Verwaiste Eltern gedenken
Ein Licht für jedes Kind

- Jedes Licht steht für ein verstorbenes Kind, die Eltern, Geschwister oder andere Verwandte zünden es beim gemeinsamen Gottesdienst in der Martini-Kirche an. Aufgrund der Corona-Pandemie müssen sie die Kerze dieses Jahr zu Hause anzünden.
- Foto: privat
- hochgeladen von Sonja Schweisfurth (Redakteurin)
sp Siegen. Tatjana Ebener-Scharnberg ist eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt, auch nicht, wenn sie über die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie spricht. „Das ist brutal“, sagt die Flammersbacherin mit Blick auf ihre vor 20 Jahren gegründete Selbsthilfegruppe für Eltern, deren Kinder verstorben sind. Die Gruppentreffen dürfen nur noch mit sehr reduzierter Personenzahl stattfinden. Masken und Abstandsregeln sorgen für Distanz, Umarmungen sind nicht erlaubt – dabei seien die besonders wichtig, weil manchmal einfach die Worte fehlten, sagt die ausgebildete Trauerbegleiterin. Verzweifelt haben sich schon Teilnehmer der Gruppe bei ihr gemeldet, weil sie ohne diese nur wenig Trost finden.
Großes Verständnis untereinanderTatjana Ebener-Scharnberg ist selbst betroffen.
sp Siegen. Tatjana Ebener-Scharnberg ist eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt, auch nicht, wenn sie über die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie spricht. „Das ist brutal“, sagt die Flammersbacherin mit Blick auf ihre vor 20 Jahren gegründete Selbsthilfegruppe für Eltern, deren Kinder verstorben sind. Die Gruppentreffen dürfen nur noch mit sehr reduzierter Personenzahl stattfinden. Masken und Abstandsregeln sorgen für Distanz, Umarmungen sind nicht erlaubt – dabei seien die besonders wichtig, weil manchmal einfach die Worte fehlten, sagt die ausgebildete Trauerbegleiterin. Verzweifelt haben sich schon Teilnehmer der Gruppe bei ihr gemeldet, weil sie ohne diese nur wenig Trost finden.
Großes Verständnis untereinander
Tatjana Ebener-Scharnberg ist selbst betroffen. Sie hatte eine Frühgeburt und hat eine Tochter tot geboren. Mit ihrer Familie – sie ist Mutter zweier lebender Kinder im Jugendalter – konnte sie immer offen darüber sprechen. „Bei uns gibt es keine Tabus. Das ist Luxus, das ist nicht selbstverständlich.“ Hier sagte ihr keiner „Jetzt muss auch mal wieder gut sein“. Tatjana Ebener-Scharnberg weiß, dass viele verwaiste Eltern solche Aussagen hören. Sie werden aufgefordert, wieder nach vorne zu schauen, aufgefordert, nicht mehr zu trauern. „Es kommt keiner mehr zu Besuch, das Telefon steht nur still in der Ecke.“ Dabei haben die Eltern, die ein Kind verloren haben, oft das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Wie mit dem Verlust umgegangen wird, ist unterschiedlich: „Es gibt kein Patentrezept für Trauernde, es gibt kein Richtig oder Falsch.“
Gruppe zum Austauschen und Trauern
„Auf jeder Feier saß ich mit einem Trauerkloß in der Ecke“, sagt sie mit ihrer sehr offenen Art. Andere Betroffene wollten reden, sie hörte zu. Irgendwann aber wollte sie nicht mehr nur die Frau mit dem toten Kind sein. Sie gründete mit zwei anderen Frauen die Gruppe zum Austauschen und Trauern – und sagt auch: „Wenn die Mitmenschen empathischer wären, mehr zuhören würden, bräuchte man die Selbsthilfegruppe nicht.“Der Bedarf war da. Zu den regelmäßigen Treffen am Abend kann jeder kommen, der ein Kind verloren hat. „Elternsein beginnt mit der Schwangerschaft und Kindsein endet, wenn beide Elternteile gestorben sind.“ Wer zur Selbsthilfegruppe kommt, der kann etwas sagen, muss aber nicht. Beim ersten gemeinsamen Abend (die Treffen finden in zwei Blöcken im Jahr alle zwei Wochen statt) ist es allerdings Pflicht, sich und sein Schicksal vorzustellen.
Gottesdienst erinnert an verstorbene Kinder
Einmal im Jahr soll auf besondere Weise mit einem Gottesdienst an die verstorbenen Kinder erinnert werden. Eltern und Geschwister sind dazu eingeladen. Der Name jedes Kindes und die Todesursache wird vorgelesen. „Auf unserer Liste steht dann manchmal Krümelchen, gestorben in der soundsovielten Schwangerschaftswoche.“ Die Verwandten zünden eine Kerze an. „Das ist Dreh- und Angelpunkt des Gottesdienstes.“ Vergangenes Jahr waren es fast 100 Teelichter (passend zum Thema gestaltet), die auf den Treppenstufen der Martinikirche in Siegen standen. Jedes einzelne Licht ist beschriftet mit dem Namen des Kindes.
"Keiner schämt sich für seine Tränen"
„Der Gottesdienst bietet Zeit und Raum, sich an das Kind zu erinnern“ – in diesem Jahr allerdings nicht in gewohnter Form. Die Türen der Martini-Kirche bleiben geschlossen. Ein Gottesdienst mit rund 300 Besuchern kann aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden. Tatjana Ebener-Scharnberg tut das sehr leid. Sie weiß, dass viele den Kontakt suchen, die Umarmungen und das gemeinsame Aushalten der Stille im Gottesdienst brauchen. Er ist ein Zeichen der Gemeinschaft. „Es zeigt, ich bin nicht alleine. Keiner schämt sich für seine Tränen.“ Wie wichtig der Gottesdienst für die Betroffenen ist, weiß die Erzieherin: „Für manche Familien ist das der Weihnachtsgottesdienst, weil sie alle zusammen sind, manche gehen danach noch irgendwo hin, um gemeinsam zu essen.“ Auch das wird in diesem Jahr nicht möglich sein.
Gefühl der Verbundenheit vermitteln
Um den verwaisten Eltern und Geschwistern eine Alternative anzubieten, gab es am Totensonntag einen Gottesdienst per Stream. Das Thema: Nähe und Distanz – passend zur aktuellen Situation. „Corona spiegelt wider, wie sich verwaiste Eltern fühlen, die Menschen haben Sehnsüchte, fühlen sich einsam, wollen wieder das Leben wie vorher haben.“ Um doch ein Gefühl der Verbundenheit zu vermitteln, wurden im Gottesdienst neun Kerzen für unterschiedliche Gründe angezündet, warum ein Kind nicht mehr lebt: wegen einer Krankheit, eines Unfalls, Suizid … Die verwaisten Eltern und Geschwister durften zu Hause eine Kerze anzünden und den Namen des Kindes noch einmal bewusst aussprechen.


Autor:Sarah Panthel (Redakteurin) aus Siegen |
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