Streit um Ungarns Rechtsstaatlichkeit

Warum Viktor Orbán und Ungarn doch noch auf 7,5 Milliarden Euro aus Brüssel hoffen dürfen

Kommt wohl doch an das Geld aus Brüssel: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.

Kommt wohl doch an das Geld aus Brüssel: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.

Brüssel. Der Streit der EU-Kommission mit Ungarn über den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geht in die Endrunde. Trotz massiven Protests aus dem Europaparlament kann sich der ungarische Regierungschef Viktor Orbán Hoffnungen machen, bislang zurückgehaltene 7,5 Milliarden Euro aus Brüssel zu bekommen. Im Rat der EU-Finanzminister zeichnet sich derzeit keine Mehrheit dafür ab, das Geld zu sperren – obwohl in vielen Mitgliedsstaaten und in der EU-Kommission erhebliche Zweifel bestehen, dass Orbán seine Reformversprechen umsetzen wird.

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Die EU-Staaten müssen bis spätestens zum 19. Dezember entscheiden, ob Ungarn die EU-Milliarden vorenthalten werden. Die Behörde von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirft der Regierung in Budapest seit Jahren vor, gegen rechtsstaatliche Normen zu verstoßen und EU-Gelder zu missbrauchen.

Reformmaßnahmen von Ungarn nicht umgesetzt

Seit einigen Monaten läuft deswegen der neue Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn. Demnach darf für das Land bestimmtes EU-Geld eingefroren werden, sofern der Nachweis erbracht wird, dass dieses Geld in falschen Taschen landet. Im Europaparlament sind sich die Vertreter der vier großen Parteien von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen einig: Der Beweis sei seit Langem erbracht. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Laut Analyse der Kommission von vor wenigen Monaten ist Ungarn de facto ein Korruptionssumpf.“

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Auf die Kritik aus Brüssel hat Orbán zwar mit einem Katalog von 17 Reformmaßnahmen reagiert. Doch die meisten dieser Reformen sind nicht umgesetzt. „Ob diese in der Praxis wirken, muss sich erst zeigen“, sagte Körner. Solange der Nachweis fehle, dass Ungarn wieder einen funktionierenden Rechtsstaat habe, „hat von der Leyen keine andere Wahl, als einen Teil der EU-Mittel an Ungarn zurückzuhalten.“

Ähnlich sieht es der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. „Orban hat die Korruption im Grunde in der ungarischen Verfassung verankert“, sagte Freund dem RND. Die angekündigten Reformen seien „windelweich und außerdem nicht umgesetzt“. Deshalb dürften die Milliarden nicht ausgezahlt werden.

Barley warnt vor „schwerwiegendem Fehler“

Auch Katarina Barley, Vizepräsident des Europaparlaments und ehemalige Bundesjustizministerin, warnt die Kommission davor, einen „schwerwiegenden Fehler“ zu begehen: „Angesichts der dokumentierten, systematischen Korruption in Ungarn reichen keine wohlklingenden Regelungen“, sagte die SPD-Politikerin dem RND: „Die ungarische Regierung muss nachweisen, dass die neu eingesetzte ungarische Anti-Korruptionsbehörde diese Aufgabe tatsächlich erfüllt.“ Die EU-Kommission habe sich schon zu oft von Orbán täuschen lassen.

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Zwar wird das Europaparlament am Donnerstag voraussichtlich mit breiter Mehrheit eine Resolution verabschieden, in der die EU-Kommission aufgefordert wird, das Geld nicht auszuzahlen. Doch die Entschließung ist lediglich ein politisches Signal. Rechtsverbindlich ist sie nicht. Die EU-Kommission hat sich bislang noch nicht öffentlich dazu geäußert, wie sie die ungarischen Reformversprechen bewertet. Das soll in den nächsten Tagen geschehen.

Diplomaten aus Mitgliedsstaaten fürchten, dass die Kommission keine klare Entscheidung verkünden, sondern die Angelegenheit an den Rat der Finanzminister weiterschieben wird. Der tagt am 6. Dezember. Dort bräuchte es eine sogenannte qualifizierte Mehrheit, um die Auszahlung der Gelder an Ungarn weiter zu blockieren. Das sind 15 Mitgliedsstaaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Ungarn droht mit Blockade zentraler Projekte

Diese Mehrheit, klagen Diplomaten, sei nur ganz schwer zu erreichen. Denn die ungarische Regierung hat in den vergangenen Wochen mit der Blockade von anderen zentralen Projekten gedroht. Hinter vorgehaltener Hand fällt schon einmal das Wort Erpressung.

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Die baltischen Länder etwa sorgen sich, dass die Ukraine-Hilfe in Höhe von 18 Milliarden Euro auf die lange Bank geschoben werden könnte, wenn Ungarn blockiert. Budapest dürfte auch das neunte Sanktionspaket der EU gegen Russland ins Visier nehmen, wenn das Fördergeld nicht fließen sollte. In Helsinki wachsen die Sorgen, dass Ungarn die Ratifizierung der finnischen Nato-Mitgliedschaft hinauszögert. Und auch in südosteuropäischen EU-Staaten gibt es wenig Begeisterung für den Rechtsstaatsmechanimus. Dort fürchtet manche Regierung, dass sie womöglich demnächst auch mit Geldentzug rechnen muss.

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Nicht ausgeschlossen ist deshalb, dass auch die EU-Finanzminister keine klare Entscheidung treffen werden. Dann liefe das Verfahren gegen Ungarn am 19. Dezember einfach aus und müsste mühsam neu gestartet werden. Für den Grünen-Abgeordneten Daniel Freund käme das einem gewaltigen Schlag gegen die europäischen Grundwerte gleich: „Wenn Kommission und Rat jetzt nicht liefern, warum soll sich dann überhaupt noch an die Regeln halten?“

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