Prof. Dr. Gerhard Augst untersuchte Phänomen Bildungswortschatz
Krimi rund um die Sprache

- Von 1973 bis 2004 lehrte Gerhard Augst als Professor für deutsche Sprache an der Universität Siegen; bis zum Ende des Sommersemesters 2019 war er dann als Lehrbeauftragter an der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig. Nun hat er ein Buch vorgelegt, das Bildungssprache verständlich(er) macht.
- Foto: Justus-Liebig-Universität Gießen
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ciu Siegen. „Kan nit verstan“ – so sollte dieser Text beginnen. Und dann, geschärft von der Lektüre eines Buches, das sich mit dem Bildungswortschatz befasst, das nach der Herkunft und damit nach der grundlegenden Bedeutung von Wörtern und Wendungen fragt, zumal solchen, die nicht immer und unbedingt für alle verständlich sind, führte die Recherche zum Erkenntnis-Gewinn: Das „Kan nit verstan“, verwendet im Sinne von „Ich verstehe (es/dich) nicht“, bezieht sich auf „Kannitverstan“ und damit auf eine Geschichte von Johann Peter Hebel, 1808 erstmals erschienen, in der ein Handwerksbursche bei einer Reise nach Amsterdam aus der ihm mehrfach gegebenen Antwort „Kan nit verstan“ seine eigenen, durchaus klugen Schlüsse zieht. Was also im Deutschen zur umgangssprachlichen Redewendung geworden ist, weiß der klassisch-literarisch gebildete Mensch in einen größeren Zusammenhang einzuordnen, denkt mit, was Hebel an Lebensweisheit aussagen wollte.
Gerhard Augst forschte über den Bildungswortschatz
Ein Beispiel nur, das zeigt, wie tiefgründig Sprache, und hier die deutsche Sprache, ist, wie reich an Andeutungen, Bezügen, Verweisen, Übertragungen; die aber freilich, je komplexer sie verwendet wird, umso unverständlicher werden kann – zumal für Menschen, die nicht auf einen besonderen Bildungs(wort)schatz zurückgreifen können. Mit der Folge, dass, wer beim Zuhören oder Lesen kaum oder gar nichts versteht, in der Regel außen vor bleibt und überfordert aussteigt.
Eine Verständnis-Hilfe bietet an dieser Stelle Gerhard Augst mit seinem Buch „Der Bildungswortschatz“ (Verlag Georg Olms, 2019). Darin untersucht er zum einen den klassischen, zum anderen den modernen Bildungswortschatz und folgt beiden dann jeweils zu ihren Quellen. Diese Spurensuche liest sich wie eine Kriminalgeschichte, erlaubt Entdeckungen, bestätigt manchen Verdacht und ermuntert dazu, einzelne Mosaiksteinchen auf eigene Faust in ein größeres Ganzes einzupassen.
Die Welt und ihre Beschreibung sind im Wandel
Was Augsts Untersuchung auszeichnet: dass sie in der Regel analysiert und nicht bewertet. So wie die Welt sich wandelt und die Erklärung derselben, wandelt sich auch deren Beschreibung – inhaltlich und sprachlich. Und so geht manches, vorwiegend klassisches Wissen verloren oder zumindest verschütt, führen Veränderungen etwa der politisch-gesellschaftlichen Paradigmen oder des Bildungswesens sowie all dessen, was Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung auf den Weg bringen (Stichwort: Digitalisierung), auch zu neuen (oft aus der Fachsprache abgeleiteten) bildungssprachlichen Ausdrucksweisen.
Zu allen Zeiten, so Gerhard Augst in seinem Definitionsansatz, dienten „Bildungssprache und Bildungskommunikation (…) der Verständigung der Laien über die Welt (u. a.) durch Rückgriff auf Modelle alter und neuer Wissenschaften“ (S. 10). Wer heute bildungssprachlich mitreden könne, habe teil „an den öffentlichen Diskursen, in denen es um ökologische, ökonomische, politische, medizinische, pädagogische, religiöse, ästhetische Phänomene oder Probleme“ gehe (S. 71). Die Folge: Wem hier Kompetenzen fehlen, dem geht auch die Möglichkeit eines qualifizierten Mitentscheidens ab.
Zum Nachschlagen und Lernen
Auch deshalb ist Augsts sprachwissenschaftliches Werk ein zutiefst demokratie-förderndes. Es befähigt mit seinen ausführlichen erklärenden Passagen und dem fast 100-seitigen Wörterverzeichnis „zum Nachschlagen und Lernen“ dazu, „les mots savant“, die von Wissen umgebenen Wörter, zu verstehen und dann auch zu gebrauchen. Nicht um andere mehr oder weniger absichtlich auszuschließen, sondern um die Welt und das, was sie „im Innersten zusammenhält“, besser durchschauen und gestalten zu können. Solches letztlich auch in dem Bewusstsein, dass Sprache Wirklichkeit schaffen und Grenzen überwinden kann.
Gerhard Augst lehrte an der Universität Siegen
Gerhard Augst, geb. 1939 im Westerwald, war von 1973 bis 2004 Professor für deutsche Sprache an der Universität Siegen und seitdem Lehrbeauftragter an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er war maßgeblich an der Rechtschreibreform von 1996 beteiligt und hat Forschungen im Bereich der Lexik und zum Spracherwerb veröffentlicht. Augst lebt im hessischen Biebertal.
Autor:Claudia Irle-Utsch (Redakteurin) aus Siegen |
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