Xi stellt zwölf Punkte vor

Chinas Friedensplan ist nicht ganz echt

Wann und wie bekommt in der Ukraine der Frieden eine Chance? Illustration von Christian Ohde/Chromorange.

Wann und wie bekommt in der Ukraine der Frieden eine Chance? Illustration von Christian Ohde/Chromorange.

Schon vier Jahrhunderte vor Christus notierte der Geschichtsschreiber Herodot: „Niemand, der bei Verstand ist, zieht den Krieg dem Frieden vor.“

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Der alte Grieche verwies auf ein noch immer aktuelles Problem, den unnatürlichen Tod von verstörend vielen jungen Männern: „Im Frieden begraben die Söhne ihre Väter, im Krieg die Väter ihre Söhne.“

Immer mehr Trauer, immer mehr Entsetzen – und immer weniger Leute, die man noch an die Front schicken kann: Früher oder später werden ganz und gar klassische Faktoren wie diese wohl auch den derzeit noch auf Hochtouren laufenden Krieg in der Ukraine bremsen. Im Augenblick aber ist eine Abkürzung Richtung Waffen­stillstand und Frieden nicht in Sicht.

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„Ein einziges Ablenkungsmanöver“

Auch der am Freitag von China präsentierte Friedensplan ist bei Licht betrachtet keine Hilfe. „Das Ding ist ein einziges Ablenkungs­manöver“, urteilt der deutsche Militärexperte Nico Lange, bis 2021 Planungschef im Bundes­verteidigungs­ministerium. Chinas Staatschef Xi Jinping hantiere mit seinem Zwölf-Punkte-Plan, um ein Stück Distanz zu Moskau zu simulieren. „Da geht es jetzt nur um die Beeinflussung von Wahrnehmungen“, betont Lange im Gespräch mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland. „Das Papier aus Peking zielt auf die Hirne von uns Europäern, aber es wird in der Realität nichts ändern.“

Nico Lange, bis 2021 Leiter des Planungsstabs im Bundes­verteidigungs­ministerium, arbeitet für die Münchener Sicherheits­konferenz.

Nico Lange, bis 2021 Leiter des Planungsstabs im Bundes­verteidigungs­ministerium, arbeitet für die Münchener Sicherheits­konferenz.

Der renommierte China-Experte Scott Kennedy von der Washingtoner Denkfabrik Center for Strategic and International Studies sieht es ähnlich. Er nennt das Pekinger Papier „eine Totgeburt“.

Streckenweise wirkt der Text schon von Weitem nicht ganz echt. Als pure PR-Bemühung Pekings sehen China-Experten etwa die ausführlichen Passagen zur Sicherung der Getreide­versorgung: Mit Händen zu greifen sei, dass Peking derzeit dem globalen Süden gefallen wolle. Ausdrücklich feiert sich Peking in seinen zwölf Punkten einfach auch schon mal selbst: „Die von China vorgeschlagene Kooperations­initiative zur globalen Ernährungs­sicherheit bietet eine praktikable Lösung für die weltweite Nahrungs­mittelkrise.“

Die zentrale Schwäche in Pekings Papier

Diplomatie, die allen Ernstes dem Frieden dienen könnte, geht anders. Unübersehbar ist eine zentrale Schwäche in Pekings Word-Dokument, das in der englischsprachigen Fassung 5936 Zeichen umfasst. Es beschreibt komplizierte Aspekte, Wirkungen und Folgewirkungen des Kriegs, lässt aber eine simple Option zu seiner Beendigung außen vor: Wie wäre es, wenn der Aggressor einfach seine Aggression bleiben ließe und wieder abzöge?

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Der beste Friedensplan, stänkerte Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock diese Woche auf dem Weg zur UN-Voll­versammlung in New York, existiere längst und müsse nicht mühsam ausgearbeitet werden: Es sei die Charta der Vereinten Nationen.

Jahrestag des Kriegsbeginns: Selenskyj verspricht Sieg der Ukraine

Am 24. Februar 2022 ist Russland in die Ukraine einmarschiert. Genau ein Jahr danach gibt der ukrainische Präsident Selenskyj einen Ausblick auf 2023.

In der Tat wurde in der am 26. Juni 1945 beschlossenen UN-Charta eigentlich schon alles trefflich geregelt. Die Unterzeichner­staaten müssten sich nur noch daran halten.

Wendet man das Regelwerk auf Russlands aktuellen Einmarsch in die Ukraine an, sind plötzlich alle vermeintlichen Komplikationen wie weggeblasen. Russland hat das Gewaltverbot gebrochen, mit spektakulärer Eindeutigkeit. Daraus ergibt sich für die Ukraine nach Artikel 51 der UN-Charta „das Recht zur individuellen oder kollektiven Selbst­verteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“.

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Xi Jinping tat zwölf Monate lang nichts

„Der einfachste Weg auch für China wäre, die Charta der Vereinten Nationen zu unterstützen“, sagt Baerbock. Sie hat völlig recht.

