Kommunikationsberater: Selenskyjs größter Trumpf ist die Glaubwürdigkeit
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Vom amerikanischen „Time Magazine“ wurde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zur „Person of the year“ gekürt.
© Quelle: Time Magazine
Vor ein paar Jahren blickten vor allem Fernsehzuschauer auf ihn. Seit Februar tut es die ganze Welt: Als Präsident eines Landes, dem ein Angriffskrieg aufgezwungen wurde, hat der ehemalige Schauspieler Wolodymyr Selenskyj heute den schwersten Job der Welt – obendrein den gefährlichsten.
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In dieser Funktion muss er ein Volk, das von russischem Drohnen- und Bombenterror zermürbt, ausgehungert, von Kälte und Kriegsgräuel gepeinigt wird, tagtäglich motivieren. An die Welt gerichtet muss der 44-Jährige, der jüngst gestand, „einfach mal ans Meer und ein Bier trinken“ zu wollen, um Unterstützung werben, muss als Bittsteller für Waffen, Geld und Dinge der Infrastruktur auftreten.
Sein Handwerk ist die Kommunikation, die Sprache. Kritiker erinnern gern daran, dass Selenskyj einst in der Ukraine einem breiten Publikum als Schauspieler, als Komiker gar bekannt war. Andreas Franken, Chef einer Kommunikationsberatung in Bonn, zu deren Kundschaft namhafte Personen aus Politik und Wirtschaft sowie Verbände gehören, ist voll des Lobes: „Selenskyj kommuniziert richtig gut – unabhängig von seiner politischen Rolle. Er motiviert nach innen, schweißt zusammen und sendet gleichzeitig die richtigen Signale in die Welt“, so Franken.
Bewundernswert, dass er über fast zehn Monate das hohe Niveau seiner Kommunikation halten kann.
Andreas Franken,
Chef einer Kommunikationsberatung in Bonn
„Besonders überraschend und bewundernswert ist, dass er über nunmehr fast zehn Monate das hohe Niveau seiner Kommunikation halten kann“, sagt Franken zum RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Es gibt da weder in der ukrainischen Öffentlichkeit noch im Ausland einen ‚Ermüdungseffekt‘. Das ist nicht selbstverständlich, weil seine Botschaften ja oft Zumutungen sind. So muss er im Westen als Bittsteller auftreten, die Ukrainer indes zum Durchhalten animieren.“
Authentische Signale nach außen
Selenskyjs größter Vorteil im Vergleich zu seinem Gegenspieler, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, ist laut Franken „seine Glaubwürdigkeit. Die von ihm genutzten Signale wirken authentisch. Das olivgrüne T-Shirt zum Beispiel zeigt: ‚Ich bin ein Kämpfer, einer von euch.‘ Täglich präsent zu sein, teilweise inmitten eines Brennpunkts zu stehen, signalisiert: ‚Ich bin bei euch, verstecke mich nicht’“, so der Leiter der Akademie für Management-Kommunikation und Redenschreiben.
Genau das gelingt Putin nicht. Nicht einmal ansatzweise: „Er setzt allein auf große Gesten und überhöhte Phrasen. Er will Stärke demonstrieren, was angesichts der Realität aber lächerlich wirkt. Der riesige Tisch beispielsweise ist erkennbar inszeniert, das Spiel durchschaubar“, so Franken.
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Beide Länder hätten bei den Verhandlungen zum Minsker Abkommen zwischen Separatisten und der Ukraine vermittelt, nun würden sie Waffen an die Ukraine liefern.
© Quelle: Reuters
Trotz seiner täglichen Präsenz, die Franken an einen Blogger erinnert, wirken Selenskyjs Botschaften nicht abgedroschen. Auch das zeigt große Professionalität: „In jeder Rede setzt er sich intensiv mit seiner jeweiligen Zielgruppe auseinander – erinnert im US-Kongress an Martin Luther King, in Israel an Golda Meir, in Deutschland an den Fall der Mauer“, so Franken.
Vermutlich liegt auch hier der Grund dafür, dass seine Popularität weltweit so groß ist. In den USA wurde er vom renommierten „Time Magazine“ zur „Person of the year“ ernannt, während es in Deutschland auch kritische Stimmen gibt. „Er hat für uns eben nicht nur nette Botschaften. Schließlich haben wir es uns selbst zuzuschreiben, von Russland so abhängig zu sein. Das sagt uns der beredsame ukrainische Präsident unverblümt ins Gesicht.“