BIS AUF WEITERES
Johann & Johann

- SZ-Redakteur Dr. Andreas Goebel.
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Man liest gern über berühmte Siegerländer. Ich bin in Johann Wolfgang von Goethes Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“ auf ein längeres Stück über seinen Freund „Johann Heinrich Jung, genannt Stilling“ gestoßen. Kennen gelernt haben sie sich in Straßburg, wo Goethe mit dem etwas älteren Johann Gottfried Herder in einer WG ein studentisches Lotterleben führte und Stilling ein paar Semester Medizin belegte. Ziemlich verschiedene Typen, diese Johanns, das muss ich schon sagen. Der Frankfurter Religionsverächter Goethe auf der einen Seite, der aus Grund bei Hilchenbach stammende erzfromme Jung-Stilling auf der anderen. Hier der launenhafte Lebemann, dessen Genius sich bereits im entstehenden Götz und im Werther zeigte, da der empfindsame, zum Mystizismus neigende Stilling, ein Multitalent und Selfmademan, der es später mehr oder weniger gleichzeitig zum Veterinär, Staatswissenschaftler, Landwirtschafts- und Forstwissenschaftler, Allgemein- und Augenarzt brachte. Stilling löste bei Goethe stets Schutzreflexe aus. „Das treuredliche Streben dieses Mannes musste jeden, der nur irgend Gemüt hatte, höchlich interessieren“, notiert er. Drei Jahre später eilt Jung-Stilling der Ruf eines herausragenden Augenchirurgen voraus, als er Goethe im Frankfurter Elternhaus besucht, um Hofmarschall von Lersner, einem Freund der Familie, den Star zu stechen. Und dann das: Die OP läuft schief. Gewöhnlich springt die trübe Linse beim Schnitt in die Hornhaut heraus. Nicht so bei Lersner. Er habe sie holen, sie ablösen müssen, schildert Goethe, weil sie angewachsen war. Eine Entzündung stellt sich ein, Jung-Stilling ist tief deprimiert, wirft sich vor, gleich beide Augen operiert zu haben. Der Mann aus Grund sieht darin Strafe, einen Akt „göttlicher Pädagogik“. Das sei doch Unsinn, dringt Goethe in ihn. Er verteidigt den Freund auch, als andere ihn attackieren. Ein „alter blinder Betteljude aus dem Isenburg’schen“ wird von ihm quasi nebenbei operiert. Wie von Sinnen vor Freude tanzt der Alte wieder sehend durch die Frankfurter Fahrgasse und dankt es Gott. So kann’s gehen. Er fasste wieder Zutrauen, sein Ansehen wuchs. Am Ende seines Lebens hatte er mehrere tausend Menschen vom grauen Star befreit.
Autor:Dr. Andreas Goebel (Redakteur) aus Betzdorf |
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