Eine Kindheit im Köhlerweg in Weidenau / Kindergarten inklusive
Jahrgang 1941 – ein besonderer!

- Gerne erinnert sich Gretel Haßler an ihre Zeit im Herrenfeld-Kindergarten bei Tante Lisbeth. Fotos: privat (aus: „Mein Schulweg“ von Rüdiger Fries)
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sz - In der unmittelbaren Nachkriegszeit spielten Kinder noch viel auf der Straße.
sz Weidenau. Der Artikel von Rüdiger Fries vom 15. August auf dieser Seite, „Erinnerungen an den Schulweg“, hat auch bei Gretel Haßler einige Erinnerungen wachgerufen. Sie wohnte mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Hans in der „Kriegsbeschädigten-Siedlung“ in Weidenau, Köhlerweg 8, in der Nähe der Glückauf-Kampfbahn. Hier ihre Erinnerungen an ihre Kindheit, die etliche Jahre vor der am vergangenen Samstag beschriebenen lag.
„Mein Vater ist im November 1941 in Russland gefallen. Ich war erst ein halbes Jahr und mein Bruder zwei Jahre alt. Wir wuchsen ohne Vater auf, wie leider ganz viele andere Kinder auch. Also Kriegskinder.
Die Mutter alleinerziehend. Es war eine sehr arme und ganz schlimme Zeit. In den Kriegsjahren zum Beispiel mussten wir wegen Fliegeralarms in den Bunker, und man wusste nicht, ob man den Angriff überleben würde.
Schöne Zeit im Kindergarten
Der Tag kam aber doch, mit viel Glück, dass ich in den Herrenfeld-Kindergarten kam. Jetzt begann die schöne Kindheit im Weidenauer Köhlerweg. Ich möchte sie nicht missen. Im letzten Kindergarten-Jahr bekam ich Diphtherie und musste auf die Isolierstation hinter dem Weidenauer Krankenhaus. Das war sehr schlimm. Aber als eines Tages die Kindergartenkinder mit Tante Lisabeth vor meinem Fenster standen und einige Lieder sangen, war das eine ganz liebe und große Überraschung. Ich habe es bis heute nicht vergessen!
Straße, Wald, Gärten: ein großer Spielplatz!
Wir Kinder im Köhlerweg konnten auf der Straße spielen, es kamen ja so gut wie keine Autos. Mit den einfachsten Dingen haben wir uns beschäftigt. Hick spielen, Klicker in ein Loch werfen und Verstecken spielen bei den Nachbarn im Garten. Da wir viel Wald in der Nähe hatten, war auch Baumklettern angesagt. Die Bäume rauf und runter, die Knie kaputt und Löcher in den selbstgestrickten Strümpfen. Die Mutter war natürlich sehr verärgert, es war ja kein Geld da, um neue zu kaufen. Deshalb wurden sie gestopft und wieder angezogen.
Dann war eine abwechslungsreiche Zeit. Der nächste, spannende Schritt kam: die Einschulung. Das war nun etwas ganz Neues. Wir mussten den ganzen langen Weg zur Herrenfeldschule laufen. Kein Bus, kein Auto, immer zu Fuß, bei Wind, Regen oder Schnee. Es spielte alles keine Rolle: Wir, die kleinen und vom Krieg geschwächten Kinder, wurden auf einen mehr als einen Kilometer langen Weg geschickt.
Irgendwann wollten wir dann alleine zur Schule laufen, ohne Begleitung. Das ging ein paarmal schief, weil wir alles im Kopf hatten, nur nicht die Schule. Nach einer Rüge war alles wieder gut …
Eine große Hilfe: die Quäkerspeise
Da wir alle Kriegskinder waren und die Versorgung mit Lebensmitteln natürlich knapp war, hatten wir Glück im Unglück, denn es gab für alle die sogenannte „Quäkerspeise“ in der Schule. Diese Speise wurde 1946 von dem US-amerikanischen American Friends Service Committee (AFSC) und der britischen Quaker Peace and Social Witness als Hilfe für Kinder angeboten. Jedes Kind brachte Geschirr mit in die Schule, und in der Pause bekamen wir dann unser Essen. Das konnte Suppeneintopf sein oder Hafer- bzw. Grießbrei. Aber das Wichtigste war: Wir hatten etwas zu essen. Alles war gut! –
Unsere Kindheit in der wunderschönen Siedlung, das sage ich heute, war etwas Besonderes. Wir Kinder waren einfach ständig zusammen. In der Straße war ein schöner großer Weidenbaum, da trafen wir uns immer.
Der Maikönig
Apropos Baum: Der 1. Mai war auch immer wieder eine super Sache. Einen Tag vorher holten wir im Wald jede Menge Birkenäste. Mein Bruder Hans war der Maikönig. Früh morgens, am 1. Mai, trafen sich alle Kinder bei uns im Köhlerweg 8. Hans wurde dann von Kopf bis Fuß mit den Ästen eingewickelt. Ab und zu meckerte er, aber er musste da durch! Der Maikönig war nun fertig, und wir zogen nun von Haus zu Haus. Zuerst wurde vor den Haustüren „Der Mai ist gekommen“ gesungen. Danach sprach dann der Maikönig seinen Vers:
,Mai, Mai, Mai, gib mir ein Stückchen Ei.
Gib mir nicht zu wenig,
ich bin ein armer König.
Lass mich nicht so lang hier stehen,
ich muss noch ein Häuschen weiter gehen.’

- Der Umzug mit dem „Maikönig“ war etwas Besonders für die Kinder in der Siedlung.
- Foto: Fotos: privat (aus: „Mein Schulweg“ von Rüdiger Fries)
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Und all die netten Bewohner aus der Siedlung, wo die Gemeinschaft noch großgeschrieben wurde, sie alle hatten ein Herz für Kinder, und wir konnten hinterher viele schöne Sachen teilen. Und wenn ich heute so nachdenke, heute, wo die Kinder alles Erdenkliche besitzen, komme ich zu dem Ergebnis, ohne Handy, Laptop usw. war unsere Kindheit doch etwas ganz Besonderes. Wir hatten Freunde, einer war für den anderen da. Ja, wir waren eben Kriegskinder, und das hat uns geprägt. Bis heute.“
Gretel Haßler, geb. Kaspari


Autor:Redaktion Kultur |
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