Lauter laute Gedanken

- Martina Wörz (l.) und Andrea Nehring vor dem nun keineswegs mehr unbeschriebenen Blatt im Ausstellungsforum Haus Oranienstraße Siegen. Foto: ne
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ne Siegen. Siegens 2. stellv. Bürgermeisterin Angelika Flohren freute sich sichtlich, so viele Kulturfreundinnen und Freunde aktueller Kunst im Siegener Ausstellungsforum Haus Oranienstraße begrüßen zu können, galt es doch mit Andrea Nehring und Martina Wörz zwei Künstlerinnen kennenzulernen, die in der Region noch nicht ausgestellt haben und deren Sicht auf gesellschaftlichen Phänomene die hiesige Kulturszene neugierig macht. „Wieder gehen kreative und inspirierende Impulse vom Siegberg in die Stadt“, lobte Flohren das Engagement Prof. Ursula Blanchebarbes, die als Leiterin des Siegerlandmuseums im Oberen Schloss die umfangreiche und vielseitige Ausstellung in den historischen Räumen der Villa kuratiert hat.
Unter dem wortverspielt synästhetischen Titel „Wenn ich ganz laut an dich denke, kannst du mich dann hören?“ stellen die jungen Künstlerinnen 22 Arbeiten zur Diskussion, zum Teil umfangreiche Serien und Zyklen oder gar raumfüllende Installationen, die sich mit Befindlichkeiten junger Frauen im turbokapitalistischen und patriarchalischen Westeuropa auseinandersetzen.
Frech stellt zum Beispiel die Arbeit „I’m a vegitarian / I’m a virgin“ die so alliterativ ähnlichen Statements gegenüber, bildet plakativ oder provokativ auf Polaroidfotos doppelte Fleischbeschau an – eine Nahaufnahme eines Fast-Food-Burgers neben einem Ausschnitt eines weiblichen Körpers – und kommentiert damit ironisch den Menschen zum Objekt degradierenden Blick einer Konsumgesellschaft, die Individuen zu blöder, eindimensionaler Selbstkategorisierung zwingt.
Andrea Nehring, die 1980 in der Lutherstadt Wittenberg geboren wurde und nach Abschluss eines Biotechnologiestudiums nun seit zwei Jahren Kunst studiert, thematisiert in ihrer brandneuen multimedialen Rauminstallation „Ein Gebet“ gekonnt die Problematik „Essen als Fetisch, als Problemlösungsversprechen“: In einem Videoloop kann eine junge Frau beobachtet werden, die, ein Stück Kuchen vor sich, sich dem hehren Gottesdienst der Nahrungsaufnahme entsprechend würdig anziehen möchte und unschlüssig eine Garderobe nach der anderen ausprobierend, letztlich scheitert. Das Kuchenstück bleibt unverspeist – und thront im Raum auf einer Stele, ist zum Kultobjekt erhöht, umlagert von unzähligen, buttercreme- und schokoverschmierten Kuchenpappen, wie auf einem Schlachtfeld der Völlerei.
Martina Wörz, 1977 in Stuttgart geboren, arbeitet seit Abschluss ihres Fotografiestudiums vor zwei Jahren als selbstständige Fotokünstlerin und steuerte zur Ausstellung im Haus Oranienstraße unter anderem die titelgebende Arbeit bei, indem sie im Rahmen einer Performance zur Vernissage mit breitem Filzstift auf eine überlebensgroß abgezogene Portraitfotografie einer jungen, zerbrechlich wirkenden Frau die vorsichtig tastende, vorfühlende poetische Phrase platzierte, und so dem bis dato „unbeschriebenen Blatt“ dem in zarten Grautönen abgebildeten Mädchenportrait eine mögliche Interpretation hinzufügte.Zeichnungen, Fotoserien und eine beeindruckend sinnliche Installation mit getrockneten Blüten machen die Kunstschau zu einem ästhetischen wie inhaltlichen Genuss (bis 16. August).
Autor:Archiv-Artikel Siegener Zeitung aus Siegen |
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