Satellitenbilder zeigen Verteidigungsbollwerke

Greift hier die Ukraine an? Russen errichten gigantische „Tötungszonen“

Ein russischer Soldat steht in einem Schützengraben nahe des Dnipro.

Ein russischer Soldat steht in einem Schützengraben nahe des Dnipro.

Artikel anhören • 5 Minuten

Aus Angst vor einer ukrainischen Gegenoffensive im Süden der Ukraine haben russische Einheiten in den vergangenen Wochen gigantische Verteidigungslinien errichtet. Satellitenbilder des Copernicus-Sentinel-2-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation Esa, die das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) ausgewertet hat, zeigen mehr als 100 Kilometer lange, gestaffelte Verteidigungsstellungen. Sie reichen vom Fluss Dnipro in der Region Saporischschja bis weit in die Region Donezk hinein und liegen teilweise 30 Kilometer von der Frontlinie entfernt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Die Verteidigungslinien lassen sich in verschiedene Zonen einteilen, beobachtet ein Militärblogger. Die erste Zone besteht demnach aus einzelnen Kompaniestützpunkten und Außenposten, ehe Schützengräben und eine Zone mit Reservekräften und Ablenkungspositionen folgen. Dort seien auch russische Artillerie- und Panzerreserven stationiert sowie Bunker für Fahrzeuge und Ausrüstung errichtet worden.

Das Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Hauptverteidigungslinie bestehe dann aus massiven mehrstufigen Schützengräben, Panzerabwehrgräben und Drachenzähnen. Bei den Drachenzähnen handelt es sich um Sperren aus Beton, die Panzer stoppen sollen. Sie gehören zu den typischen Bestandteilen russischer Verteidigungsanlagen, ebenso wie tiefe Gräben und Erdwälle. „Wahrscheinlich gibt es auch ausgedehnte Minenfelder“, erklärt der Militärblogger und verweist auf die Satellitenaufnahmen. Es handelt sich um einen fast durchgehenden Verteidigungsgürtel entlang der Front, der in das Gelände eingebettet ist. Dahinter hat Russland noch weitere Reserve- und Rückzugpositionen errichtet.

Strategie der Russen: Ukrainer in „Tötungszonen“ lenken

Laut dem australischen Ex-General Mick Ryan handelt es sich um „eine sehr umfangreich befestigte Region“. Es sei unmöglich, ein derart komplexes Verteidigungssystem für die gesamte Länge der Frontlinie zu errichten. Diese beläuft sich auf rund 1200 Kilometer. Ryan geht deshalb davon aus, dass die Russen dieses Gebiet „als das Schlüsselterrain der kommenden ukrainischen Offensive ansehen“. Es seien offenbar nach russischer Einschätzung die „gefährlichsten“ und „wahrscheinlichsten“ Gebiete einer Offensive.

Ryan, der Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine von Anfang an analysiert hat, erkennt in den Verteidigungsanlagen der Russen eine Strategie: „Bei der überwiegenden Mehrheit der Hindernisse geht es nicht darum, den Feind aufzuhalten“, erklärt der Experte. „Es geht den Russen eher darum, sie in Tötungszonen zu lenken oder die Einheit der Truppe und das Gefecht der verbundenen Waffen aufzubrechen.

Die Russen haben laut der Analyse von Ryan auch Hindernisse vorbereitet, um ukrainische Truppen zu überraschen, auszubremsen und mit Gegenangriffen zurückzuschlagen. Ähnliche Verteidigungsanlagen gibt es auch in der Ostukraine und nördlich der Krim.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Zum „Tag des Sieges“ in Moskau: Putin rechtfertigt Kämpfe in der Ukraine
Feierlichkeiten am Tag des Sieges in Russland, Rede von Wladimir Putin in Moskau RUSSIA, MOSCOW - MAY 9, 2023: Russia s President Vladimir Putin front attends a Victory Day parade held in Red Square to mark 78 years since the victory over Nazi Germany in World War II. Grigory Sysoyev/POOL/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY 58960065

Überschattet vom Ukraine-Krieg findet in Moskau die traditionelle Militärparade zum 78. Jahrestags des Siegs über Nazi-Deutschland statt.

Gegenoffensive der Ukraine hat bereits begonnen

Die ukrainischen Truppen sind auf Drohnen zur Aufklärung, Minenräumgeräte und Pionierfahrzeuge angewiesen, ehe sie mit Kampf- und Schützenpanzern einen Durchbruch der Verteidigungslinien versuchen können. Der ukrainische Militäranalyst Oleksandr Musiyenko wies gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters darauf hin, dass die Ukraine die Logistik- und Versorgungslinien der Russen zerstören oder so die Verteidiger von Munition und Waffen abschneiden kann. Diese Phase läuft nach Einschätzung des Militärökonomen Marcus Keupp von der ETH Zürich bereits.

Die Ukraine versuche, die Logistik der Russen zu stören, den Nachschub an Treibstoff zu unterbrechen und strategisch wichtige Eisenbahn- und Straßenverbindungen zu kappen. Überhaupt ist es fraglich, ob die Russen noch über ausreichend Personal verfügen, um die langen Verteidigungsanlagen zu besetzen. Bisher ist auf den Satellitenbildern noch nicht die Position der Artillerie erkennbar. Die Russen beziehen die Stellungen offenbar erst kurz vor Beginn der Kämpfe.

Der Kachowkaer Stausee am Unterlauf des Dnepr in der Ukraine.

Russland lässt das Wasser ab

Der Kachowkaer Stausee ist für das Leben in der Südukraine enorm wichtig: Hunderttausende Menschen sind von dem Wasser abhängig, Auch das AKW Saporischschja bezieht von dort sein Kühlwasser. Doch seit Oktober lässt Russland das Wasser ab, wie Satellitenbilder zeigen.

Ob die umfangreichen Verteidigungslinien das ukrainische Militär tatsächlich aufhalten können, ist fraglich. In der Vergangenheit setzte die Ukraine bei ihren Operationen oft auf kleine, mobile Gruppen, die Lücken zwischen den Befestigungsanlagen ausnutzten und russische Truppen dann überraschten. Mit dieser Strategie konnte die Ukraine im Herbst bereits in Charkiw größere Gebiete zurückerobern.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Französischer Journalist bei Raketenangriff in der Ukraine getötet

Wie die französische Nachrichtenagentur AFP mitteilt, wurde ihr Videojournalist Arman Soldin am Dienstag in der Nähe der ostukrainischen Stadt Bachmut getötet.

Nach Einschätzung des Militärexperten Nico Lange, bis Ende 2021 Chef des Leitungsstabs im Bundesverteidigungsministerium, könnten die Befestigungsanlagen der Russen zerstört, durchbrochen oder umgangen werden. Davon ist auch Experte Keupp überzeugt. Weil die Gräben keine durchgehende Linie bilden, seien sie weit entfernt von der Qualität des Westwalls im Zweiten Weltkrieg, erklärt er. Die Schützengräben könnten leicht mit Drohnen angegriffen werden. „Im Prinzip müssen nur Drohnenschwärme programmiert werden, zur Bekämpfung dieser russischen Verteidigungsmaßnahmen.“ Und gegen die Minenfelder hinter den Verteidigungslinien gebe es Spezialmunition. Letztlich könnte der Ukraine neben modernen Waffen aus dem Westen auch die Echtzeitaufklärung westlicher Nachrichtendienste bei der Rückeroberung des besetzten Gebietes helfen.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken