Radfahrer dürfen weiter "oben ohne" strampeln (mit Kommentar)
Helmpflicht kommt nicht

- Bei der beliebte SZ-Randwanderung – wie hier 2017 an der Bigge – ist das Helmtragen für viele Teilnehmer eine Selbstverständlichkeit. Aber sollte es auch zur gesetzlich festgeschriebenen Pflicht werden?
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js Siegen/Bad Berleburg/Olpe. Radfahren ist im Kommen, wachsendes Klimabewusstsein und vor allem der Corona-Krisenmodus haben dem Verkauf der Velos Schwung gegeben. Ist es da nicht an der Zeit, noch einmal über einen gewichtigen Sicherheitsaspekt zu diskutieren? Wäre es nicht angezeigt, das Tragen von Radhelmen zur Pflicht zu machen? Nein, meint Jura-Professor Ansgar Staudinger, der am Freitag als Präsident den Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar eröffnen wird, jetzt in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur. Derzeit sei er noch gegen eine gesetzliche Verankerung einer Helmpflicht in der Straßenverkehrsordnung – um dem Trend zum Radfahren nicht entgegenzuwirken.
„Wir erlauben jedem, sich selbst zu gefährden“, sagt Staudinger.
js Siegen/Bad Berleburg/Olpe. Radfahren ist im Kommen, wachsendes Klimabewusstsein und vor allem der Corona-Krisenmodus haben dem Verkauf der Velos Schwung gegeben. Ist es da nicht an der Zeit, noch einmal über einen gewichtigen Sicherheitsaspekt zu diskutieren? Wäre es nicht angezeigt, das Tragen von Radhelmen zur Pflicht zu machen? Nein, meint Jura-Professor Ansgar Staudinger, der am Freitag als Präsident den Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar eröffnen wird, jetzt in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur. Derzeit sei er noch gegen eine gesetzliche Verankerung einer Helmpflicht in der Straßenverkehrsordnung – um dem Trend zum Radfahren nicht entgegenzuwirken.
„Wir erlauben jedem, sich selbst zu gefährden“, sagt Staudinger. Dies ergebe sich aus der im Grundgesetz verankerten freien Entfaltung der Persönlichkeit. Es bräuchte triftige Gründe, damit der Staat da eingreifen dürfte. Andere Länder, andere Sitten: Australien beispielsweise schreibt den Menschen vor, sich zu schützen. Wer ohne Helm erwischt wird, muss mit mehreren Hundert Dollar Strafe rechnen. Für Deutschland sieht Staudinger andere Lösungen, mildere Mittel als eine bußgeldbelegte Helmpflicht, etwa Infokampagnen.
Anschnallpflicht im Auto
Dass der deutsche Staat auch Eigenschutz anordnen kann, zeigt die Anschnallpflicht im Auto, schon seit 1976 auf Vordersitzen gültig. Laut Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, hat die Gurtpflicht im ersten Jahr mehr als 1500 Leben gerettet.
Die Zahl der Fahrradtoten ist aber weit niedriger als die der Opfer von Autounfällen: 400 Radunfälle pro Jahr gingen tödlich aus. Ein Viertel davon würden mit Helm jedoch mit dem Leben davon kommen. Gerichte könnten die Menschen auch ohne gesetzliche Pflicht zum Tragen eines Helms bewegen, ist Ansgar Staudinger überzeugt. Und zwar, indem Radfahrer nach einem Unfall vor Gericht Mitschuld bekommen. So könnte das Gericht etwa einem 70-Jährigen, der mit seinem E-Bike von einem Auto angefahren wird und sich am Kopf verletzt, sagen: „Du hättest mit Helm fahren können.“ In der Folge könnte der Radfahrer nicht 100 Prozent Schadenersatz für seine Verletzungen geltend machen, sondern weniger. Bei der Bewertung des Mitverschuldens sollte das Helmtragen berücksichtigt werden, so Staudinger. Das wäre ein Lerneffekt für die Menschen.
Kein absoluter Schutz
Absoluten Schutz kann aber auch ein Helm nicht bieten: Das Gefährliche sei ja nicht ein möglicher Schädelbruch, sagt Unfallexperte Brockmann – sondern die Beschleunigung des Gehirns in seiner Flüssigkeit und die durch den Aufprall am Schädel verursachten Quetschungen, Hirnblutungen und Schwellungen. Der Helm wirke nur bis zu einer bestimmten Geschwindigkeit. „Bis 25 km/h ist ein Helm ein guter Schutz.“ Da die meisten Unfälle in der Stadt beim Abbiegen passierten, blieben Autos und Radler meist unter dieser Geschwindigkeit.
Der ADFC hält eine Helmpflicht nicht für sinnvoll, erklärt Dr. Holger Poggel, Vorsitzender des Kreisverbands Siegen-Wittgenstein,. Zwar empfehle der Fahrradclub dringend, auf diesen Schutz zu setzen. Die Pflicht aber würde einige Leute davon abschrecken, in die Pedale zu treten. „Was ist, wenn man den Helm mal vergessen hat?“, nennt Poggel ein Beispiel. Dann wäre ein Fehlverhalten für alle erkennbar.
Plädoyer für Helm
Dr. Stefan Beyerlein, Chefarzt der Kinderchurgie an der DRK-Kinderklinik Siegen, plädiert eindeutig dafür, einen Helm zu tragen. In seinem Arbeitsalltag sind ihm viele schwere Verletzungen von Kindern begegnet, die keinen Helm getragen hätten, aber auch deutliche Protektiv-Abdrücke und zerbrochene Helme nach Unfällen. „Dann fragt man sich: Wie wäre das wohl ohne Helm ausgegangen?“ Im Straßenverkehr sei ein geschützter Kopf sehr wichtig, findet Beyerlein. Bei sportlichen Fahrern geht er sogar noch einen Schritt weiter: Wer auf Trails oder im Wald fahre, sollte sogar darüber nachdenken, einen Helm mit Kinnschutz zu tragen. So manche Kieferverletzung könne damit vermieden werden.
Andreas Röcher, Teamleiter der Verkehrsunfallprävention bei der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein, hingegen sähe eine Helmpflicht als sinnvoll an. Bei der Radfahrausbildung seien Helme Voraussetzung – das sein eine Forderung der Versicherung. „Dann müsste es für die anderen Radfahrer ja eigentlich auch gelten.“ Seine Kollegen hätten zahlreiche Unfälle erlebt, die nur durch das Tragen eines Helms glimpflich ausgegangen seien. Bei den Elternabenden in den Schulen werde daher stets an die Eltern appelliert, als gute Vorbilder selbst Helm zu tragen. „Ein Handy trägt ja schließlich auch so gut wie jeder in einer Hülle herum.“ Ein Kopf aber sei doch sehr viel wertvoller.
Kommentar:
Autor:Jan Schäfer (Redakteur) aus Siegen |
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