Debatte über die Zukunft

Was der Schneemangel für den Profiwintersport bedeutet

Skispringen auf Matten statt Schnee – das könnte auch bald im Winter Realität werden (im Foto: Stefan Kraft).

Skispringen auf Matten statt Schnee – das könnte auch bald im Winter Realität werden (im Foto: Stefan Kraft).

Die Schanzen stehen in grünen Hängen auf grünen Bergen, der Auslauf ist nicht schneebedeckt, sondern mit grünen Matten ausgelegt. Dünne Männer und Frauen in Ganzkörperanzügen fahren mit Helm und Skiern den Schanzenanlauf herunter, springen ab, fliegen 80, 120, 150 Meter weit und landen im Auslauf. Unten schnallen sie die Skier ab. Wer Skispringen nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer verfolgt, kennt die Bilder.

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Doch diese Saison ist alles anders. Ein Novum im Profiskispringen. Wegen der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar wurde das Regelwerk angepasst: Um nicht gegen die TV-Zeiten der Kicker antreten zu müssen, startete der Skisprung-Weltcup schon Anfang November. Doch da war es zu warm für richtigen Schnee und auch zu warm für Kunstschnee im polnischen Wisla. „Es ist gesellschaftlich kaum vermittelbar ist, dass man im Herbst für viel Geld Kunstschnee produziert, der dann im Nachgang bei ungünstigen Witterungsverhältnissen wieder wegschmilzt“, sagt Ralph Eder, Sprecher des Deutschen Skiverbands. Also wurde beschlossen: Der Weltcup-Auftakt der Skisprungmänner findet auf Matten statt. Ein Bild, an das sich die Zuschauerinnen und Zuschauer womöglich gewöhnen müssen.

Der Weltcup-Winter 2022/23: geprägt von wetterbedingten Absagen

Der Klimawandel hat den Wintersport längst erreicht. Geschlossene Pisten, stillstehende Lifte, grün, wohin das Auge reicht – Schneemangel und zu viel Wärme im bisherigen Winter beschäftigen die Skiregionen. Während es bei den meisten Menschen darum geht, ein Hobby nicht ausüben zu können, geht es bei einigen um die Existenz. Etwa bei jenen, die mit professionellem Wintersport ihr Geld verdienen.

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Allein im bisherigen Alpin-Weltcup wurden Rennen in Zermatt, Beaver Creek, Garmisch-Partenkirchen, Gröden, Lech, Sölden und Zagreb wetterbedingt abgesagt. Für das Rennen in Wengen dieses Wochenende konnte nicht auf der gesamten Strecke trainiert werden, weil einzelne Bereiche gesperrt blieben, um die Piste für das eigentliche Rennen zu schonen. Im Weltcup der Nordischen Kombination traf es von angesetzten sechs bisher zwei Austragungsorte: Klingenthal und Chaux-Neuve wurden gestrichen. Im Biathlon war in der vergangenen Woche in Ruhpolding Zittern angesagt: dass der vom vergangenen Winter eingelagerte Schnee, immerhin 15.000 Kubikmeter, ausreicht, um alle sechs geplanten Weltcups auszurichten. „Wir müssen nicht drum herumreden“, sagt DSV-Sprecher Eder, „es gibt messbare Veränderungen, der Wintersport wird sich verändern.“

In Wengen konnten nur Teile der Piste für das Training für den Alpin-Ski-Weltcup genutzt werden - weil zu wenig Schnee da war.

In Wengen konnten nur Teile der Piste für das Training für den Alpin-Ski-Weltcup genutzt werden - weil zu wenig Schnee da war.

Skispringen geht ohne Schnee, Biathlon und Langlauf nicht

Bei manchen Sportarten wie dem Skispringen fällt die Umstellung auf Nicht-Schnee-Betrieb nicht ganz so schwer. Die Bedingungen bleiben die gleichen, das Material kann auf Matten wie auf Schnee gesprungen werden. Anders ist das etwa bei Langlauf und Biathlon, wo im Sommer auf Rollen statt Skiern trainiert wird und Wettkämpfe ausgetragen werden – eigentlich ein komplett neuer Sport, der nicht einfach so in den Winter-Weltcup übernommen werden kann. „Das ist ein ganz anderes Set-up“, kommentiert Eder.

