Kommt die Kindergrundsicherung – und was würde das bedeuten?
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Jacken und Rucksäcke hängen in einer Kita im Flur.
© Quelle: Caroline Seidel/dpa/Symbolbild
Berlin. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) will die Kindergrundsicherung voranbringen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht keinen Spielraum für die Einführung einer erhöhten Kindergrundsicherung. Ein Überblick.
Wie viele Kinder sind arm?
Die Bertelsmann Stiftung kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass über 20 Prozent aller Kinder von Armut bedroht sind. Das entspricht 2,9 Millionen. In der Altersgruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren liegt die Armutsquote sogar bei über 25 Prozent. Als arm gilt in Deutschland, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Das waren 2021 rund 2600 Euro monatlich für zwei Erwachsene mit zwei Kindern.
Aus der Bertelmanns-Studie ergibt sich ferner, dass der jüngste Zuwachs mit der gestiegenen Zahl von Flüchtlingen zusammenhängt. Allerdings sind sich alle Fachleute einig, dass Kinderarmut hierzulande schon lange ein großes Problem ist – vor allem bei Alleinerziehenden und Familien mit drei oder mehr Kindern. Dabei ist das Risiko in Ostdeutschland größer als in Westdeutschland.
Wie soll die Kindergrundsicherung aussehen?
Die Kindergrundsicherung soll die bisherigen familienpolitischen Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag sowie andere Sozialleistungen für Kinder zusammenfassen. Und sie soll aus zwei Teilen bestehen. Es soll einen einkommensunabhängigen Teil geben. Der soll in etwa die Höhe des bisherigen Kindergeldes betragen, also circa 250 Euro. Darüber hinaus soll es einen zweiten einkommensabhängigen Teil geben. Er würde entsprechend der Bedürftigkeit anwachsen – bis zu einer bestimmten Grenze, die wohl höher liegen dürfte als die gegenwärtigen Regelsätze für Kinder beim Bürgergeld, die bei 318 Euro für Fünfjährige beginnen und bei 420 Euro für 17‑Jährige enden.
Die Befürworter, allen voran die Grünen und ihre Bundesfamilienministerin Paus, sagen, das sei nötig, weil die derzeitigen Leistungen zu unübersichtlich seien oder - wie der Kinderzuschlag - überhaupt nur von etwa 30 Prozent der Betroffenen in Anspruch genommen würden.
Was würde die Kindergrundsicherung kosten?
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat eine Zahl von 12,5 Milliarden Euro genannt. Paus betonte gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), dass zwölf Milliarden Euro „hierfür eher eine Untergrenze“ seien. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt 2023 umfasst 476 Milliarden Euro.
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Worüber wird gestritten?
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht: „Wir wollen mehr Kinder aus der Armut holen, werden mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen.“ Lindner erwartet im Jahr 2024 erstmals mehr als eine Billion Euro Steuereinnahmen - sieht aber trotzdem keinen Spielraum für die Einführung einer erhöhten Kindergrundsicherung. Der Bundesfinanzminister bestätigte gegenüber der „Bild am Sonntag“ zwar, dass er mit dem Einnahmerekord rechnet. „Dennoch reicht das Geld nicht aus, um die gesetzlichen Verpflichtungen des Bundes zu finanzieren“, betonte er. An Mehrausgaben sei daher nicht zu denken.
„Für Familien mit Kindern ist bereits viel passiert“, so Lindner. Mehr sei zwar „wünschenswert, aber nicht immer möglich“. „Das Kindergeld ist auf 250 Euro erhöht worden, so stark wie seit 1996 nicht mehr“, sagte er. Damit stelle die Bundesregierung für Familien und Kinder jedes Jahr sieben Milliarden Euro mehr zur Verfügung. „Das Wesentliche für die Kindergrundsicherung ist damit finanziell getan.“
Paus beharrt trotz der Lindner-Absage auf zusätzliche Mittel und eine Erhöhung der Leistungen. „Vor dem Hintergrund der hohen Inflation ist die Erhöhung des Kindergeldes ein wichtiger Schritt. Aber das allein ist nicht genug – die notwendigen Kosten für die Kindergrundsicherung können damit nicht verrechnet werden“, erklärte sie auf RND-Anfrage am Sonntag. „Um das Antragsverfahren deutlich zu erleichtern und mehr Kinder aus der Armut zu holen, muss die Kindergrundsicherung ausreichend finanziert werden“, forderte sie.
Wie sieht die politische Diskussion aus?
„Der Finanzminister bestimmt nicht allein, welche Prioritäten im Haushalt gesetzt werden“, kommentierte etwa Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink Lindners Aussagen. Auch Britta Haßelmann hatte die Kindergrundsicherung gegenüber dem RND gerade als „eines der nächsten zentralen Projekte“ der Grünen bezeichnet. Die FDP sieht dagegen die Familienministerin in der Pflicht: „Die Aufgabe von Lisa Paus ist die Verwaltungsvereinfachung für Familien, aber da ist noch nichts gekommen“, sagte Fraktionsvize Christoph Meyer der Deutschen Presseagentur. „Wer Geld fordert, muss erst sagen, was wie genau gemacht werden soll.“
Die Opposition übte vor allem Kritik an Lindner. „Die soziale Kälte des Finanzministers gegenüber armen Kindern ist erschreckend“, sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch dem RND. „Es braucht jetzt eine klare Ansage des Kanzlers in Sachen Kindergrundsicherung.“ Für die CDU war an Lindners Aussagen besonders problematisch, dass der Finanzminister keine Eckpunkte für den Haushalt 2024 mehr vorlegen will. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul erklärte dazu: „Diese Bundesregierung ist stehend k.o. Noch nicht einmal auf Eckwerte kann man sich verständigen.“
SPD-Chefin Saskia Esken sprach sich in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe dafür aus, mehr Menschen aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten zu erreichen. „Wir haben Kindergeld und Kinderzuschlag zum Jahresanfang so stark angehoben wie nie zuvor“, sagte sie. Das sei ein wichtiger Schritt gewesen. „Jetzt müssen wir uns zum Ziel setzen, dass wir mehr Eltern und Kinder tatsächlich erreichen, die diese Unterstützung brauchen und auf die sie einen berechtigten Anspruch haben.“
Wie geht es aus?
Fest steht, dass Lindner nicht will, was Paus und die Grünen wollen. Die Pläne zur Kindergrundsicherung liegen damit weiter auf Eis, Kompromisse sind aber denkbar. Statt wie geplant 2025 könnte die Kindergrundsicherung später kommen – oder anfangs geringer ausfallen. Am Ende wird über die Kindergrundsicherung nicht isoliert entschieden, sondern zusammen mit den Wünschen anderer Ressorts über Mehrausgaben wie etwa des Verteidigungsministeriums.
mit dpa-Material