Wieder Abschiebeflüge nach Ruanda geplant?

„Funktioniert hat das nicht“: Großbritannien will Flüchtlinge weiterhin abschrecken

Eine Gruppe vermutlicher Migranten wird nach einem Zwischenfall mit einem kleinen Boot im Ärmelkanal mit einem Rettungsboot an Land gebracht.

Eine Gruppe vermutlicher Migranten wird nach einem Zwischenfall mit einem kleinen Boot im Ärmelkanal mit einem Rettungsboot an Land gebracht.

London. Mit einem Gummiboot von Frankreich über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu fahren ist riskant. Das liegt nicht nur an der oft rauen See und an dem widrigen Wetter, sondern auch daran, dass er stark befahren ist. Hunderte kommerzielle Schiffe, von Fischerbooten bis zu Fähren, durchqueren jeden Tag den Kanal. Trotz dieser Gefahren steigen immer mehr Migranten in kleine Boote und riskieren ihr Leben, weil es keinen anderen Weg für sie gibt. Im vergangenen Jahr waren es über 45.500, fünfmal so viele wie im Jahr 2020. „Das ist etwas, das wir auf der ganzen Welt beobachten können“, erklärte Migrationsexpertin Lucy Mayblin von der University of Sheffield. „Wenn den Menschen andere Wege versperrt bleiben, suchen sie sich neue.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die britische Regierung möchte diesem Trend jedoch ein Ende setzen, wieder einmal. Hierzu stellte die konservative Innenministerin Suella Braverman am Dienstag erste Inhalte eines lange erwarteten Gesetzesentwurfs im Parlament vor. Migranten würden nicht aufhören, nach Großbritannien zu kommen, „bis die ganze Welt weiß, dass sie hier festgenommen und abgeschoben werden“, sagte sie. Geflüchtete, die mit Booten nach Großbritannien übersetzen, sollen deshalb in Unterkünften festgehalten und dann umgehend in ihr Heimatland oder in „sichere“ Länder wie Ruanda abgeschoben werden können. Das Recht, Asyl zu beantragen, soll ihnen entzogen werden.

Menschenrechtsorganisationen zeigen sich entsetzt

Zu den rechtlichen Details des Gesetzesentwurfes wollte sie noch nichts sagen, machte jedoch klar, dass es dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zukünftig erschwert werden soll, Flüge nach Ruanda in letzter Minute zu blockieren. Das Tribunal stoppte eine erste geplante Abschiebung von London nach Kigali im Juni 2022 im letzten Moment. Schon damals wollte die britische Regierung Geflüchtete in das ostafrikanische Land bringen. London zahlte für den Migrationsdeal umgerechnet über 150 Millionen Euro. Mit dem Geld wurden vor Ort Unterkünfte auf Vordermann gebracht, die Staatschef Paul Kagame in den vergangenen Monaten stolz präsentiert hatte. Genutzt wurden sie nicht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper kritisierte den Vorschlag der Tory-Partei am Dienstag: „Die heutige Erklärung ist wie der Tag des Murmeltiers“, sagte sie. Schon vergangenes Jahr habe die Regierung damit gedroht, Geflüchtete nach Afrika abschieben zu wollen. „Funktioniert hat das nicht“, sagte sie. Menschenrechtsorganisationen zeigten sich entsetzt. Großbritannien verrate seine Verpflichtung im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention, Menschen unabhängig von ihrem Ankunftsweg eine faire Anhörung zu gewähren, kritisierte der britische Flüchtlingsrat. Olivia Field, Leiterin des Roten Kreuzes in Großbritannien, sagte: „Solche Gesetzesvorschläge basieren normalerweise auf zwei großen Missverständnissen: dass es alternative sichere Wege für diese Menschen gibt und dass die Politik der Abschreckung funktioniert. Beides ist nicht wahr.“

Insgesamt sind 2022 nach UN-Angaben mindestens 2406 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer gestorben oder werden vermisst.

Mission-Lifeline-Gründer schießt scharf gegen Wissing-Plan: „Hier geht es nur um Schikane“

Seit 2016 hat Mission Lifeline bereits Tausenden Geflüchteten das Leben gerettet. Nun droht die Arbeit der Seenotretter das Aus. Grund ist ein Vorstoß aus dem FDP-geführten Verkehrsministerium. Mission-Lifeline-Gründer Axel Steier fühlt sich an die CSU-Politik von Ex-Minister Andreas Scheuer erinnert – und appelliert an SPD und Grüne.

Migration wird von vielen Briten als Bedrohung empfunden

Die Zahl der Geflüchteten zu reduzieren ist eines der erklärten Hauptanliegen des konservativen Premierministers Rishi Sunak. Dabei geht es insbesondere darum, sich Stimmen zu sichern. Denn von vielen konservativen Wählern wird das Problem der Migration als existenzielle Bedrohung empfunden; und das, obwohl die Zahlen deutlich niedriger sind als beispielsweise in Deutschland. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov unterstützen 74 Prozent der konservativen Wähler das Vorhaben der Regierung, Migranten schnell abzuschieben.

Das Problem für Sunak liegt laut Experten vor allem in der Machbarkeit: Die Regierung kann so viele Gesetze verschärfen, wie sie will, aber wenn sie die Migranten nicht tatsächlich abschieben können, wird ihr hartes Durchgreifen nichts nützen, kommentierte die „Irish Times“. Umso entscheidender seien deshalb bilaterale Abkommen mit EU-Ländern. Der wichtigste Partner ist dabei Frankreich. Schließlich ist das Land der Hauptausgangspunkt für die Fahrten der kleinen Boote über den Ärmelkanal. Sunak hofft nun, dass die verbesserten Beziehungen mit der EU eine gute Basis für Gespräche mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron bilden. Er trifft ihn am Freitag in Paris.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken