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Kreuztal – Meine Stadt

Eingeschränkt, doch weltgereist

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Der Kreuztaler Gipfelstürmer auf dem südafrikanischen Tafelberg. Foto: privat

JOHANNES JURKE WAGT ABENTEUERLICHE TOUREN MIT STOCK, ORTHESE UND GOTTES HILFE

Ein Klischee erfüllt Johannes Jurisch als Rentner durchaus: Trotz oder gerade wegen Ruhestands ist der 69-Jährige ziemlich ausgebucht: Zu Besuchen in der Tagespflege in Buschhütten und Kreuztal bricht er zweimal pro Woche von zu Hause auf, regelmäßige Krankengymnastik in der Kreuztaler Innenstadt gehört ebenso zu seinem Pflichtprogramm wie der Besuch des Wochenmarkts am Donnerstag. Und auch sonst sieht man den sächselnden Kreuztaler mit Mütze, Rucksack und mindestens einem Gehstock immer mal wieder dort, wo er auf Geselligkeit trifft. Wenn er in Kreuztal länger nicht gesehen wird, kann es sein, dass er gerade die chinesische Mauer besichtigt oder Elefanten in Südafrika streichelt. Oder auf Island Geysire bewundert. Trotz schwerster körperlicher Einschränkungen lässt sich Johannes Jurke eines nicht nehmen: die Welt zu sehen, so lange er noch halbwegs mobil ist.

Beim Laufen unübersehbar sind die Folgen seines Schicksals, das im Jahr 1993 sein Leben komplett in eine neue Richtung lenkte. ,,Die erste Straßenlampe in Eschenbach ist meine eigene, die habe ich einfach wegrasiert." Schwarzer, aber herzlicher Humor kommt durch, wenn er sich daran erinnert, wie er sich an nichts mehr erinnert: Ein Tag vor dem Richtfest seines selbst gebauten Hauses in Lützel war er auf dem Weg nach Netphen, als er am Steuer seines Wagens einen heftigen Schlaganfall erlitt und gegen die besagte Straßenlaterne donnerte. „Es gab dafür überhaupt keine Anzeichen im Voraus."

Johannes Jurkes „Lebensfilm" setzte sich in seinen Erinnerungen erst ein gutes halbes Jahr später fort: So lang lag er im Jung-Stilling-Krankenhaus im Koma, unter anderem mit gebrochener Hüfte und eingefallener Lunge. Als er erwachte, erkannte er zunächst nichts und niemanden, sprechen konnte er auch nicht. Nach und nach ließ er sich von Ärzten, Pflegern und Therapeuten wieder in ein Leben zurückbegleiten, das ihm in kleinen Schritten Selbstständigkeit zurückbrachte: Während seines einjährigen Reha-Aufenthaltes in der Odebornklinik Bad Berleburg lernte er wieder sprechen. ,,Wichtig zu erwähnen", scherzt er in dem Zusammenhang: „Hochdeutsch kann ich verstehen, aber das Reden ist nicht das Gelbe vom Ei." Anders gesagt: Seine Herkunft aus dem Erzgebirge kann er auch heute nicht verbergen. „Es hat alles wahnsinnig lang gedauert, die Seele war einfach ganz im Keller", umschreibt er die Zeit der Genesung, in der sich außerdem seine Frau von ihm trennte und sich das von ihm erbaute Haus überschreiben ließ.

Heute, 29 Jahre nach dem Unfall, ist die Beweglichkeit seiner linken Körperhälfte nach wie vor stark eingeschränkt, sein linkes Bein „vom Knie abwärts tot" ist zumindest sein subjektives Empfinden, was das Laufen ohne Schiene unmöglich macht. Deshalb ist die Orthese sein zuverlässiger Begleiter auf sämtlichen Reisen, die er sich aus der Ausschüttung einer frühzeitig abgeschlossenen Lebensversicherung gönnt: ,,Ich investiere das Geld in meine Reisen, denn Zinsen gibt es nicht, und eh das Geld verschimmelt, guck ich mir lieber die Welt an." 2013 brach er nach Kanada auf und genoss die Niagara-Fälle, bevor er 2014 in Südafrika sehen wollte, ,,wie groß die Elefanten sind"; auch die Seilbahn hoch zum Tafelberg war kein Hindernis für ihn. In China schaute er 2015 vorbei, dreimal lockte ihn bislang Island zu sich.

,,Komm, Johannes, häng dich ein, dann kannst du besser laufen", boten zwei Schweizer Ehepaare in diesem Sommer dem Kreuztaler eine hilfreiche Reisebegleitung, um grönländisches Flair zu erleben. Auch ein Schlauchboot als Transport-Vehikel konnte Johannes Jurke nicht abschrecken - zu verlockend für ihn der kulinarische Genuss des Landes morgens und abends frischen - Lachs, dazwischen auch mal Garnelen oder eine Wal-Verkostung". Sehenswerte Fotoalben mit selbstgeschossenen Motiven hat er sich von allen Reisen erstellen lassen; in denen blättert er ab und an in seiner Kreuztaler Wohnung, wenn er eben nicht gerade auf Tour ist.

Entscheidend für seinen Tatendrang trotz schwerster körperlicher Einschränkungen ist für ihn die Tatsache, dass er sich derlei Abenteuer angstfrei zutraut. Sein Glaube gibt ihm Mut.

Auch unterwegs „fühl ich mich pudelwohl, weil ich jemanden dabei hab, auf den ich mich verlassen kann", umschreibt er sein Erleben göttlicher Begleitung. ,,Ich nehme das, was ich bekommen kann wenn es Sonnenschein gibt, nehm ich Sonnenschein, wenn es Regen gibt, nehm ich Regen." Und die Reiselust? Die ist ganz und gar noch nicht versiegt: Im Juni 2023 wird Johannes Jurke im Kreuztaler Stadtbild wieder fehlen: Das Ticket für die Reise zum norwegischen Bergen hat er schon gebucht auf der MS Kong Harald ergatterte er nach eigenem Bekunden den letzten noch freien Platz. bjö