Was sich die wünschen, die nichts haben
Hilfsbedürftige blicken auf das kommende Jahr

- Lena Jülicher gibt im Café Patchwork in Weidenau das Essen aus. An den Feiertagen und zum Jahreswechsel ist dies dank eines Sponsors für Hilfesuchende kostenlos.
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tip Siegen. Der Jahreswechsel ist die Zeit der Reflexion und die Zeit, in der man sich etwas vornimmt. Doch was nehmen sich die vor, die wenig bis gar nichts haben? Was wünschen sich Menschen, die teilweise noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben? Viele von ihnen finden sich dieser Tage im Café Patchwork ein. Der Tagesaufenthalt für Wohnungslose ist vor allem am Jahresende ein Treffpunkt für alle, die dort das finden, was sie sonst nicht haben: ein offenes Ohr, ein warmes Essen, einen geschützten Raum.
Mittagessen bis zum Jahresende kostenlos
Es ist wieder einmal nass und kalt an diesem Dienstagmittag. Alex schlurft durch Weidenau. In der Herrenwiese biegt er links ab, die Einfahrt runter. Sein Rucksack hängt schlaff an den Schultern herunter.
tip Siegen. Der Jahreswechsel ist die Zeit der Reflexion und die Zeit, in der man sich etwas vornimmt. Doch was nehmen sich die vor, die wenig bis gar nichts haben? Was wünschen sich Menschen, die teilweise noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben? Viele von ihnen finden sich dieser Tage im Café Patchwork ein. Der Tagesaufenthalt für Wohnungslose ist vor allem am Jahresende ein Treffpunkt für alle, die dort das finden, was sie sonst nicht haben: ein offenes Ohr, ein warmes Essen, einen geschützten Raum.
Mittagessen bis zum Jahresende kostenlos
Es ist wieder einmal nass und kalt an diesem Dienstagmittag. Alex schlurft durch Weidenau. In der Herrenwiese biegt er links ab, die Einfahrt runter. Sein Rucksack hängt schlaff an den Schultern herunter. „Tach”, sagt er, als er die Tür des Café Patchwork öffnet. Wenig Resonanz. Ein paar Blicke, ein stummes Nicken hier und da. Die Stimmung ist getrübt. Jeder ist auf sich selbst fokussiert. Doch alle scheinen sich wenigstens über eine warme Mahlzeit zu freuen.
Ich würde wirklich jede Hand greifen, die hilft. Leider gibt es davon
aber nicht sehr viele.
Alex
Wohnungsloser
Lena Jülicher ist gerade mit der Essensausgabe beschäftigt. Die studentische Hilfskraft des Cafés serviert Schnitzel und Kartoffelgratin. Sie hat Grund zur Freude. „Ein Sponsor hat dafür gesorgt, dass wir das Mittagessen bis zum Jahresende kostenlos ausgeben können.” Vom Angebot wird rege Gebrauch gemacht. Die meisten Menschen, die sich ihren Teller abholen, kennt Lena Jülicher. Sie spricht sie mit Vornamen an. Aber wer anonym bleiben möchte, der darf das auch. „Wir stellen keine Fragen, warum jemand hierher kommt. Wir helfen einfach jedem, der Hilfe braucht”, sagt Jülicher.
Ein persönlicher Teufelskreis
Alex ist so einer. Der 38-Jährige ist gerade ohne festen Wohnsitz. „Mal darf ich bei meiner Mutter pennen, mal bei meiner Schwester oder bei einem Kumpel”, erzählt er, während er draußen vor der Tür des Tagesaufenthalts einen Kaffee trinkt. Auf ein Essen verzichtet er heute. „Ich komm schon klar”, sagt Alex. „Andere haben das sicher nötiger als ich, und ich will hier niemandem seine Portion wegnehmen.” Er berichtet, er sei bereits in seiner dritten Maßnahme der Agentur für Arbeit. Bislang seien Versuche, Arbeit zu finden, erfolglos geblieben. „Ohne festen Wohnsitz keine Arbeit. Aber weil ich viele Mietschulden habe, finde ich keine Wohnung”, beschreibt er seinen persönlichen Teufelskreis. 2022 will er das ändern. Gerne würde er zumindest einen Minijob als Maschinen- und Anlagenführer finden. „Ich will mein Leben wieder auf die Kette kriegen”, so Alex. „Und ich würde auch wirklich jede Hand greifen, die hilft. Leider gibt es davon aber nicht sehr viele.”

- Axel hatte einige Tage rund um Weihnachten sein „Zuhause“ in dieser Bushaltestelle in Gosenbach.
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,,Ein Job würde mir mehr Struktur bieten''
Dirk nickt. Der 46-Jährige sitzt nebenan und genießt gerade seine warme Mahlzeit. Auch er hat Wünsche für das nächste Jahr. „Vor allem, endgültig vom Alkohol weg zu kommen”, sagt er. Er sei seit einiger Zeit trocken. „Aber die Sucht, die ist immer noch da.” Auch Dirk sucht nach Arbeit. Er habe zwar eine Wohnung in Weidenau, finde aber keine Anstellung. Er habe Baumaschinenkenntnisse, könne diese auch mit Zertifikaten belegen, und habe eine abgeschlossene Lehre als Straßenbauer. „Ein Job – das würde mir mehr Struktur und Ablenkung bieten. Genau das brauche ich in meinem Leben”, sagt Dirk.
Wegen Eigenbedarfs gekündigt
Szenenwechsel. Eine Bushaltestelle mitten in Gosenbach. Hier haust Axel seit einigen Tagen. Auch nachts, bei Minusgraden. Was ihm geblieben ist vom Leben, steht um ihn herum in Tüten. Bücher, ein paar Kleidungsstücke, Schuhe, Decken. Der 66-Jährige lebt auf der Straße. Nach eigenen Angaben hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, ist auf sich allein gestellt. „Hilfe? Bekomme ich keine”, behauptet er. Über 40 Jahre habe er als Braumeister gearbeitet, sei Diplom-Ingenieur. Vor Kurzem sei er aus seiner Wohnung geflogen, man habe ihm wegen Eigenbedarfs gekündigt. Seitdem lebe er auf der Straße – und seit einigen Tagen penne er eben hier, in dieser Bushaltestelle. Sein größter Wunsch für 2022? „Ein Zimmer, Küche, Bad”, sagt er. Mehr brauche er nicht. Axel redet klar und deutlich, auch wenn Alkohol in der kalten Luft liegt. Er wirft mit Lebensweisheiten um sich, aus ihm sprudeln Zitate auf Lateinisch und Französisch heraus. „Mundus vult decipi, ergo decipiatur – Die Welt will betrogen werden, also soll sie betrogen werden”, ruft er laut.
2022 soll alles besser werden
Später stellt sich heraus, dass auch Axels Wahrheiten nicht immer mit der Realität übereinstimmen. Die Polizei teilt mit, er sei „seit längerer Zeit aus dem Wohnungslosen-Milieu bekannt”. Hilfsangebote habe es jede Menge gegeben. Er habe bislang alle ausgeschlagen.
Im Café Patchwork ist derweil Feierabend. Der Tagesaufenthalt ist immer von 9 bis 15 Uhr geöffnet. Am Silvesterabend sind die Hilfsbedürftigen also wieder auf sich allein gestellt. Alex schnappt sich seinen Rucksack. „Ruhig” will er den Jahreswechsel verbringen. 2022 soll alles besser werden.


Autor:Tim Plachner |
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