Rente mit 63, Altersteilzeit und Co.: fünf Fragen und Antworten zur Debatte über längere Arbeitszeit
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Endlich Ruhe? Viele Deutsche möchten nicht bis zum 67. Lebensjahr auf die Rente warten (Symbolbild).
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat es bereits Anfang des Jahres diagnostiziert: Zu viele Beschäftigte gehen zu früh in Rente. Das hat auch mit Reformen zu tun, die von der SPD durchgesetzt worden sind. CDU-Fraktionsvize Jens Spahn legte nun nach und forderte die Abschaffung der Rente mit 63.
Spahn hatte der „Bild am Sonntag“ gesagt: „Die Rente mit 63 kostet Wohlstand, belastet künftige Generationen und setzt die falschen Anreize. Sie sollte sofort abgeschafft und durch eine bessere Erwerbsminderungsrente ersetzt werden.“ Zwei Millionen Fachkräfte, die früher in Rente gegangen seien, fehlten nun „bitterlich“. Bei SPD, Grünen und Linke stieß die Forderung umgehend auf Widerspruch.
Was ist die Rente mit 63 – und wie viele Menschen gehen so früher in Rente?
Grundsätzlich wird das Rentenalter bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre erhöht. Seit 2014 gibt es die „Rente ab 63 Jahren“. Die SPD setzte sie unter Federführung der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles in der großen Koalition durch. Menschen, die 45 Versicherungsjahre haben, können seither mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen – allerdings gibt es auch hier eine schrittweise Anhebung. Wenn die Rente mit 67 voll gilt, wird der frühere Eintritt bei 65 Jahren liegen. Die damalige Bundesregierung hatte mit jährlich etwa 200.000 Menschen gerechnet, die dies nutzen werden. In der Realität sind es Zehntausende mehr: Nach Angaben der Rentenversicherung gab es 2021 noch 257.000 und 2020 insgesamt 260.000 Anträge.
Auch Menschen mit weniger Versicherungsjahren können mit 63 in den Ruhestand gehen, müssen jedoch Abschläge hinnehmen. Die Zahl derer, die dies in Anspruch nehmen, ist nicht klein: Von 858.000 Renten wurden 2021 nach Angaben der Rentenversicherung 210.616 Altersrenten gekürzt – der höchste Wert seit 2013. Offenbar ist der Wunsch nach dem Ruhestand so groß, dass viele lieber finanzielle Einbußen in Kauf nehmen.
Warum ist die frühe Rente ein Problem?
Deutschland befindet sich in einem massiven demografischen Wandel. Weil die Babyboomer-Generation in den nächsten Jahren in Rente geht, verliert die Wirtschaft bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte, prognostiziert das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). Der Fachkräftemangel wird sich weiter verschärfen. „Die Beschäftigung Älterer ist ein wichtiger Baustein für die Fachkräftesicherung im Betrieb“, sagte der Vizehauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) im Januar. „Daher ist es so wichtig, dass möglichst wenige Beschäftigte vorzeitig ausscheiden.“ Die Rente mit 63 habe Anreize in die gegenteilige Richtung gesetzt, kritisierte er.
Hinzu kommt, dass das Rentensystem bereits jetzt unter finanziellem Druck steht. Zwar wird die Rente umlagefinanziert, sodass heutige Beitragszahlende die Rente der aktuellen Bezieherinnen und Bezieher finanzieren. Die Mittel reichen jedoch nicht aus: Der Bundeshaushalt muss aktuell bereits mehr als 100 Milliarden Euro zuschießen. Umso mehr Menschen also in Rente gehen und je weniger Beitragszahlende nachkommen, desto höhere Zuschüsse oder Beiträge sind rein rechnerisch nötig.
Welche Rolle spielt die Altersteilzeit?
Ein weiterer Weg, um früher in Rente zu gehen, ist die Altersteilzeit für Menschen ab 55 Jahren. Im Einvernehmen mit Arbeitgeberin oder Arbeitgeber ist es möglich, in verschiedenen Modellen die Arbeitszeit zu reduzieren und weniger Gehalt zu bekommen. Der Beschäftigte kann die Arbeitsstelle nach einer gewissen Zeit verlassen, bekommt trotzdem weiter das reduzierte Gehalt. Manchmal bieten Arbeitgebende Altersteilzeit an, weil es für den Betrieb günstiger ist: Jüngere, die auf die Stelle rücken, verdienen meist weniger Geld. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger räumte vor einer Weile gegenüber der Deutschen Presse-Agentur ein, dass die Frühverrentung in Betrieben ein Fehler gewesen sei.
