Kochbuch, Hysterie und Gutachten
Emotionaler zweiter Tag im Prozess um Schlag mit Fleischklopfer / Psychiater gehört
pebe Siegen. Das Seelenleben ist eine komplizierte Sache. Dies steigert sich, wenn Ärzte und Therapeuten sich zum Seelenleben äußern sollen. Und ganz problematisch wird es, wenn dazu auch noch Kriterien kommen sollen, die es Juristen ermöglichen, Seelenzustände während Straftaten einzuordnen. Wie schwer das alles sein kann, zeigte sich gestern vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Siegen. Dort wird derzeit der Fall einer Frau verhandelt, die u.a. mehrfach Ladendiebstähle begangen hat und überdies mit einem Fleischklopfer auf einen jungen Mann losgegangen war (die SZ berichtete). Gestern stand zur Debatte, inwieweit ihre Lebensgeschichte sie krank gemacht hat, wie diese Krankheit zu den Taten geführt haben und wie sich dies auf die Bestrafung auswirken könne.
Da gingen die Meinungen im Gerichtssaal weit auseinander. Die Hausärztin der Angeklagten berichtete im Zeugenstand, dass ihre Patientin nach vielen fruchtlosen Therapieversuchen nun in einer angemessenen Therapie an sich arbeite: »Der Wunsch, ein ganzer Mensch zu werden, ist bei ihr gegeben.« Sie habe die ersten Stufen bewältigt.
Dr. Dieter Seifert, Psychiater aus Münster und Gutachter in diesem Verfahren, teilte diese Ansicht nicht. Und dies wiederum führte zu einer Auseinandersetzung mit Verteidigerin Gabriela Schwarz-Schilling, die den Arzt bereits am ersten Verhandlungstag scharf kritisiert hatte. Die Anwältin störte sich u.a. an der Formulierung »hysterische Persönlichkeit«, mit der Seifert die Angeklagte beschrieben hatte. Das sei eine veraltete Bezeichnung. Anhand einer internationalen Klassifizierung wollte Schwarz-Schilling von der Hausärztin wissen, ob ihre Mandantin Symptome einer »hysterischen Persönlichkeitsstörung« aufweise. Bei jedem verlesenen Symptom verneinte die Ärztin.
Das wiederum führte den Psychiater zu der bissigen Feststellung, Schwarz-Schilling habe die Symptome »wie aus dem Kochbuch vorgelesen«. Die Reaktion der Anwältin ließ nicht lange auf sich warten: Als der Psychiater der Ärztin nachweisen wollte, dass es sich trotzdem um die von ihm festgestellte Störung handele, unterbrach ihn die Rechtsanwältin vehement und emotional. Woraufhin sie der Vorsitzende Richter Wolfgang Münker ebenfalls emotional unterbrach: »Nun werden Sie mal nicht hysterisch.«
Mehr als 20 Vorstrafen, meist Ladendiebstähle, hat die Angeklagte hinter sich. Was sie an Krankmachendem in ihrem Leben erfahren hat, kam zur Sprache – aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dass jedoch der gewalttätige Vater und Missbrauch im Kindesalter eine verheerende Rolle gespielt haben müssen, deutete der Psychiater in seinem Gutachten an. »Ohne Frage« sei die Frau »psychisch auffällig« und weise eine »Persönlichkeitsstörung mit wechselhaftem psychopathologischem Bild« auf, u.a. mit einer Essstörung und Alkoholmissbrauch. Sehr stark auf sich bezogen, zeige sie nach ihren Diebstählen keine Reue. Die vor einigen Jahren festgestellte »Borderline-Störung« und die von ihm selbst diagnostizierte hysterische Persönlichkeitsstörung« überlappten sich.
Das Krankheitsbild wirke sich aber lediglich bei den Diebstählen aus. Für den Schlag mit dem Fleischklopfer sei ein Einfluss nicht anzunehmen. Alles in allem sei von einer »negativen Legalprognose« auszugehen, denn alle Therapien hätten bislang nicht wirklich geholfen. Ob die 50-Jährige in eine forensische psychiatrische Klinik eingewiesen werden solle, ließ Seifert offen. Dies sei vom Gericht zu prüfen.
»Ich habe noch nie einen so feindlichen Sachverständigen erlebt«, reagierte die Verteidigerin auf das Gutachten. Für sie stelle sich die Frage, ob man einem Patienten vorwerfen könne, dass er nicht geheilt sei, wenn er nicht die richtige Therapie durchlaufen habe. Schwarz-Schilling stellte den Antrag, den derzeitigen Therapeuten zu hören, um zu beweisen, dass ihre Mandantin eine Borderline-Störung habe, die heilbar sei.
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
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