Motto „This time for Africa“

Afrika vereint im Jubel

Die Begeisterung über Marokkos WM-Performance ist in ganz Afrika spürbar.

Die Begeisterung über Marokkos WM-Performance ist in ganz Afrika spürbar.

Man stelle sich vor, die Niederlande zögen ins Halbfinale der Weltmeisterschaft ein und Polen, Deutschland, Spanien und Dänemark würden gemeinsam den europäischen Erfolg feiern. Zeitungen in Frankreich würden von „unserem Erfolg“ schreiben, der Trainer Englands spräche vom „großartigsten Turnier“ für den Kontinent.

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Ungefähr das passiert gerade in Afrika, nach dem historischen Halbfinaleinzug von Marokko. Nicht nur, dass Marokko und die arabischen Staaten den Sieg feiern, plötzlich scheint der Rest Afrikas im Jubel zu entdecken, dass auch das arabisch geprägte Nordafrika zum Kontinent gehört. Nigerias Nationaltrainer Sunday Oliseh sagte Africanews: „Das ist das großartigste Turnier, das mein Kontinent jemals erlebt hat. Nicht nur, weil wir gerade zum ersten Mal eine afrikanische und eine arabische Nation im Halbfinale erleben. Sondern weil jedes afrikanische Team, das hier gespielt hat, mindestens ein Spiel gewonnen hat.“

„This time for Africa“: Shakiras WM-Hit von Südafrika wird Realität

Schon nach Marokkos Viertelfinaleinzug war die neue Einigkeit, der neue Stolz Afrikas zu spüren. In den sozialen Medien wie Twitter und Facebook sowie in Nachrichtenmedien verschiedener Nationen wurde „This time for Africa“ zum Motto, eine Zeile aus dem Südafrika-WM-Hit „Waka Waka“ von Shakira. Es ist Zeit für Afrika. Von Senegal bis Südsudan, von Algerien bis Südafrika – Afrika feiert.

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In mehreren afrikanischen Städten gab es Jubelzüge, Menschen feierten das marokkanische Team, das erste afrikanische, das seit 2010 ins Viertelfinale einzog. Das Portal Africanews titelte: „Marokkos WM-Erfolg ist ein Sieg für Afrika.“ Zitiert werden im Text Menschen aus Togo und Gambia, die sich überglücklich zeigten. „Es ist eine Sache des Stolzes für Marokko, aber auch für Afrika ein Grund, stolz zu sein“, sagte etwa ein togolesischer Student. Der Präsident des südsudanesischen Fußballverbands Augustino Maduot Parek bezeichnete Marokkos Erfolg „als unseren Stolz“.

WM-Viertelfinaleinzug von Marokko sorgt erneut für Ausschreitungen in Brüssel

Zunächst hatten meist jugendliche Fußballfans den Einzug Marokkos ins Viertelfinale der WM in Katar gefeiert.

Nordafrika fühlte sich immer arabisch, nicht afrikanisch

Selbst kenianische Zeitungen sind über Marokkos Siegeszug in Katar erfreut – obwohl Tausende Kenianerinnen und Kenianer zu den in Katar ausgebeuteten Arbeitskräften zählen. So reagierte die Zeitung „The Standard“ empört, dass Marokko nach dem Achtelfinale den Sieg den Menschen in Marokko und der arabischen Welt gewidmet hatte, Afrika als Kontinent aber nicht erwähnte.

Historisch gesehen ist diese neue Einigkeit besonders. Bisher gab es vor allem zwei Teile Afrikas: Subsahara-Afrika, das in Europa lange Zeit als Schwarzafrika bezeichnet wurde und das viele Menschen im globalen Norden mit Armut, Krankheiten, Hunger und Korruption assoziieren. Und Nordafrika, das vom Rest des Kontinents – und auch von sich selbst – dem arabischen Raum zugerechnet wird. Tunesien, Algerien, Libyen, Marokko mit Westsahara und Ägypten fühlten sich der arabischen Halbinsel, geografisch Asien, immer näher als den südlicheren Staaten Afrikas.

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So ist es nicht verwunderlich, dass die marokkanischen Spieler nach ihrem Triumph gegen Spanien die palästinensische Flagge zeigten. Und nicht verwunderlich, dass man im besetzten Gaza von einem „historischen Ergebnis als Sieg für alle arabischen Nationen“, sprach, wie Al Jazeera berichtete.