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Wie lässt sich das Problem lösen?
Der Rentenexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Jochen Pimpertz, sprach sich für ein höheres Renteneintrittsalter aus: „Wenn die Versicherten länger Beiträge zahlen und später Rente beziehen, ließe sich der Beitragssatzanstieg zur Rentenversicherung bremsen.“ Er nannte als Beispiel eine Steigerung der Regelaltersgrenze bis 2050 auf 69 oder 70 Jahre.
Die Gewerkschaften lehnen das entschieden ab. „Ein klares Nein zur Anhebung der Altersgrenzen für die Rente – denn die ist nichts anderes als eine Rentenkürzung durch die Hintertür“, sagte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi dem RND im Januar. „Wer länger arbeiten kann und will, kann das schon heute tun.“ Sie warnte, dass viele Beschäftigte nicht gesund bis zur Rente durchhielten. „Für Beschäftigte in der Pflege, auf dem Bau oder in Fabriken ist längeres Arbeiten keine Option. Wer hart arbeitet, hat zudem eine deutlich geringere Lebenserwartung und bezieht somit ohnehin kürzer Rente.“
Arbeitsminister Hubertus Heil: Erhöhung des Rentenalters wäre falsch und unfair
Trotz Fachkräftemangels und vieler Frührentner hält Arbeitsminister Hubertus Heil nichts davon, die Altersgrenze bei der Rente noch weiter nach oben zu setzen.
© Quelle: dpa
Fahimi sieht die Betriebe in der Pflicht. „Wenn Arbeitgeber klagen, dass ihnen die Fachkräfte abhandenkommen, ist das oft genug Ergebnis ihrer eigenen verfehlten Personalpolitik in der Vergangenheit.“ Sie schlug bessere Arbeitsbedingungen, ausreichend Anstrengungen bei der Ausbildung und gute Tariflöhne zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels vor.
Die Unionsfraktion macht sich für einen flexiblen Renteneintritt anstelle einer Erhöhung des Renteneintrittsalters stark. „Wir sollten die Rente eher flexibilisieren und noch mehr an die Bedürfnisse der Menschen anpassen“, sagte deren arbeitsmarktpolitischer Sprecher Stephan Stracke auf Anfrage im Januar. „Was wir brauchen, sind attraktivere Anreize für freiwillige Weiterarbeit über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus.“ Er schlug zudem eine Generationenrente vor. „Ich könnte mir vorstellen, dass der Staat für ein Kind ab Geburt bis zum 18. Lebensjahr monatlich in einen Fonds einzahlt. Das Ziel wäre eine spürbare Rentenerhöhung für künftige Generationen.“
Auch die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist ein Werkzeug, um den Fachkräftemangel zu entschärfen und mehr Beitragszahlende in das Rentensystem aufzunehmen.
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„Wir sind füreinander da“: Wie und warum Menschen nicht nur in Krisen zusammenrücken
Sie machen Fremden eine Freude, sie knüpfen Freundschaften, sie treten füreinander ein: Beispiele aus der ganzen Bundesrepublik zeigen, dass Menschen in stürmischen Zeiten füreinander da sind. Und dass echter Zusammenhalt keine Momentaufnahme sein muss.
Was plant die Ampel?
Das Renteneintrittsalter will die Bundesregierung nicht anheben. Der Beitragssatz soll in dieser Legislaturperiode nicht über 20 Prozent steigen, ebenso soll die Rente nicht gekürzt werden. Die Koalition möchte das Rentensystem allerdings stabilisieren. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) plant für 2023 den Aufbau einer teilweisen Kapitaldeckung der Rentenversicherung. Dafür sind für dieses Jahr 10 Milliarden Euro eingeplant, und zwar schuldenfinanziert. Längerfristig will der Liberale einen dreistelligen Milliardenbetrag aufbringen. Die Grünen sind skeptisch. „Der Effekt einer ergänzenden kapitalgedeckten Finanzierung ist zweifelhaft. Die Marktrisiken sind hoch, die nötigen Anlagezeiträume lang, die Renditen unsicher und gering“, unterstrich Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch. „Im Koalitionsvertrag ist ein Kapitalstock von 10 Milliarden Euro vereinbart. Wir werden darauf achten, dass mit dem Geld nicht gezockt werden darf.“
Der Kapitalstock soll im zweiten Rentenpaket beschlossen werden, in dem auch das Rentenniveau nach dem Jahr 2025 abgesichert werden soll.