Eine harte Nuss für die Strafkammer
Vielfältige Verständnisprobleme im Vergewaltigungsprozess vor Siegener Jugendkammer
pebe Siegen. Zweiter Verhandlungstag im Prozess gegen einen 20-jährigen Brasilianer, der im vergangenen Sommer eine ebenfalls aus Brasilien stammende 39-Jährige vergewaltigt haben soll. Schon der erste Prozesstag war anstrengend gewesen. »Wir werden hier mit zwei Filmen konfrontiert«, hatte der Vorsitzende der Jugendkammer I, Friedhelm Glaremin, gesagt und damit ein großes Problem angedeutet: Die Version des Angeklagten unterscheidet sich in fast allen Punkten von dem, was die Nebenklägerin als Zeugin aussagte. Und weitere direkte Zeugen hatte das Gericht nicht zur Verfügung.
Keine allzu leichten Voraussetzungen für den neuerlichen Auftritt aller Beteiligten gestern Mittag. Vielleicht bewog das den Kammervorsitzenden zur Bekanntgabe einer »Zwischenüberlegung« des Gerichts. Man sei sich seitens der Kammer »nicht sicher, ob nach den Aussagen der Nebenklägerin die Anklage bestätigt wird«, stellte Glaremin fest. Das liege an den »Rissen« zwischen den Aussagen der Zeugin bei der Polizei und im Prozess. Und dies bereite nun hinsichtlich der »Konstanz« der Aussagen Schwierigkeiten. Einfacher: Die Zeugin hatte einzelne Handlungen im Prozess anders zugeordnet als bei der Polizei. Ein Problem für die Richter, denn ihr Urteil könnte für den Angeklagten eine lange Freiheitsstrafe bedeuten. Die aber müsste lückenlos begründet sein.
Wenn Glaremin gedacht haben sollte, sein »Outing« werde das Verfahren erleichtern, dann hatte er sich getäuscht. Denn der Nebenklagevertreter, Rechtsanwalt Edgar Grunenberg, hielt dagegen: Vergewaltigungsopfer seien nun mal traumatisiert, da sei es nur verständlich, dass sie die Abfolge von Vergewaltigungen nicht »auf die Reihe bringt«. Da half es nichts, dass Glaremin meinte, Grunenberg solle sich das Plädieren aufsparen, die Kammer habe ja noch gar nicht entschieden. Da half es auch nichts, dass der Richter hinterherschob, die Bedenken hinsichtlich der Aussagen gälten auch dem Angeklagten. Es kam ein problematischer Ton ins üble Anklagethema.
Später bekam die Schwester des Angeklagten eine Stimme, d.h. ihre Aussage vor einem Richter wurde verlesen. Die junge Frau hatte ebenfalls bei der 39-Jährigen gewohnt und berichtete laut Protokoll, dass sie zwei Vergewaltigungen mit eigenen Ohren gehört habe bzw. ihre akustischen Wahrnehmungen als sexuelle Übergriffe interpretierte. Ihr Bruder, eine Art Dr. Jekyll und Mr. Hyde, habe sich furchtbar aufgeführt und beide Frauen terrorisiert.
Wieder musste die 39-Jährige im Zeugensessel Platz nehmen. Ob sie noch etwas zu sagen habe, fragte Glaremin. Und wieder begann die Frau, all das, was sie als Erniedrigung erfahren hatte, zu erzählen. Sie schien nicht zu begreifen, warum die Nachfragen des Gerichts zu den Vergewaltigungsvorwürfen sehr detailliert sein mussten. Und bis endlich der Dolmetscher auf Geheiß des Gerichts auch für sie tätig wurde, hatte sie ihrer Verbitterung lautstark Ausdruck gegeben. Fortsetzung folgt. Kein leichter Fall, doch die Stimmung ist sehr authentisch.
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.