Tatsächlich aber tat Xi Jinping zwölf Monate lang nichts, um Putins völkerrechts­widrigen Angriffskrieg zu stoppen. Im Gegenteil. Der chinesisch-russische Waren­austausch stieg. Bei Anti­kriegs­resolutionen der UN, zuletzt am Donnerstag­abend, als 141 der 193 Mitglieds­staaten den Abzug der russischen Truppen forderten, enthielt sich China der Stimme. Und im chinesischen Staats­fernsehen verbreitete Peking getreulich sämtliche Propaganda­lügen Putins weiter, auch die von den ukrainischen Biowaffen­laboren, die angeblich ein Eingreifen Russlands erzwungen hätten. In den Laboren, hieß es damals, lauere ein von den Ukrainern gentechnisch erzeugtes Virus, das speziell Russen bedrohe.

Schon oft sprachen die Staatschefs Russlands und Chinas von einer Partnerschaft ihrer beiden Länder, die „keine Grenzen kennt“: Wladimir Putin und Xi Jinping, hier bei einem Treffen im September 2022 im usbekischen Samarkand.

Schon oft sprachen die Staatschefs Russlands und Chinas von einer Partnerschaft ihrer beiden Länder, die „keine Grenzen kennt“: Wladimir Putin und Xi Jinping, hier bei einem Treffen im September 2022 im usbekischen Samarkand.

Immerhin verzichtete Xi bislang darauf, Putin auch noch Waffen zu liefern. Doch auch in diesem Punkt entpuppt sich Pekings Politik als ein undurchsichtiges Spiel. Laut „Spiegel“ verhandeln Russland und der chinesische Drohnen­hersteller Xi’an Bingo Intelligent Aviation Technology bereits über die Lieferung von todbringenden Drohnen, die bis zu 50 Kilogramm Sprengstoff durch die Luft tragen können. Parallel zu alldem eine pazifistische Pose einzunehmen, wie Präsident Xi es jetzt tut, läuft auf eine Verhöhnung der Welt­öffentlichkeit hinaus.

Die Profis in den Machtzentralen der Erde haben Peking ohnehin schon abgeschrieben. Das Land ist ihnen zu undurchschaubar, zu unredlich und zu sehr mit einer eigenen Agenda beschäftigt, um als Vermittler in Betracht zu kommen.

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Das Militär wird nachdenklich

Bei ihren wiederkehrenden Gesprächen über den Austausch von Gefangenen etwa pflegen Kiew und Moskau auf mitunter verblüffend produktive Art längst direkte Kontakte. Hinzu kommen die zwischen den geheimen Diensten der USA und Russlands etablierten Drähte. Washington nutzte sie zuletzt zum sogenannten Ausschluss von Missverständnissen rund um die Visite von Präsident Joe Biden in Kiew.

Entscheidend ist allein, wann endlich der politische Wille wächst, sich auf diesen oder jenen Deal einzulassen. Bislang lassen beide Seiten alles laufen wie bei einer makabren Version von Mikado. In Moskau wie in Kiew gilt vorerst noch: Wer sich bewegt und das militärische Kräftemessen als Erster abbricht, hat politisch verloren.

Ein Militär, der zu Verhandlungen mahnt: Mark Milley, als Vorsitzender der Stabschefs in einer Anhörung des Repräsentanten­hauses.

Ein Militär, der zu Verhandlungen mahnt: Mark Milley, als Vorsitzender der Stabschefs in einer Anhörung des Repräsentanten­hauses.

Doch dieses Denken kann sich wandeln, vielleicht schneller als gedacht. Im Westen tragen zur neuen Nachdenklichkeit, manchem Vorurteil zum Trotz, mehr die Militärs bei als die Politiker.

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Mark Milley zum Beispiel, der Generalstabs­chef der USA, sagte laut „New York Times“ beim jüngsten Waffenhilfe­treffen für die Ukraine in Ramstein, es werde aus seiner Sicht in diesem Jahr „sehr, sehr schwierig, die russischen Streitkräfte militärisch zu vertreiben“. Das Beste, was man sich erhoffen könne, sei es, „Russland in diplomatische Verhandlungen zu drängen“.

Echte Diplomatie ist leise

In Nato-Kreisen gelten drei Elemente eines möglichen Friedensplans schon als gesetzt:

  1. Im ersten Schritt müsse, schon kompliziert genug, ein Waffen­stillstand ausgehandelt werden. Dazu gehören Dinge wie Gefangenen­austausch, Truppen­entflechtung und der mögliche Einsatz internationaler Beobachter.
  2. Als Teil des langfristig geltenden eigentlichen Friedens­vertrags braucht man Garantien für die Ukraine, die ihr Gewähr geben, nicht bald wieder überfallen zu werden. Diskutiert wird an dieser Stelle bereits über diverse politische Ideen, bis hin zur schnellen Nato-Mitgliedschaft Kiews.
  3. Je überzeugender Kiew die Absicherung unter Punkt zwei findet, umso eher könnte Präsident Wolodymyr Selenskyj sich wohl damit zufrieden­geben, zumindest übergangsweise einen wie auch immer gearteten Sonderstatus für einen Teil der derzeit russisch besetzten Gebiete zu akzeptieren.

Läuft hinter den Kulissen längst mehr, als öffentlich bekannt ist? Vieles spricht dafür. Echte Friedens­diplomatie jedenfalls ist oft nicht gleich als solche erkennbar, sie kommt leise daher und uneitel.

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