Ein Moralist total erregt

- Bei seinem „demagogischen Blindtest“ erwies sich Serdar Somuncu als moralisierender Berserker, der vor drastischer Wortwahl nicht zurückschreckte. Foto: hel
- hochgeladen von Archiv-Artikel Siegener Zeitung
hel Siegen. Seit etlichen Jahren erweist sich der Auftritt des von kabarettistischer Spitzfindigkeit längst entwöhnten Serdar Somuncu stets als ultimativer Lÿz-Saisonabschluss. Mit seinen Beleidigungen, die er Gierhälsen, Dumpfbacken und Heilsbringern in dieser Republik und darüber hinaus entgegenschleuderte, lockte der kathartische Heilsbringer auch diesmal seine Siegener Fans in Scharen in die Schauplatzbühne, die die eigentliche Mimose als Berserker erleben wollten. 90 Minuten gab Somuncu den „Hassprediger“, der vor nichts zurückschreckte, alles und alle mit Hohn und Spott überzog, denen man mit verständnisvoller Ansprache nicht mehr beikommen kann.
Das überwiegend junge, „frische Klatschvieh“ bekam von Serdar Somuncu genau das geboten, was man in Predigten der üblichen Art eher nicht zu hören bekommt. „Es wird flächendeckend beleidigt“, verkündete der Schauspieler und politisierende Philosoph türkischer Herkunft, der sein Publikum mit jeder Menge Obszönitäten überzog, wohlwissend, dass sich die Pornografie bereits mit Krakenarmen in allen Köpfen und allen Bereichen unserer Gesellschaft ausgebreitet hat.
Somuncu sprach aus, was andere nur denken. Renitenz wurde bei ihm zur Überlebensstrategie in einem System, das Deppen belohnt und die Gerechten bestraft. Und so forderte er, dass alle ein Recht darauf haben, diskriminiert zu werden: Juden, Schwule, Neger und türkische Kopftuchtussen und Religionseiferer. Wenn der sich an politischer Unkorrektheit labende Tabubrecher in die Tirade flüchtete, offenbarte er letztlich nur seine Hilflosigkeit angesichts der angstmachenden Dinge, die uns in immer schnellerem Tempo zu überrollen drohen.
Somuncu, der die Promiskuität geißelte und den totalen Voyeurismus verurteilte („je mehr man weiß und sieht, desto verrückter wird man“), tröstete sich und sein Publikum mit der Gewissheit, dass sowieso über kurz oder lang die Welt untergeht: „Bevor es jedoch so weit ist, muss Jopi Heesters erst sterben. Und das kann noch dauern“, konstatierte Serdar. Bis dahin wird Somuncu weitermachen, die Nazis mit ihren eigenen Waffen schlagen und schlechte, stadionfüllende Witzemacher mit seiner gigantischen Kleinkunst verbal erschlagen. Im Lÿz ging man mit seinen „Hasstiraden“ d’accord. Zugaben mit Pianoeinlage und Bericht über eine Begegnung mit der „Upperclass der Asozialen“ waren logischerweise fällig. Ist der Mann noch steigerungsfähig?!
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.