda ausgeflogen werden sollen. Der Vorschlag ist nicht nur kaum umsetzbar, er widerspricht auch internationalen Normen und schadet damit dem Ruf Großbritanniens auf der Weltbühne.

Dem Argument, dass es schlicht Zeit benötigen würde, bis sich die Vorteile des Brexit offenbaren, schenken indes immer weniger Briten Glauben. Laut einer Umfrage des Meinungs­forschungs­institutes YouGov sind aktuell 56 Prozent überzeugt davon, dass der Austritt aus der Europäischen Union ein Fehler war. Farage bezeichnete den Brexit einst als „Rettungsboot“ und die EU als „Titanic“. Nun jedoch sind die Briten erst recht auf der Suche nach Rettung.

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