Wer sind die Protestler in Lützerath?
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Klimaschutzaktivisten haben sich am Rand der Ortschaft Lützerath untergehakt. Lützerath soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden.
© Quelle: Oliver Berg/dpa
Nach über zwei Jahren hat die Polizei am Mittwoch mit der Räumung des Protestcamps in Lützerath begonnen. Eine Frage, die im Vorfeld immer wieder debattiert wurde und in die nun etwas Klarheit kommen dürfte: Wer sind die Protestierenden und wie gewaltbereit sind sie wirklich? Der Protest wurde im Zuge dessen immer wieder mit dem im Hambacher Forst 2018 verglichen. Damals standen sich wochenlang maskierte Protestler und Einsatzkräfte gegenüber. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, unnötig Gewalt eingesetzt zu haben.
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Aber wer sind die Klimaschützenden in „Lützi“? Klar ist: „Die“ Klimaschützenden gibt es nicht. Die Menschen, die um Lützerath kämpfen, sind keine homogene Gruppe. In puncto Eskalationspotenzial sah die Polizei der Räumung zwar mit Sorge entgegen, aber schätzte die „Lützi“-Protestler als weniger gewaltbereit ein. Die meisten wurden einer „bürgerlichen“ Szene zugeordnet. Die Gruppe gewaltbereiter Aktivistinnen und Aktivisten sei klein.
Es gibt nicht „die“ Klimaschützer
Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz warnte dagegen vor „gewaltbereiten Linksextremisten“. „Wir sehen, dass bundesweit auch gewaltbereite Linksextremisten gegen die Räumung mobilisieren und sich bereits vor Ort sammeln. Teils wird zu militanten Aktionen aufgerufen“, sagt er gegenüber der dpa. Bereits in der vergangenen Woche war es zu Auseinandersetzungen zwischen Klimaschützenden und der Polizei gekommen. Bei der Räumung am Mittwochmorgen seien vereinzelt Molotowcocktails und Steine geflogen. Das berichtet die Polizei. Laut Beobachtern ist die Gegenwehr aber nicht so massiv wie erwartet. Ein Aktivist saß an einem alten Klavier und spielte, während die Beamten in den Ort vorrückten.
Das Klimaprotestcamp vor Ort besteht seit 2020. In den vergangenen über zwei Jahren hat sich die Gruppe der Protestierenden immer wieder gewandelt. „Weihnachten waren wir nur 25 Leute“, erzählt ein Mitglied des Protestcamps im Video. „Da haben wir schon gedacht: Oh Gott. Wie soll das werden im Januar mit der Räumung?“
Aufgeheizte Atmosphäre: Polizei entfernt Barrikaden in Lützerath
In angespannter Atmosphäre hat die Polizei am Dienstag mit der Entfernung von Barrikaden auf dem Zufahrtsgelände zum besetzten Dorf Lützerath begonnen.
© Quelle: Reuters
Das hat sich aber in den vergangenen Wochen stark verändert: Weil die „Mahnwache Lützerath“ bis zum 9. Januar offiziell genehmigt war, konnten Protestierende bis dahin noch legal anreisen. Nach eigenen Angaben befanden sich am Montag 700 Demonstrantinnen und Demonstranten vor Ort. Die Polizei sprach von etwa 300 Personen. Eine Demonstration am vergangenen Sonntag sorgte abermals für Zulauf.
Unterschiedliche Ziele, Motivation und Nähe zur Gewalt
In und um die Ortschaft herum sind verschiedene Initiativen unterschiedlich lange aktiv. Je nach Gruppe und auch innerhalb dieser unterscheiden sich die Ziele, Motivationen und Nähe zur Gewalt voneinander. Einem Ziel aber fühlen sich wohl alle Gruppierungen zugehörig: Lützerath zu erhalten und den Abbau der Kohle zu verhindern. So heißt auch die zentrale Organisation vor Ort „Lützerath lebt!“.
Die Gruppe wurde vor über zwei Jahren gegründet und ist seitdem nach eigenen Angaben „Anlaufstelle und Begegnungsort der Region“ für Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen.
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Einige leben in Lützerath, andere kommen am Wochenende oder unterstützten aus der Ferne. Unter ihnen sind auch ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner. „Wir sind vielfältig. Was uns eint ist das Bestreben, den Tagebau endgültig zu stoppen“, beschreibt sich die Initiative selbst. Diesen Eindruck bestätigt auch Laura Cwiertnia im Zeit-Podcast „Das Politikteil“.
Gruppen solidarisieren sich
Die Journalistin hat viel in der Szene und in Lützerath selbst recherchiert. „Man trifft Leute, die ganz offen mit einem sprechen, die auch sonst ganz andere Berufe haben und da mal eine Zeitlang wohnen und dann wieder gehen“, sagte sie. „Man trifft aber auch Leute, die nicht so gerne mit einem sprechen wollen und die sich auch vermummt haben.“
Die Dörfer, die für die Braunkohle starben
Mit Lützerath verschwindet das voraussichtlich letzte Dorf für den Braunkohleabbau. Allein im Rheinischen Revier wurden seit den Fünfzigerjahren an die 60 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht – und mit ihnen historische Burgen, Kirchen und Klöster. Dies ist ihre Geschichte.
Neben der Besetzergruppe „Lützerath lebt!“ gibt es außerdem viele Gruppen, die sich mit ihnen solidarisieren. Dazu zählen unter anderem Campact!, Fridays for Future, Greenpeace Deutschland, BUND und Alle Dörfer bleiben. Letztere ist eine der zentraleren Initiativen, die sich vor Lützerath auch schon für den Erhalt anderer Dörfer eingesetzt hat. „Wir fordern den sofortigen Stopp aller Zwangsumsiedlungen, aller Abrissarbeiten, aller Rodungen, Flächen- und Naturzerstörungen in den Braunkohlerevieren“, heißt es auf der Website.
„Als ich da war, waren die Vertreter der Initiative „Kirche im Dorf lassen“ am lautesten“, sagt Cwiertnia. „Da sieht man, dass dieser Ort ganz unterschiedliche Gruppen anzieht.“ Außerdem habe sie jemanden getroffen, der sich der Letzten Generation zugehörig fühlt.
Gemeinsames Ziel: Protest gegen Braunkohle
Den meisten Menschen vor Ort gehe es vor allem um den Protest gegen die Braunkohle. Für einige sei der Klimaprotest grundsätzlicher, ein Klimagerechtigkeitsprotest – also eine Systemkritik. Das klingt auch in einigen Statements von „Lützerath lebt!“ an, bei der die Initiative etwa fordert, Klimapolitik zu dekolonialisieren.
Grundsätzlich, so Laura Cwiertnia, könne man in der Klimabewegung folgende Gruppen voneinander unterscheiden: Die Fridays-for-Future-Protestler, die sehr breit in der Bevölkerung vertreten sind. Scientist Rebellion und die Letzte Generation, die aus der Extinction Rebellion hervorgegangen sind und zivilen Ungehorsam als Mittel des Klimaprotests einführten. Sie bleiben erkennbar, nennen ihre Namen und sind theoretisch bereit, für ihre Taten auch ins Gefängnis zu gehen.
Andere Aktivistinnen und Aktivisten – vornehmlich aus Gruppen wie Ende Gelände, aber auch Teile von „Lützerath lebt!“ – wollen nicht erkannt werden. Sie maskieren sich und verkleben sich die Fingerkuppen, um die Identitätsfeststellung zu verhindern, berichtet die Journalistin. Aber: „Die Mehrheit der Klimaaktivisten lehnt Gewalt völlig ab.“