Zufall oder Corona-Folge?
Weniger Frühchen im Lockdown

- Wenn ein Baby nach neun Monaten rosig und mit kleinen Fettpölsterchen auf die Welt kommt, ist meistens alles in Ordnung. Wenn aber die Schwangerschaft abbricht, obwohl das Kind noch nicht „fertig“ ist, drohen schwere gesundheitliche Probleme.
- Foto: Kinderklinik
- hochgeladen von Klaus-Jürgen Menn (Redakteur)
ihm Siegen. Kommt ein Baby vor der 28. Lebenswoche zur Welt, gilt es als extreme Frühgeburt. Das Kind wiegt weniger als 1100 Gramm. Ganz kleine Babys, die um die 23. Woche geboren werden, bringen es gar nur auf 500 Gramm, manchmal weniger. Zum Vergleich: Das sind zwei Päckchen Butter. Eine Handvoll Mensch.
Eigentlich ist der Mutterleib 40 Wochen lang die ideale Umgebung für ein Kind. Frühgeborenen (vor der 37. Schwangerschaftswoche) fehlt wichtige Zeit zur Entwicklung in diesem geschützten Raum. Deshalb bemühen sich Kliniken und Ärzte auf der ganzen Welt, Frühgeburten zu verhindern und den Zeitpunkt der Geburt möglichst hinauszuzögern, wenn es Komplikationen gibt.
ihm Siegen. Kommt ein Baby vor der 28. Lebenswoche zur Welt, gilt es als extreme Frühgeburt. Das Kind wiegt weniger als 1100 Gramm. Ganz kleine Babys, die um die 23. Woche geboren werden, bringen es gar nur auf 500 Gramm, manchmal weniger. Zum Vergleich: Das sind zwei Päckchen Butter. Eine Handvoll Mensch.
Eigentlich ist der Mutterleib 40 Wochen lang die ideale Umgebung für ein Kind. Frühgeborenen (vor der 37. Schwangerschaftswoche) fehlt wichtige Zeit zur Entwicklung in diesem geschützten Raum. Deshalb bemühen sich Kliniken und Ärzte auf der ganzen Welt, Frühgeburten zu verhindern und den Zeitpunkt der Geburt möglichst hinauszuzögern, wenn es Komplikationen gibt.
Zwei Studien erstellt
Während der Phase des Corona-Lockdowns im Frühjahr haben Wissenschaftler eine interessante Beobachtung gemacht: Es kamen in verschiedenen Gegenden der Erde weniger extreme Frühchen zur Welt. In Irland und in Dänemark wurden zu diesem Thema zwei Studien erstellt, die mittlerweile auch zur Veröffentlichung in wissenschaftlichen Zeitschriften angenommen wurden. Das Ergebnis: Die Dänen stellten einen Rückgang der extremen Frühgeburten um 90 Prozent fest, die Iren um 75 Prozent. In Irland verglich man die Zahlen von 2020 mit denen der vergangenen 19 Jahre, in Dänemark wurden die Daten von 2015 bis 2020 herangezogen.
Das Problem bei diesen Studien liegt in der statistischen Aussagekraft. Die Fallzahlen sind so gering, dass eine zufällige Abweichung von den bisherigen Werten nicht auszuschließen ist. In Dänemark zum Beispiel gab es im Sechs-Jahres-Zeitraum insgesamt nur rund 60 extreme Frühgeborene. Wenn die Quote im Corona-Lockdown also von 2 Promille auf 0,2 Promille sinkt, bedeutet das in absoluten Zahlen: Pro 1000 Geburten kamen sonst im Schnitt zwei Babys viel zu früh, im Lockdown war es noch nicht mal eines pro 1000 Geburten.
Auch am Jung-Stilling-Klinikum niedrigere Zahlen
Dennoch: Die statische Auffälligkeit, die derzeit nicht mehr als eine Momentaufnahme ist, hat in der Geburtshilfe weltweit Aufsehen erregt. Auch die Siegener Geburtshelfer schauen aufmerksam auf die Zahlen. Gab es bei uns auch weniger Frühgeburten?
Dr. Flutura Dede, Chefärztin der Abteilung Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Diakonie Klinikum Jung-Stilling Siegen: „Im Vergleich zu den Vorjahren zeigt sich 2020 in unserer Klinik eine reduzierte Anzahl von Frühgeborenen. Das entspricht den weltweiten Studien, die eine Reduktion von Frühgeborenen während des Lockdowns beschreiben.“
Im Jung-Stilling-Krankenhaus werden die meisten Babys im Siegerland geboren. In diesem Jahr waren es bis gestern 1607 Kinder. Bei Risikoschwangerschaften oder wenn sich eine Frühgeburt ankündigt, kommen fast alle Frauen ins Jung-Stilling-Krankenhaus, denn hier ist das Perinatalzentrum der Kinderklinik räumlich angedockt, und die Maximalversorgung ist für Mutter und Kind gesichert.
Dr. med. Badrig Melekian, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im St.-Marien-Krankenhaus: „Dazu kann ich keine Aussage treffen. Ich habe das Gefühl, der Lockdown hatte keinen Einfluss. Wenn Ende des Jahres aber herauskommt, dass das in sehr vielen Fällen doch so war, dann muss man sich Gedanken machen.“
Kein eindeutiger „Corona-Trend“
Im St.-Marien-Krankenhaus erblickten bisher in diesem Jahr gut 1100 Kinder das Licht der Welt.
Markus Pingel, Chefarzt an der Kinderklinik Siegen: „Die Zahlen für dieses Jahr scheinen im unteren Bereich im langjährigen Vergleich zu liegen. Von daher kann kein eindeutiger „Corona-Trend“ ausgemacht werden. Effekte wie in den Studien in Dänemark und Irland sehen wir auf jeden Fall nicht.“
Mit konkreten Zahlen für dieses Jahr wollte die Kinderklinik derzeit allerdings nicht an die Öffentlichkeit, die Fallzahlen seien zu schwankend. Im vergangenen Jahr wurden im Perinatalzentrum 691 Babys behandelt, darunter waren 66 mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm.
Wenn sich nach dem zweiten Lockdown im November/Dezember tatsächlich ein positiver Trend bei extremen Frühgeburten abzeichnen sollte, ist die medizinisch interessante Frage: Was ist die Ursache? Weniger Stress für die Mütter? Homeoffice? Weniger Infektionen wegen der Isolation? Möglicherweise kann die Forschung durch den Corona-Effekt den Ursachen für Frühgeburten generell auf die Spur kommen. Denn oft weiß man einfach nicht, warum sich Babys gefährlich früh auf den Weg machen.


Autor:Irene Hermann-Sobotka (Redakteurin) aus Siegen |
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