Uiguren-Aktivistin Arkin: „Man sollte keinen Dialog führen mit jemandem, der in einen Völkermord verwickelt ist“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6VFGIW7FIJGTLILK5QHF4QEIQU.jpeg)
Eine Angehörige der uigurischen Minderheit in China versucht, einen Polizisten zu packen während einer Demonstration in Ürümqi in der Unruheregion Xinjiang in Nordwestchina (Archiv).
© Quelle: Oliver Weiken/dpa
Peking. Seit 2017 hat die chinesische Regierung in der nordwestlichen Region Xinjiang eine flächendeckende Unterdrückungskampagne von nie da gewesenem Ausmaß implementiert: Hunderttausende Uiguren sowie Angehörige anderer muslimischer Minderheiten wurden in Umerziehungslager gesteckt, wo sie laut Augenzeugenberichten Opfer politischer Indoktrination und teils körperlicher Folter wurden.
Einige Regierungen, darunter Kanada und die Niederlande, haben die Verbrechen explizit als Genozid verurteilt – eine Einschätzung, die durchaus umstritten ist. Doch breiter Konsens herrscht darüber, dass es sich bei der Repression gegen die Uiguren um schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Umso umstrittener ist die Europa-Tour von Erkin Tuniyaz, dem amtierenden Gouverneur von Xinjiang. Nach seinem London-Besuch wird der 61-Jährige, der auf der schwarzen Liste der Vereinigten Staaten steht, am kommenden Sonntag in Brüssel erwartet.
Die Aktivistin Zumretay Arkin wittert dahinter den Versuch der chinesischen Regierung, ihren angeschlagenen Ruf aufpolieren zu wollen. Die Exil-Uigurin befindet sich gerade in Genf, wo der UN-Ausschuss für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte eine Überprüfung zu China durchführt.
Sie lehnen den Besuch des Gouverneurs von Xinjiang, Erkin Tuniyaz, kategorisch ab. Warum?
Hinter dem Besuch steht eine Strategie der chinesischen Regierung, ihren Ruf auf der internationalen Bühne wieder aufzupolieren. Und diese Strategie startet mit der Europäischen Union, denn die EU hat – im Vergleich zu Nordamerika – eine bislang gemäßigtere Vorgehensweise mit China gewählt, wenn es um deren Menschenrechtsbilanz geht.
Erkin Tuniyaz gehört selbst der uigurischen Minderheit hat. Welche Rolle kommt ihm bei den Repressionen in Xinjiang zu?
Er ist einer der Täter dieses Genozids. Wir wissen, basierend auf den geleakten „Xinjiang Police Files“ (Anm. d. Red.: ein Datensatz aus dem Inneren des Sicherheitsapparats, der im Mai 2021 dem deutschen Xinjiang-Forscher Adrian Zenz zugespielt wurde), dass Tuniyaz sehr strenge Befehle zur Umsetzung der politischen Maßnahmen ausgegeben hat. Er wurde auch in der Vergangenheit mehrfach von China dafür verwendet, die repressive Politik vor den Vereinten Nationen zu verteidigen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/CEDOQIUHPZGT3CMC23ZMOHY5FU.jpg)
Zumretay Arkin wuchs in Ürümqi, der Hauptstadt von Xinjiang, auf. Später zog sie nach Kanada, später nach München. Dort ist die Aktivistin unter anderem als Sprecherin für den „Weltkongress der Uiguren“ tätig; einem Verein für Exil-Uiguren, der von der chinesischen Regierung als „separatistisch“ eingestuft wird.
© Quelle: Privat
Einige Politiker halten es – gerade wegen der massiven Menschenrechtsverbrechen Chinas – für umso notwendiger, dass man mit der chinesischen Regierung in einen Dialog tritt, um die Situation vor Ort für die Uiguren zu verbessern.
Nein, man sollte keinen Dialog führen mit jemandem, der in einen Völkermord verwickelt ist. Erkin Tuniyaz sollte vor ein Gericht gestellt werden, und nicht mit internationalen Regierungsbeamten Tee trinken. Er ist ein Krimineller – und sollte auch wie einer behandelt werden.
Zudem ist es extrem pietätlos gegenüber der uigurischen Diaspora, dass sich Vertreter ihrer Regierungen mit jemandem treffen, der dafür verantwortlich ist, dass ihre Familienangehörigen verschwunden sind.
