Vorwurf des mehrfachen versuchten Mordes

Erneut „Reichsbürger“-Prozess in Stuttgart: Mann schweigt zu Schüssen auf Polizei

Vor einem Jahr sind zwei Polizisten bei einer Hausdurchsuchung bei einem „Reichsbürger“ in Boxberg (Baden-Württemberg) verletzt worden.

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Stuttgart. Im Prozess gegen einen mutmaßlichen „Reichsbürger“ nach einem Angriff auf Polizisten will der Angeklagter in Stuttgart zunächst vor Gericht zu den Vorwürfen schweigen. Ihr Mandant werde sich zwar Ende April zu seinem Lebenslauf, nicht aber zum Tag der Schüsse vor etwa einem Jahr auf die Beamten im badischen Boxberg äußern, sagte seine Verteidigerin am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht. Dies habe er bereits dem Gutachter gegenüber getan, das reiche zunächst aus.

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Der Angeklagte sitzt im schwer gesicherten Gerichtssaal hinter einer gepanzerten Scheibe. Nach nicht einmal einer Stunde wird die Verhandlung vertagt, der 55-Jährige greift nach seinem Notizblock, dann wird er in Hand- und Fußfesseln aus dem Raum geführt. Er wird ihn oft betreten in den kommenden Monaten.

Denn die Vorwürfe wiegen schwer. Bundesweit sorgte der Angriff eines mutmaßlichen „Reichsbürgers“ auf 14 Polizisten im badischen Boxberg vor knapp einem Jahr für Entsetzen. Der 55-Jährige soll am 20. April 2022 in Boxberg mit einem Schnellfeuergewehr Dutzende Male auf mehrere Polizisten geschossen und mindestens einen von ihnen verletzt haben. Die Beamten wollten seine Wohnung durchsuchen, um eine Pistole einzuziehen. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Deutschen unter anderem mehrfachen versuchten Mord vor. In seinem Haus fanden die Ermittler zudem ein begehbares Waffenlager mit Gewehren und Maschinenpistolen, mehr als 5100 Schuss Munition und Zubehör. Verhandelt wird an mindestens 27 Prozesstagen im streng gesicherten OLG-Prozessgebäude Stammheim.

Bei einem Einsatz eines Sondereinsatzkommandos gegen einen mutmaßlichen „Reichsbürger" brennt ein Haus im Main-Tauber-Kreis. Nach Angaben von Sicherheitskreisen hatte der Mann auf SEK-Beamten geschossen. (Archivbild)

Bei einem Einsatz eines Sondereinsatzkommandos gegen einen mutmaßlichen „Reichsbürger" brennt ein Haus im Main-Tauber-Kreis. Nach Angaben von Sicherheitskreisen hatte der Mann auf SEK-Beamten geschossen. (Archivbild)

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Zwei Stunden im Haus verbarrikadiert

Laut Bundesanwaltschaft sieht der nun angeklagte Mann sein Grundstück und die Wohnung damals „als ein eigenständiges, jedenfalls nicht der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland“ unterstelltes Gebiet an und sichert es entsprechend ab.

Mit Blaulicht und Martinshorn kündigen sich die Polizisten in den Morgenstunden an, sie rufen laut und dringen schließlich auf das Grundstück des Mannes vor. Einer der Polizisten setzt den Trennschleifer an die fast komplett geschlossenen Fensterläden. „Spätestens in diesem Moment beschloss der Angeklagte, die Polizeibeamten, die er als solche erkannte, zu erschießen“, verliest der Bundesanwalt. Ihm nach eröffnet der Mann im Haus das Feuer und verletzt einen der Beamten an beiden Beinen, ein anderer verletzt sich leicht, als er sich und die Kollegen im Geschosshagel mit einem Schutzschild sichern will.

Zwei Stunden lang verbarrikadiert sich der Mann im Haus, er schießt aus dem Wohnzimmer, wechselt die Position ins Schlafzimmer und gibt weitere Schüsse ab. Irgendwann schlagen Flammen aus dem Haus, schließlich gibt der Umstellte auf. „Er hatte erkannt, dass er gegen die polizeiliche Übermacht nichts mehr würde ausrichten können“, sagt der Bundesanwalt im Gericht. Im schwer zerstörten Haus stoßen die Ermittler auf ein Waffenlager: Gewehre und Maschinenpistolen liegen dort griffbereit, insgesamt 5116 Schuss Munition zählen die Ermittler, alles ohne Erlaubnis, zudem Reichsflaggen.

Die Bundesanwaltschaftschaft ist sich sicher: Der Mann, der da bis mindestens Oktober im Hochsicherheitssaal auf der Anklagebank Platz nehmen wird, ist ein sogenannter Reichsbürger. Ein Mann, der die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnet und seine eigenen Regeln aufstellt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von rund 23.000 Anhänger und Anhängerinnen aus - Tendenz steigend. Unter ihnen seien auch Gewaltbereite sowie Rechtsextreme. Einige aus der Szene sind im Besitz von Waffen.

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Zweiter „Reichbürger“-Prozess in Stuttgart binnen weniger als zwei Wochen

Es ist innerhalb kurzer Zeit das zweite Verfahren in Stuttgart, das Generalbundesanwalt Peter Frank anstrengt. Vor eineinhalb Wochen war dort bereits ein mutmaßlicher „Reichsbürger“ wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Der 62-Jährige soll im südbadischen Efringen-Kirchen absichtlich einen Polizisten angefahren und schwer verletzt haben.

Auch die möglichen Anklagen nach den Razzien im Dezember und vor wenigen Wochen liegen in der Verantwortung der Bundesanwaltschaft ebenso wie das wahrscheinliche Verfahren wegen mehrfachen versuchten Mordes gegen einen mutmaßlichen Reutlinger „Reichsbürger“. Der Mann hatte nach Überzeugung der Ankläger bei der jüngsten Razzia auf Polizisten geschossen.

Razzien im „Reichsbürger“-Milieu: Generalbundesanwalt spricht von 60 Beschuldigten

Frank sprach zuletzt von mehr als 60 Beschuldigten nach den Razzien. Die Ermittlungen würden einige Zeit in Anspruch nehmen. Vor allem wegen der steigenden Zahl von „Reichsbürger“-Verfahren stockt das Land Baden-Württemberg sein Justizpersonal auf und stärkt die Gerichte. Es würden fünf zusätzliche Richterstellen für das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart geschaffen und damit ein zusätzlicher Staatsschutzsenat eingerichtet, sagte die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU).

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„Reichsbürger“ und sogenannte Selbstverwalter erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnet der gesamten Szene rund 23.000 Anhängerinnen und Anhänger zu - Tendenz steigend. Im Südwesten sollen es etwa 3800 sein. Unter ihnen befinden sich der Einschätzung zufolge auch gewaltbereite sowie rechtsextreme Personen. Einige aus der Szene sind im Besitz von Waffen.

RND/dpa

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