Alltagssprache statt Grammatikfrust
Integrationskurse für Migrantinnen: seit zwei Jahren Auswege aus sprachlicher Isolation
Rö Siegen. Wie man sich in einem Land fühlt, von dessen Sprache man nur Bruchstücke versteht, kennen viele von Auslandsreisen. Da werden Straßennamen, Texte auf Werbeflächen, Zeitungsüberschriften plötzlich zu geheimnisvollen Zeichen. Noch schlimmer für den Sprachunkundigen ist, wenn Sätze Einheimischer in rasantem Tempo auf ihn niederprasseln. Im Urlaub ist das normalerweise kein Problem. Was aber, wenn der Reisende plötzlich gezwungen wäre, in dem vollkommen fremden Land zu leben? Wenn es gälte, dort eine Arbeit aufzunehmen, einem Arzt die Beschwerden des Kindes zu erklären oder einen Streit mit dem Nachbarn zu schlichten?
Hierzulande erleben dies derzeit täglich viele der rund zwei Millionen Türken, allen voran Frauen. Solche handfesten Kommunikationsprobleme erzeugen wieder andere Probleme – man denke an die PISA-Studie. Demnach haben es in Deutschland Kinder, deren Eltern zu Hause nur wenig Deutsch sprechen, nicht nur in der Schule schwer. Laut PISA-Befund stehen am Ende oft fehlender Schulabschluss und fehlende Berufsausbildung mit fatalen Folgen für Wirtschaft und soziales Leben.
Inzwischen laufen auch seitens Migranten Bemühungen um verbesserte Sprachkompetenz an. Dazu zählen u.a. die Integrationskurse für Migrantinnen, wie sie der Türkisch-Islamische Kulturverein Siegen seit zwei Jahren anbietet. Seine Arbeit wurde jetzt im Ev. Gemeindehaus der Nikolaikirche in Siegen Vertretern politischer und kirchlicher Gremien vorgestellt.
Zwei Kurse, anfangs mit jeweils zehn Teilnehmerinnen im Alter zwischen 19 und 40 Jahren inklusive Kinderbetreuung, bilden das Angebot. Beide finden einmal pro Woche von 10 bis 12 Uhr statt. Der Kurs für Frauen ohne Vorkenntnisse in Deutsch findet donnerstags, der für Frauen mit Vorkenntnissen mittwochs statt. Inzwischen ist die Teilnehmerzahl auf 26 angewachsen. Zur Zeit werden die Kurse unter der Leitung von Verkin Tasci in den Räumen des Ev. Gemeindehauses am Bleichweg abgehalten, weil das Gebäude des Türkisch-Islamischen Vereins am Lohgraben renoviert wird.
Dort wird nicht stur nach einem Lehrbuch »Deutsch für Ausländer« gebüffelt, schwierige Grammatikregeln werden nicht abgefragt – ein Punkt, der viele türkische Frauen z.B. von der Teilnahme an Volkshochschulkursen abhält. Statt dessen werden Bank- und Verwaltungsformulare gemeinsam ausgefüllt oder sprachliche Vorbereitungen für einen Arzt- oder Elternabendbesuch getroffen, kurzum: Alltagssprache eingeübt.
Die Kurse sind für alle Frauen offen. Zielgruppen sind vor allem Hausfrauen und Mütter, die meist isoliert und zurückgezogen leben. Viele sind ihren Männern nach Deutschland gefolgt, haben Kinder großgezogen, aber kein Deutsch gelernt. Diese Integrationskurse böten den betroffenen Frauen oft die einzige Möglichkeit, aus ihrer Isolation herauszutreten und außerdem die Sprache ihrer neuen Umgebung zu erlernen, sagt Melike Gecer, die Vorsitzende des Vereins.
Die Integrationskurse für Migrantinnen wurden 2002 teils vom Bund, teils von der Stadt Siegen und mit Spenden gefördert. Durch die ungewisse wirtschaftliche Lage gab es 2003 noch keine Zusagen für Fördergelder, also 600 e pro Monat für zwei Kurse mit Kinderbetreuung. Gemessen an den gravierenden Folgekosten langfristiger Sprachinkompetenz bleibt zu überlegen, ob Privatpersonen oder Unternehmen der heimischen Region nicht diesbezüglich die Stadt Siegen finanziell entlasten könnten.
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
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