Brötchen hat kurze Jugend
Jury bescheinigte Backwerk aus Region Rasse und Klasse
Siegen. Die Jugend eines Brötchens ist verflixt kurz: Nach fünf, sechs Stunden ist es vorbei. Vor allen Dingen bei hoher Luftfeuchtigkeit altern die „Frühstücksburger” schneller als Eintagsfliegen. Da schwindet die Knackigkeit in Richtung Gummibärchen. Rasch kann man den Vergänglichkeitsgrad eines Brötchens testen. Mit simpler Druckprüfung: Hand auflegen und sacht stauchen - nicht aufstützen (Stichwort Totalschaden). Knackt oder knirscht es, dann ist alles in Ordnung. Aber: Lässt sich der Weizenproband geräuschlos auf Bratlings- oder Oblatenhöhe stauchen, ist Vorsicht geboten.
Ganz verloren ist die dehnbare Mahlzeit allerdings nicht: Leicht (!) wässern und ab in den auf 200 Grad hochgestochten Backofen. Nach zwei bis drei Minuten rausnehmen, und siehe da: Der Rundling knittert nicht mehr. Er ist eher etwas zu kross. Mit der „Zartsplittrigkeit einer Weizengebäckkruste” (Fachjargon der Bäcker) ist es dann vorbei. Es gibt noch viele Kriterien, die darüber Aufschluss geben, wann ein Brötchen „Top oder Flop” ist. Experten der weißen Branche nahmen gestern im Foyer der City-Galerie Brötchen aller Sorten und Gattungen unter die Lupe. Über 400 Backwerke, die von 32 in der Bäckerinnung Siegen-Wittgenstein angeschlossenen Betrieben zur Brötchenprüfung eingesandt worden waren, stellten sich der Jury. Insgesamt sind 80 Betriebe innungsmäßig organisiert. Nur rund 45 Prozent schickten ihre knusprigen Ovale auf den Laufsteg. Brötchen ist nicht gleich Brötchen: Sage und schreibe 42 Sorten - je im Zehnerpack - wurden eingereicht. Macht 420. Vorweg: Qualität ausgezeichnet. 26 Sorten erhielten das Prädikat sehr gut. 15 Sorten schnitten mit gut ab. Also: 41 von 42 Sorten wurden prämiert. Eine Sorte erhielt die Note zufriedenstellend. Absacker mit der Fußnote „verbesserungsbedürftig” gab es nicht.
Laut Testkriterien kann ein einziges Produkt 90 Mängel aufweisen. Feststellbar allerdings nur durch filigrane Obduktion. Wie man 90 Mängel in einem kleinen Brötchen unterbringen kann, bedarf schon einiger Kunst. Klappt höchstens, wenn der Bäcker total von der Rolle ist oder versehentlich mit Streusalz und Gipsmehl gearbeitet hat.
Das Prüfungsteam, das sich durch die 42 Sorten fingerte, schnüffelte und tastete: Obermeister Michael Stötzel sowie die Meister Karsten Pietsch und Erwin Gebhardt. Die Oberaufsicht hatte Heinz-Peter Kohlgruber, Prüfgruppenleiter bei der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Geprüft wurde nach strengen Normen der Bundesforschungsanstalt für Getreide, Kartoffeln und Fett. 97,6 Prozent der zum Test eingereichten Semmeln erhielten höchste und hohe Noten. Mit diesem Ergebnis liegt das regionale Backhandwerk über dem Landesdurchschnitt. Beifall! Ferdi Schmidtmann, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, ist zufrieden. Wenn er heute Morgen Semmeln kauft, weiß er, dass ihm knackfrische Qualität in die Tüte gepackt wird.
dige
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
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