 December 10, 2022, Gaza, Palestine: Palestinians wave Morocco and their national flags as they watch a live broadcast of the World Cup quarterfinal match between Morocco and Portugal held in Qatar. Gaza Palestine - ZUMAs197 0196403869st Copyright: xMahmoudxIssax

December 10, 2022, Gaza, Palestine: Palestinians wave Morocco and their national flags as they watch a live broadcast of the World Cup quarterfinal match between Morocco and Portugal held in Qatar. Gaza Palestine - ZUMAs197 0196403869st Copyright: xMahmoudxIssax

Die Sahara trennt Nordafrika vom Rest des Kontinents

Die weltgrößte Sandwüste, die Sahara, trennt Nordafrika vom restlichen Kontinent und schaffte eine Art natürliche Barriere. Hauptsächlich Berber, Mauren und Araber leben im nördlichen Teil. Nomadinnen und Nomaden zogen zwar auch durch die Sahara, und Staaten wie Sudan, Tschad oder Mauretanien lassen sich deshalb nicht eindeutig Nord- oder Subsahara-Afrika zuordnen, doch die Linie ist dennoch offensichtlich. Jahrzehntelang sprach man in Südafrika, Kenia, Ghana davon, dass die nordafrikanischen Staaten nicht das wahre, das echte Afrika seien.

Marokkos politische Rolle ist nicht unumstritten auf dem Kontinent. Das Land annektierte Westsahara 1975, nach Abzug der Kolonialtruppen größtenteils und betrachtet Westsahara als Teil Marokkos. 37 Staaten in Afrika erkennen Westsahara als Demokratische Arabische Republik Sahara jedoch als eigenes Land an oder haben eine Botschaft dort. Der Westsaharakonflikt führte 1984 gar zum Ausschluss Marokkos aus der Afrikanischen Union, wenngleich das Land 2017 erneut aufgenommen wurde. Die palästinensische Flagge, die Marokkos Spieler nach dem Achtelfinale zeigten, ist auch deshalb besonders, weil sich Marokko die Unterstützung der USA im Westsaharakonflikt zusicherte, indem man freundschaftliche Beziehungen zu Israel aufnahm.

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Das neue afrikanische Selbstbewusstsein

Nun könnte also ausgerechnet Marokko das Bindeglied zwischen Nord- und Subsahara-Afrika werden. Nationaltrainer Walid Regragui sagte kürzlich, man sei in Katar, „um die afrikanische Flagge hochzuhalten“, berichtet Al Jazeera. Und Afrika nimmt das gerne an. Es entsteht ein neues Selbstbewusstsein, das vielerorts seit Jahren aufkeimt, und nun in der gemeinsamen Liebe für den Fußball wächst. This time for Africa eben.

Ghanas Nationaltrainer Otto Addo hatte jüngst mehr Startplätze für afrikanische Länder bei Weltmeisterschaften gefordert. Und auch in anderen Bereichen wehrt sich der afrikanische Kontinent gegen Ungleichbehandlung. So war etwa Südafrikas Protest enorm, als eine Mutation des Coronavirus „Südafrika-Variante“ genannt wurde und Südafrika trotz geringer Infektionsfälle zum Virusvariantengebiet erklärt wurde, unter anderem von Deutschland.

Afrikas Identitätssuche nach dem Kolonialismus

Afrika hat vor allem wegen der jahrhundertelangen Kolonialgeschichte noch keine Identität gefunden. Während man in Europa und den USA Afrika als ein großes Land wahrnimmt, sind einzelne Staaten bemüht, die nationalen und regionalen Unterschiede hervorzuheben – und wiederzuentdecken. Das Überstülpen westlicher Modelle und Werte im Kolonialismus, prangerte der senegalesische Wissenschaftler Felwine Sarr an, habe „den Grundcharakter gesellschaftlicher Gruppen Afrikas“ zerstört.

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Gleichzeitig zum Finden nationaler Identitäten fordern führende Staaten aber auch einen stärkerer Zusammenschluss der 54 Länder. Afrikas Anteil am Welthandel beträgt lediglich 3 Prozent. Wenn es um die EU geht, ist Nordafrika mit großem Abstand Handelspartner Nummer eins. So profitieren Nordamerika, Asien und Europa – erst wenn Länder und Regionen als gemeinsame Akteure auftreten, können sie bessere Bedingungen für sich heraushandeln.

Wie schon die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai formulierte: Wenn Afrika sich nicht auf gemeinsame Ziele einige und zusammenarbeite, um einzelne Nationen und damit auch den Kontinent zu stärken, „wird Afrika ein Opfer der Globalisierung und der unfairen Welthandelsregeln bleiben und nicht zu den Nutznießern gehören“.

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