Dem Makler freie Hand gelassen
Gericht hörte erste Zeugen im Berufungsverfahren gegen einen Siegener Notar
pebe Siegen. Zweiter Verhandlungstag im Berufungsverfahren gegen einen 63-jährigen Siegener Rechtsanwalt und Notar, dem 16 Falschbeurkundungen zur Last gelegt werden. Gestern hörte die Siegener Berufungskammer unter Vorsitz von Richterin Elfriede Dreisbach die ersten Zeugen – eine langwierige Angelegenheit, die gleich zu Beginn eines deutlich machte: Erinnerungen werden nach sechs Jahren nicht besser. Zudem haben die Zeugen bereits mehrfach ausgesagt: bei der Staatsanwaltschaft, in einem Zivilverfahren vor dem Landgericht Stralsund, vor dem damaligen Vizepräsidenten des Siegener Landgerichts, vor dem Amtsrichter und nun hier. Viele Aufgüsse eines einzelnen Teebeutels sozusagen.
Auf der Tagesordnung standen die Umstände, unter denen die Beurkundungen der Kaufangebote zweier Ferienwohnungen zustande gekommen waren. Alte Fragen: Hat der Notar an beiden Terminen nur kurz den Text vorgelesen und dabei ganze Teile ausgelassen und Seiten übersprungen? Klären ließ sich das nicht. Denn eine Zeugin, die die Wohnung mit ihrem Mann gemeinsam als attraktives Abschreibeobjekt gekauft hatte, erinnerte sich von Nachfrage zu Nachfrage der Verteidiger weniger genau.
An jenem Abend im November hätten sie die Wohnung eigentlich noch gar nicht kaufen wollen, berichtete die Zeugin. Und auch ihr Mann bestätigte später, man habe mit dem vermittelnden Makler einer Bausparkasse eigentlich noch »Fraktur« reden wollen, was die Finanzierung betraf. Der Makler habe sie dann zu dem Notar gedrängt, wo sie ihre Unterschriften geleistet hätten, bevor sie sich überhaupt über die Folgen klar gewesen seien. Auf Nachfrage der Richterin musste die Zeugin aber einräumen, sie hätten gewusst, worum es geht, als der Notar mit der Beurkundung begonnen habe.
Wieder kamen die bekannten Vorwürfe auf den Tisch: Überblättern ganzer Seiten – »Wir dachten, beim Notar wird das ja ganz o.k. sein« –, keine Verlesung von Anlagen oder Teilungserklärung und Inventarlisten. Nachdem der erste Kauf nicht zustande gekommen sei, sei bei einem weiteren Angebot alles noch schneller gegangen, und der Notar habe bei Textteilen gesagt: »Das können wir auslassen, das ist Ihnen ja bekannt.«
Als die Zeugin durch die Verteidiger Edgar Grunenberg (Siegen) und Johannes Muhr jun. (Köln) befragt wurde, stellte sich heraus, dass sie sich ihrer Erinnerung gar nicht so sicher war: So hatte sie gar keine genaue Erinnerung an die Zeit, die der Notar zum Vorlesen benötigt hatte. Vielmehr hatte sie diesen Zeitraum später mit ihrem Mann gemeinsam geschätzt. Und sie verschätzte sich gewaltig, als sie gefragt wurde, wie lang sie bereits im Zeugenstuhl sitze: statt einer Stunde waren es gut anderthalb. Letztlich wurde zumindest klar, dass sie dem Makler blind vertraut und ihm freie Hand gelassen hatte. Der Prozess wird fortgesetzt.
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
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