Nein, man sollte keinen Dialog führen mit jemandem, der in einen Völkermord verwickelt ist. Erkin Tuniyaz sollte vor ein Gericht gestellt werden, und nicht mit internationalen Regierungsbeamten Tee trinken.
Aktivistin Zumretay Arkin
Hegen Sie die Hoffnung, dass Sanktionen und öffentlicher Druck die Lage in Xinjiang verbessern könnten? Nach außen zeigt sich die chinesische Regierung vollkommen unbeeindruckt von jeglicher Kritik.
In den vergangenen Jahren haben wir gesehen, dass es zu einem gewissen Grad funktioniert. Noch zu Beginn, als die Nachrichten über die Lager in Xinjiang erstmals auftauchten, haben die chinesischen Regierungsvertreter sämtliche Vorwürfe vollkommen abgestritten. Wegen des internationalen Drucks haben sie ihre Haltung schließlich geändert: Sie haben die Existenz der Lager nicht mehr geleugnet, sondern künftig von sogenannten Ausbildungszentren gesprochen.
Eine weitere Reaktion auf den Druck war es, dass die chinesische Regierung angefangen hat, Vertreter von mehrheitlich muslimischen Ländern und auch vereinzelt Journalistengruppen nach Xinjiang einzuladen, um ihre Sicht der Dinge zu präsentieren.
Deutschland hat seine Beziehungen mit China lange Zeit vor allem über den gemeinsamen Handel definiert. Mittlerweile scheint sich eine Kehrtwende zu vollziehen – sowohl innerhalb der Öffentlichkeit als auch der neuen Regierung. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Für Deutschland ist es zutiefst problematisch, dass so viele Unternehmen in der Region der Uiguren tätig sind – wenn man bedenkt, dass dort ein anhaltender Völkermord vor sich geht und dass die Firmen möglicherweise sogar bei der Zwangsarbeit von Uiguren involviert sein könnten. Gerade wegen der eigenen Historie sollte Deutschland – mehr noch als andere Länder – in der Lage sein, diese Risiken besser einzuschätzen zu können. Wir hoffen, dass bei der neuen China-Strategie der Bundesregierung die Menschenrechte im Mittelpunkt stehen.
Bereits 2019 hat Peking behauptet, sämtliche der sogenannten Ausbildungszentren geschlossen zu haben. Halten Sie das für glaubhaft?
Wo sind die Beweise dafür? Wieso erlaubt die Regierung dann nicht Vertretern der UN uneingeschränkten Zugang? Der mangelnde Zugang in die Region macht es tatsächlich schwer, die Lage vor Ort genau einschätzen zu können – also etwa, ob die Lager wirklich geschlossen wurden oder ob sie lediglich umfunktioniert und unbenannt wurden.
„Die chinesische Regierung hat das uigurische Volk brutal unterdrückt“
Einige Wissenschaftler und Journalisten haben zumindest festgestellt, dass sich die Art der Unterdrückung seit Beginn der flächendeckenden Repressionen im Jahr 2017 gewandelt hat: Mittlerweile ist der Polizeistaat weniger offensichtlich.
Die chinesische Regierung hat das uigurische Volk brutal unterdrückt, und in vielerlei Hinsicht haben sie einen Zustand der vollkommenen Angst kreiert. Unter diesen Umständen mehrere Jahre zu leben indoktriniert einen. Die chinesische Regierung hat also ihr Ziel erreicht. Die Situation mag sich vielleicht ein wenig geändert haben, aber in den Köpfen der Leuten herrscht immer noch dasselbe Ausmaß an Schrecken.
Sie leben seit längerer Zeit bereits im Ausland. Wie haben Sie persönlich die Anfänge der Repression gegen die Uiguren mitbekommen?
2017 war das Jahr, als meine Familie den Kontakt zu praktisch allen Verwandten daheim verloren hat. Zunächst wurden ihre Reisepässe eingesammelt. Insbesondere väterlicherseits haben viele meiner Familienmitglieder Ärger bekommen, weil sie in anderen muslimischen Ländern waren, darunter der Türkei oder Ägypten. Die Behörden haben dann damit angefangen, sie einzusammeln: Mittlerweile habe ich zwischen 30 und 40 Verwandte, die entweder verschwunden oder in den Lagern sind. So geht es den meisten Uiguren, die im Ausland leben.
Zumretay Arkin, vielen Dank für das Gespräch.