Um Wettkämpfe veranstalten zu können, ist inzwischen oftmals ein großer logistischer Aufwand notwendig. Einfach eine Schneekanone bereitstellen und Kunstschnee produzieren – das geht nicht so einfach. Bei Temperaturen im zweistelligen Bereich schmilzt die weiße Masse weg, viele Maschinen benötigen zur Produktion ohnehin mindestens minus zwei Grad. Auf Kunstschnee allein ist also kein Verlass und so haben viele Orte, etwa Ruhpolding oder Oberhof, riesige Schneedepots. In diesen wird Schnee aus dem vergangenen Jahr – echter Schnee sowie bei besten Bedingungen produzierter Kunstschnee – eingelagert. Snowfarming nennt sich das auch. Andernorts lässt man Schnee aus höheren Lagen einfliegen oder über Lastwagen herbringen.

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Schneedepots, Schneekanonen, Schneetransport – und die Suche nach neuen Ideen

„Die Voraussetzungen haben sich verschlechtert“, sagt Maximilian Witting, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema Wintersport und Klimawandel forscht. Auch wenn es bisher ein außergewöhnlicher und extrem schlechter Winter sei, müsse sich der Sport auf solche Bedingungen auch künftig einstellen. „Viele Maßnahmen gibt es nicht, außer Kunstschnee, Schneetransport und Einlagerung – oder eben eine Absage.“

Absagen hat man zuletzt viele gesehen, ein Zeichen dafür, dass der Weltverband Fis dringend reagieren muss. Auch wenn es sich um einen extrem warmen Winter handelt, „der Trend zeigt deutlich, dass wir solche Arten von Winter künftig häufiger erleben werden.“ Die Fis, sagt Witting, habe nun die Aufgabe, zu gewährleisten, dass der Profisport weiterhin eine Plattform habe. Eine Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) ließ der Weltverband unbeantwortet.

Wegen Schneemangel: Wettkämpfe müssen neu geplant werden

Während die Absagen im Weltcup offensichtlich sind und fürs TV-Publikum bemerkbar, bleiben sie in den zweit- und dritthöchsten Wettbewerben nahezu unbemerkt. Der IBU-Cup beispielsweise, die zweite Liga des Biathlons, musste den Auftakt im norwegischen Sjusjøen absagen, statt am Arber in Deutschland anzutreten, wurde ein Rennen nach Slowenien verlegt. Im Continental Cup der Nordischen Kombination konnte der Wettkampf im österreichischen Eisenerz nicht ausgetragen werden. Witting geht davon aus, dass es künftig noch schwieriger wird, diese Wettkämpfe stattfinden zu lassen – ohne TV-Geld, ohne Publikum, ohne Aufmerksamkeit. Eder hingegen sieht eher eine Chance: Immerhin können die Wettkämpfe deutlich einfacher verlegt werden.

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Eder sehe, dass schon viel passiert, sagt er. So werden bereits präparierte Anläufe, Loipen, Pisten mehrfach genutzt: Nach den Weltcups finden dann dort Nachwuchswettkämpfe statt oder Trainingslager werden dorthin verlegt. Nachdem in Oberstdorf die Loipen für die Tour de Ski präpariert waren, wurden etwa die Trainings des Nachwuchses dorthin verlegt. „Wir müssen da wirtschaftlich arbeiten“, sagt Eder. Das wäre grundsätzlich auch für Wettkämpfe möglich: So könnten direkt nach den Weltcups IBU-Cups oder Continentalcups ausgetragen werden – am gleichen Ort mit der gleichen Infrastruktur, um Synergien zu nutzen.

Pia Fink bei der Tour de Ski in Oberstdorf – im Hintergrund die grünen Hänge, die einst zu dieser Jahreszeit von Schnee bedeckt waren.

Pia Fink bei der Tour de Ski in Oberstdorf – im Hintergrund die grünen Hänge, die einst zu dieser Jahreszeit von Schnee bedeckt waren.

„Wir sind es gewohnt, dem Schnee hinterherzufahren“

Auch in Sachen Training für die Profis musste ein Umdenken her. „Das Trainingsverhalten mussten wir schon anpassen“, sagt Eder. Der Winter hatte sich in den vergangenen Jahren zunehmend verschoben: November und Dezember waren eher schneefrei und wärmer, dafür wurde es im Frühjahr kalt und schneereich. „Wir können inzwischen teilweise bis in den Juni hinein teilweise bei optimalen Bedingungen auf Schnee trainieren.“

So blieben nur Hochsommer und Herbst, wo entweder Trainingspausen eingelegt werden, Trainings auf andere Kontinente und in andere Länder mit Gletschern verlegt werden, der Fokus auf Ausdauer- und Krafttraining gelegt wird oder aber direkt Sommerwettkämpfe stattfinden. Wie Eder es formuliert: „Wir sind es gewohnt, dem Schnee hinterherzufahren.“ Auf den Skisprung-Weltcup in Zakopane an diesem Wochenende bereiteten sich die DSV-Adler unter Trainer Stefan Horngacher im slowenischen Planica vor – bei mehr als einem Meter Schnee.

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Geschlossene Skigebiete wirken sich auf Nachwuchsarbeit aus

Das wiederum hat allerdings Auswirkungen auf die Nachwuchsarbeit. Kinder, die rund um Wintersportgebiete aufwachsen, wurden bisher automatisch an Skier, Schlittschuhe, Schnee gewöhnt. Heute gehen diese Kinder vor die Tür und sehen oftmals nur grün und braun und grau. „Die Sache wird das Nachwuchsproblem verstärken“, sagt Witting. Wer früher nur vor die Tür gehen musste, um in den Schnee zu gehen, muss nun weiter fahren – das erfordert Aktivismus, mehr Zeit, mehr Geld. „Die Gruppe, die das machen kann, wird kleiner“, gibt Witting zu bedenken.

„Es würde schon einiges erleichtern, wenn der Nachwuchs ortsnah an den Wintersport herangeführt würde“, sagt auch Eder. Eine Alternative wäre, im Nachwuchsbereich hauptsächlich auf Matten und Rollen zu setzen. „Hier fehlt dann aber das Gefühl für den Schnee, die klassische Ausbildung“, sagt Witting. „Die Prognose ist: Die Skivereine und Skiverbände stehen vor großen Herausforderungen.“

Das Ringen mit einer neuen Normalität

Man hadert im DSV ohnehin noch mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie: Da das Vereinsleben quasi zwei Jahre zum Erliegen kam, wurden viele Kinder nicht an den Wintersport herangeführt. „Es war nicht leicht, das wieder zu aktivieren.“ Wichtig sei es, allen klarzumachen: „Der Schneesport ist etwas Besonderes.“ Vor allem im Winter, wenn Kinder sich weniger bewegten und weniger draußen seien, sagt Eder, sei es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Kinder zum Wintersport und in die Berge zu bringen.

Outdoorsport sei nun einmal vom Wetter abhängig – und schon immer gewesen. „Es gab schon immer Rennen mit auf top präparierten Anlagen und solche, wo es schwieriger ist“, sagt Eder, „das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.“ Es sei nicht nur einmal vorgekommen, dass eine toll hergerichtete Piste wegen zu viel Schnees plötzlich unbefahrbar wurde. „Es ist nach dem kalten Frühwinter seit einigen Wochen sehr schwierig und sehr aufwendig, Wintersport zu betreiben“, sagt Eder. Aber auch: „Wir müssen flexibel sein. Und das mussten wir im Wintersport schon oft sein.“ Früher beispielsweise, da wurden Skispringen im Sommer auf weißen Matten ausgetragen. Das sah dem Schnee zu ähnlich und wirkte deplatziert, also wurden sie in Grün hergestellt. Nun diskutiert man wieder: Weiße Matten im Winter – für ein bisschen Schneegefühl.

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